Margaret Goldsmith – Patience geht vorüber

„Seit kurzem gibt es einen neuen Typ Schriftstellerin, der mir für den Augenblick der aussichtsreichste scheint: Die Frau, die Reportage macht, in Aufsätzen, Theaterstücken, Romanen. Sie bekennt nicht, sie schreibt sich nicht die Seele aus dem Leib […] die Frau berichtet, anstatt zu beichten.“ Was Erika Mann hier in ihrer Glosse „Frau und Buch“ als eine neue Form des weiblichen Schreibens charakterisiert, klingt auch in der Widmung an, die Margaret Goldsmith ihrem Roman Patience geht vorüber voranstellt. Von dem Anspruch, in einem Roman „wirklichen Menschen“ begegnen zu wollen ist dort die Rede: „Nur keine Illusionen, keine Romantik. Reportage willst Du haben. Ein Stück Leben“, fasst Goldsmith den Wunsch ihrer Freundin Martel Schwichtenberg zusammen, der sie das Buch gewidmet hat. Ein Stück Leben, das im Fall von Goldsmiths Protagonistin Patience auffallend modern ist und von der Autorin vor dem Hintergrund der 1920er und beginnenden 1930er Jahre geschildert wird.

von Larissa Plath

Ob sie am ersten Schultag mit Suitcase und Matrosenmütze neben den anderen Kindern gestanden ist oder ob ihr bei ihrer ersten Arbeitsstelle im Gewerkschaftshaus ihre vermeintlich adlige Herkunft vorgehalten wird – Patience von Zimmern fühlt sich von Anfang an nicht zugehörig. Das „von“ ist nicht mehr als ein Überbleibsel der verarmten preußischen Gutsbesitzerfamilie ihres Vaters, hält sich aber ebenso hartnäckig wie der traditionsreiche Hintergrund ihrer englischen Mutter. Dieser verdankt sie auch ihren für deutsche Ohren ungewöhnlich klingenden Vornamen („Sprich Peeschens“). Nach ihrem Abitur 1918 verbringt Patience die Nachkriegsjahre in Berlin und London, arbeitet als Journalistin für britische und deutsche Zeitungen, studiert schließlich Medizin und schafft es, ihren Wunsch nach einem Kind unabhängig von einem Mann zu erfüllen. Ein Gefühl des ‚Dazwischen‘ aber bleibt – beruflich und emotional – und begleitet Patience, eine „neue Frau“ ihrer Zeit, auf der Suche nach ihrer Vorstellung von einem selbstbestimmten Leben.

Dabei sind es die starken weiblichen Figuren, die in Margaret Goldsmiths Roman im Mittelpunkt stehen und die für ihre Hauptfigur Patience wegweisend sind. Neben ihrer Schulfreundin Grete, einer überzeugten Sozialistin, mit der sie ihre erste Liebesbeziehung hat, gehört dazu vor allem Patience’ Mutter Victoria: eine Engländerin, die nie ganz in Berlin angekommen ist, die sechs Monate alte Ausgaben der Times liest und, nach London zurückgekehrt, als Mitglied der Labour-Party unverhofften Erfolg findet. Über die Jahre verändert sich das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter und doch bleibt die distanziert wirkende, mit offenen Emotionen sparsam haushaltende Victoria eine konstante Bezugsperson im Leben ihrer Tochter. Nach ihrer Freundschaft und Liebe sehnt sich Patience am meisten.

Männer kommen und gehen, bleiben aber am Rande. Patience heiratet den jungen Offizier Joachim, den „Bernhardiner“, wie sie ihn nennt, aus eher pragmatischen Gründen. Als er unerwartet aus dem Krieg zurückkehrt, begegnet sie ihm mit einer Mischung aus Mitleid, Bedauern und Widerwillen. „Ich hab’ mich mal aus Versehen verheiratet, aber nie wieder“, entgegnet Patience Jahre später dem Engländer Jack, als dieser ihr einen Heiratsantrag macht. Wo sie in Jacks Verhalten den von ihr verachteten englischen Puritanismus zu sehen glaubt, folgt sie selbst dem – ihrer Auffassung nach deutschen und liberaleren – Verständnis neusachlicher Beziehungen. In Liebesdingen lebt Patience viele Jahre nach der Devise „Technik ist alles“ und wechselt zwischen unverbindlichen Affären mit Frauen und Männern. Schließlich, „so wurde unter den Menschen in ihrer Generation gepredigt, soll man nie mehr Gefühl in eine Beziehung investieren, als man selber heraus bekommt“. Patience geht vorüber. Sie ist immer in Bewegung, sie ist aktiv, selbstständig und zu jedem Zeitpunkt finanziell und emotional unabhängig.

„Margaret Goldsmiths Roman Patience geht vorüber trägt autobiografische Züge […]. Es ist jedoch kein eindimensionaler Bericht, vielmehr scheinen verschiedenste Erzählungen und Erfahrungen moderner Frauen in das Buch eingeflossen zu sein […].“

Herausgeber Eckhard Gruber in seinem Nachwort

Was für das bewegte Leben ihrer Hauptfigur gilt, trifft auch auf die Autorin selbst zu – und der Berliner AvivA Verlag erweist sich mit dieser literarischen Wiederentdeckung einmal mehr als zuverlässiger Garant beim Aufspüren vergessener Autorinnen. Über die Amerikanerin Margaret Goldsmith (1895-1970) ist nur wenig bekannt. Dass sie Emil und die Detektive ins Englische übersetzte und eine Affäre mit Vita Sackville-West hatte, sind zwei der leicht auffindbaren biographischen Details. Als umso hilfreicher erweist sich daher das informative Nachwort des Herausgebers Eckhard Gruber, in dem er Goldsmiths Lebensgeschichte darlegt. Geboren in den USA und zweisprachig aufgewachsen in Berlin, kehrte Goldsmith 1914 zum Studium in die USA zurück. In den folgenden Jahren war sie im auswärtigen Dienst tätig, wurde stellvertretende US-Handelskommissarin in Berlin (als vermutlich erste Frau weltweit, wie Gruber anmerkt), arbeitete als Journalistin, Autorin und Übersetzerin. Goldsmith übersetzte unter anderem Werke von Anna Seghers, Vicki Baum und Oskar Maria Graf ins Englische. Insgesamt verfasste sie drei Romane in englischer und, neben Patience geht vorüber, einen weiteren Roman in deutscher Sprache.

Der klare, unverstellte Blick, mit dem Patience ihre Umgebung und ihre Mitmenschen wahrnimmt, findet sich auch in der Sprache des Romans wieder. Goldsmith schreibt in einem schnörkellosen, humorvollen Stil. Manchmal sind es nur einzelne Sätze oder kurze Szenen, wie beiläufig eingestreut, die aufblitzen, eine Figur charakterisieren oder eine Stimmung einfangen: Als bei Kriegsende die Menschen auf die Straße gehen, berichtet eine aufgeregte Patience der alten Hausangestellten Anna von den Tumulten. „Anna hatte nämlich Pech gehabt. Ihr einziges Paar Schuhe wurde gerade beim Schuster besohlt, sie konnte deshalb nicht auf die Straße gehen“, lautet die lakonische Erklärung. Dann wieder schreibt Goldsmith unverhohlen auf den Punkt, wie bei den Gäste der Abendgesellschaft von Patience’ Mutter, wo die Anwesenden in wenigen Sätzen vorgestellt werden. Einer von ihnen ist Victorias Geliebter Sir Geoffrey Marsden, „Beruf unbekannt, man wußte nur, daß er Engländer war, vielleicht war dies Beruf genug“. Frei von Vorurteilen sind die Einschätzungen ihrer englischen Bekannten sicher nicht; dass Patience in ihren Augen rückständiges ebenso wie pseudo-liberales Verhalten ablehnt und dabei nicht immer differenziert vorgeht, macht sie als Figur aber nur glaubwürdiger.

„Fast ist es, als übersetzte sie: das Leben in der Literatur, in keine ungemein hohe Literatur, aber doch in eine brauchbare, anständige, oftmals liebenswerte“, heißt es in Erika Manns eingangs erwähnter Glosse. Der Text wurde 1931 in der Zeitung Tempo abgedruckt, im selben Jahr wurde auch Patience geht vorüber erstmals veröffentlicht. Beide erschienen unter dem Dach des Ullstein-Verlagshauses, wo Goldsmith Eckhard Gruber zufolge nicht nur als Übersetzerin deutschsprachiger Literatur, sondern auch als „Vermittlerin englischsprachiger Literatur“ wirkte. In diesem temporeichen, interkulturellen Wirkungsfeld entstanden, lässt sich die Geschichte von Patience als Dokument einer Zeit des Aufbruchs lesen. Mit ihren Schilderungen gesellschaftlicher Strukturen in Deutschland und England entfaltet die Autorin die verschiedenen Stationen im Leben ihrer Protagonistin vor einem breiten zeitgeschichtlichen Panorama. Margaret Goldsmith hat einen emanzipierten Roman verfasst, der an heutigen Leser*innen nicht ohne Weiteres vorübergeht.

Der AvivA Verlag hat Auf der Höhe freundlicherweise ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.