Lars Lenth – Der Lärm der Fische beim Fliegen
In Norwegen ist Lars Lenth vor allem als Profi-Angler bekannt. Somit ist es kein Wunder, dass sein Protagonist Leo Vangen in seinem zweiten Fall mit der Fischerei konfrontiert wird. Leo könnte man als Verlierer bezeichnen: mit Mitte vierzig ist er immer noch kein Volljurist, lebt im geerbten Haus seiner Eltern und vernachlässigt seine sozialen Kontakte. Die ungemeine Ruhe dieses Daseins wird jedoch gestört, als Leos Freund aus Jugendtagen, Axel Platou, an ihn herantritt und seine Hilfe benötigt. Axel hat es zum einflussreichen Lachs-Mogul Norwegens gebracht, seine Zuchtanlage wird jedoch von Ökoaktivisten bedroht und nun soll Leo als neutrale Person dort nach dem Rechten sehen.
von Sophia Ernat
Platous Anlage wird von den Vega Brüdern geleitet, die sämtliche Probleme auf ihre eigene, gewalttätige Art lösen, um ihren Profit zu sichern und somit auch Leo eher widerwillig dulden. Unbedarft begibt er sich zwischen die Fronten von kapitalistischen Lachsfarmern und Aktivisten.
Lenth hält sich in seinem Roman mit den gut recherchierten, unschönen Details der norwegischen Lachszucht nicht zurück und eröffnet damit die Problematik für ein breites Publikum. Damit schafft er es, der vielbesungenen Skandinavien-Idylle eine Delle zu verpassen.
Einen dicht erzählten Plot sucht man jedoch vergebens, zumal Leo Vangen kaum als Protagonist zu bezeichnen ist, da er für einen Großteil der Geschichte überhaupt nicht auftaucht und auch nicht notwendig ist. Er ist zudem sehr reaktionär, was der ohnehin schon langsam in Fahrt kommenden Handlung zusätzlich die Dynamik nimmt. Neben Leo sind auch die meisten Nebencharaktere nur oberflächlich geschrieben und wirken eher wie Plotmechanismen als ausgereifte Figuren. Gerade die Vega Brüder sind schon fast komödiantisch durch und durch böse und besitzen sonst keine andere Facette. Dementsprechend sind auch die Interaktionen zwischen den Figuren extrem hölzern und man ertappt sich häufiger dabei zu fragen „Wer spricht so?“.
Lenth, der selbst Musiker ist, streut an vielen Stellen musikalische Referenzen ein, die vielleicht nicht so clever eingesetzt sind, wie es der Autor gerne hätte und eigentlich nur noch die Eindimensionalität der Charaktere bekräftigen.
Der, in vielen Rezensionen gepriesene, norwegische Humor zeichnet sich im Lärm der Fische beim Fliegen eher durch Absurditäten aus, über die man durchaus lachen kann, die an den meisten Stellen jedoch hauptsächlich unbeholfen wirken. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass dies der Übersetzung von Frank Zuber geschuldet ist.
Ein klassischer Skandinavien-Krimi oder Thriller ist Lenths Roman mit Sicherheit nicht. In den Mittelpunkt wird immer wieder die problematische Lachszucht gerückt und, selbst wenn die Geschichte darum eher dünn ist, kann man zumindest etwas informierter aus der Lektüre herausgehen und überlegt sich eventuell in Zukunft zweimal, ob man den norwegischen Zuchtlachs im Supermarkt kauft.
Sibylle Berg – GRM

Eine bequeme Lektüre ist der neue Roman von Sibylle Berg in keinerlei Hinsicht. Das soll er aber auch nicht sein.
Die vier jugendlichen Protagonisten – Don, Karen, Hannah und Peter – sind Teil der untersten Gesellschaftsschicht im englischen Rochdale. Sie sind vernachlässigt, perspektivlos und bereits in ihrem jungen Alter der Welt überdrüssig. Was sie verbindet, ist der Grime, mit dem sie sich in YouTube-Karriere-Phantasien flüchten. Was zunächst als Gesellschaftsportrait einer bislang wenig beachteten sozialen Schicht gelesen werden kann, entwickelt sich bald zu einer nahen Zukunftsvision, in der der Brexit nur noch eine Erinnerung ist und die Technologien des Alltags die perfekten Voraussetzungen zu einer Überwachungsdiktatur werden. So wird die positive Reform des Mindesteinkommens nur im Tausch gegen sämtliche persönliche und gesundheitliche Informationen ermöglicht. Wer nicht mitzieht, hat das Nachsehen.
Was vielleicht zunächst wie übertriebene dystopische Fantasien wirkt ist jedoch durchaus in der Realität fundiert: Der Brand des Londoner Grenfell Towers 2017, das Auffliegen einer Gang von Zuhältern in Rochdale 2012 und auch die beschriebenen Technologien sind keineswegs weit hergeholt. Viele von ihnen werden bereits angewendet.
Die Sprache, die Berg ihren Protagonisten gibt ist explizit, radikal und wütend und führt dazu, dass die Jugendlichen greifbarer wirken. In Anlehnung an den Titel nähern sich Umgangston und Plotstruktur den unmissverständlichen Äußerungen im Rap und Grime an. Somit scheut die Autorin auch vor den Darstellungen exzessiver (sexueller) Gewalt nicht zurück, wodurch die individuellen (Alltags-)Kämpfe zu keinem Zeitpunkt konstruiert erscheinen, selbst wenn sie für den Leser erschütternd sind. GRM ist am Puls der Zeit, da der Roman aktuelle Themen wie Sexismus, Diskriminierung, Digitalisierung und Klimawandel in einer verengten Schonungslosigkeit diskutiert.
Berg bewegt sich mit ihrem Roman an keiner klassischen Plotstruktur entlang und führt immer wieder neue Figuren und Schauplätze ein. Was auf den ersten Blick verwirrend und eventuell ein Gefühl des „zu viel“ herbeiführen mag, folgt jedoch einer gewissen Logik. Kurze, maschinell erzeugt wirkende Draufsichten auf namenlose Charaktere, wie dem „Programmierer“ oder der „Studentin“ haben stets einen Anknüpfungspunkt zu der Geschichte der Protagonisten. Wie ein Mosaik setzt sich so das große Ganze zusammen, was am Ende GRM ausmacht: „Die Geschichten ähneln sich, sie sind so langweilig, die Geschichten des Lebens, und haben alle mit fehlender Zuneigung zu tun.“
Auf über 600 Seiten wird dem Leser keine Komfortzone gegönnt, vielmehr muss diese einige Angriffe aushalten. Ein Verhalten, welches für viele schon zur Normalität geworden ist – exzessiver Digitalkonsum, eine wachsende Ignoranz bzw. das Hinnehmen auseinanderklaffender, sozialer Umstände –, wird in GRM in zynischer Draufschau aufgefächert. Das muss man aushalten können, denn der Untertitel Brainfuck ist durchaus ernst zu nehmen.