Ein Roman – drei Leser*innen. Hier zeigt sich, dass für jede*n andere Aspekte in der Erinnerung hängen bleiben, andere Facetten priorisiert und persönliche Urteile gefällt werden. Aber auch, dass es bei aller Vielfalt Übereinstimmungen geben kann.
Category Archive: Literarische Neuerscheinungen
Die Beiträge dieser Kategorie enthalten jeweils zwei Rezensionen einer*s Verfassers*in. Die hier präsentierten Texte sind im Rahmen des Begleitseminars zum Kolloquium Literarische Neuerscheinungen entstanden. Die Studierenden hatten die Aufgabe, Rezensionen zu zwei Romanen zu verfassen, die im Kontext des Kolloquiums in größerer Runde gelesen und diskutiert worden sind. Die möglichen und zum Teil unvermeidbaren Überschneidungen der nun hier veröffentlichten Arbeiten mindern keinesfalls den Wert der einzelnen Rezensionen, sondern erlauben vielmehr einen Einblick in individuelle Leseeindrücke und den direkten Vergleich unterschiedlicher Rezeptionen.
Selten sind sich alle Lesenden eines Buches in der Beurteilung einig. Wie unterschiedlich Leseerfahrungen und Meinungen sein können, zeigt der folgende Beitrag, in dem mehrere Rezensionen zu einem Roman gemeinsam präsentiert werden. Denn nicht nur Schönheit liegt im Auge der*s Betrachter*in.
Einmal Indien und zurück.
Ein historischer Roman über eine abenteuerliche Orientreise und das in dieser verflixten Coronazeit? Könnte Lust aufs Reisen machen. Tut es nicht, ist aber dennoch lesenswert!
von Sebastian Milkereit
Lars Lenth – Der Lärm der Fische beim Fliegen
In Norwegen ist Lars Lenth vor allem als Profi-Angler bekannt. Somit ist es kein Wunder, dass sein Protagonist Leo Vangen in seinem zweiten Fall mit der Fischerei konfrontiert wird. Leo könnte man als Verlierer bezeichnen: mit Mitte vierzig ist er immer noch kein Volljurist, lebt im geerbten Haus seiner Eltern und vernachlässigt seine sozialen Kontakte. Die ungemeine Ruhe dieses Daseins wird jedoch gestört, als Leos Freund aus Jugendtagen, Axel Platou, an ihn herantritt und seine Hilfe benötigt. Axel hat es zum einflussreichen Lachs-Mogul Norwegens gebracht, seine Zuchtanlage wird jedoch von Ökoaktivisten bedroht und nun soll Leo als neutrale Person dort nach dem Rechten sehen.
von Sophia Ernat
Sibylle Berg – GRM
Ein fucking Rundumschlag.
Rochdale, eine in jeder Hinsicht kaputte Provinzstadt Nordenglands in nicht allzu ferner Zukunft: Die vier heranwachsenden Protagonisten Don, Karen, Hannah und Peter wollen ihre Leben, die von massiver Gewalt, Ausgrenzung und dramatischen Schicksalsschlägen und Verwahrlosung geprägt sind, eine neue Wendung geben, oder wenigstens eine andere Stadt aufmischen.
von Janina Zogass
Sibylle Berg – GRM
Die Erzählung von Sibylle Berg findet in sieben Hochhäusern, auch Seven Sisters genannt, in Rochdale und Liverpool statt. Die Handlung von dem Roman GRM –Brainfuck umfasst rund zwei Jahrzehnte und führt über das Jahr 2019 hinaus, in eine Zeit, als „der Brexit nur noch Erinnerung war“. Die Protagonisten sind vier Kinder, die an ADHS oder Autismus, Albinismus und am Hutchinson-Gilford-Syndrom leiden. Diese ADHS-Kinder befinden sich in dem Jahrtausend, das selbst „eine Überschrift hat. Sie hieß. ADHS. Kursiv darunter stand: Wir ordnen den Scheiß jetzt neu.“ Die Protagonisten leiden nicht nur an ADHS, sondern auch an der Gewalt, die ihnen durch Eltern, Männer und die Gesellschaft zugefügt wird. Sie empfinden Wut und Ärger, die sich in Grime-Musik ausdrücken lassen. Grime stellt die Hoffnung in diese kaputte und verrückt gewordene Welt dar. Die Kinder, die leider keine Kinder mehr sind, haben die Aufgabe übernommen, außerhalb des Systems zu überleben, um nicht mehr verletzt zu werden. Sie starten eine Revolution gegen die Überwachungsdiktatur, gegen die von der IT-Mafia gelenkte Regierung, gegen das System, das diese Welt kaputt gemacht hat.
von Shipra Tholia