„Europa fehlt es an einem Narrativ“: Schon mal diesen Satz gehört? Robert Menasse wollte dem etwas entgegensetzen. Mit dem Roman Die Hauptstadt (2017) wagte er den Sprung in ein neues Genre, den EU-Roman, mit dem die Europäische Union literaturfähig geworden ist. Nun ist sein zweiter EU-Roman erschienen: Die Erweiterung – gemeint ist hier die Erweiterung der Union durch neue Beitrittskandidaten. In gewisser Weise ist sein letzter Roman aber auch eine Erweiterung von Die Hauptstadt, mit dem er in einem ähnlichen Stil ähnliche Themen teilt: die Offenlegung der politischen Maschinerie der EU, unterschiedliche, teils parallele, teils sich überlappende Erzählstränge, diverse Handlungsorte, unübersetzte Passagen auf Fremdsprachen und eine komplexe Figurenkonstellation. Ob wir es dabei mit dem zweiten Band einer Menass’schen europäischen Trilogie zu tun haben? Wir bleiben gespannt, was die Zukunft bringt.

von Marco Maffeis

Von dem Cover des Buches starrt uns eine indische Göttin an. Sie hat weit aufgerissene Augen, streckt die Zunge heraus und hält in einer ihrer vier Hände ein Schwert, in einer anderen einen abgeschnittenen Männerkopf. Aus diesem Bild können interessierte Leser*innen mehrere der Themenfelder erahnen, die Mithu Sanyal in ihrem ersten Roman Identitti (2021, Hanser Verlag) ausführlich und nuanciert behandelt: „race & sex“, Indien, Verweigerung von patriarchischen Werten.

von Camille Englert

Sam fristet sein Dasein als einsamer Außenseiter ohne Freunde, dafür aber mit wiederkehrenden Panikattacken und Angststörungen und seit der Tumorerkrankung seiner Mutter begleitet von einer stets präsenten Ungewissheit. Als er einen Nebenjob in einem alten Kino beginnt, lernt er Cameron, Hightower und Kirstie – alle für sich selbst auch irgendwie Außenseiter:innen – kennen, die ihn zwar in ihre Gruppe aufnehmen, aber gerade ihren Schulabschluss absolviert haben und somit kurz vor dem Abschied aus ihrem Heimatort stehen. Für Sam beginnt ein turbulenter Sommer, in dem er nicht nur Freunde und seine erste Liebe findet, sondern auch zu sich selbst. Der Ausgang des Romans wird dabei schon mit dem ersten Satz vorweggenommen: „In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“

von Wiebke Martens

Zwischen ‚Bioy Casares‘ und ‚Byron‘ klafft eine unübersehbare Lücke im alphabetisch sortierten Buchregal, von dem erwarteten ‚Borges‘ keine Spur. Eine Tatsache, die auf den ersten Blick nicht unerklärlich – besagte Privatbibliothek gehört dem großen argentinischen Autor Jorge Luis Borges höchstselbst – auf den zweiten Blick aber zumindest verwunderlich ist und dem Ich-Erzähler in Jaime Begazos Kurzroman Die Zeugen (Kupido Literaturverlag, 2020) die literarische Spurensuche zusätzlich erschwert. Fast scheint es, als wolle Borges’ Erzählung „Emma Zunz“ gar nicht vom Erzähler gefunden und noch weniger erneut gelesen und auf diese eine entscheidende Unstimmigkeit hin überprüft werden: Wer ist Milton Sills, lautet die Frage, die den namenlosen Protagonisten zu seinem Idol Borges und tief hinein in dessen Erzähluniversum führt.

von Larissa Plath

Die Kurzprosa- und Lyrik-Autorin Louise Juhl Dalsgaard nähert sich in ihrem ersten Roman Genug, der 2021 im Picus Verlag erschienen ist, auf poetische Weise der Gefühlslage einer jungen Frau, die auf dem Weg zur Genesung ihrer Essstörung ist. Der von Gerd Weinreich aus dem Dänischen übersetzte Roman bietet Humor und Hoffnung, aber auch Hilflosigkeit und Depressivität. Die Autorin schafft es, den Leser*innen ein kritisches, immer noch aktuelles Thema mit einer wunderbaren Leichtigkeit zu vermitteln und nimmt sie mit auf die Reise in die Psyche der Protagonistin, die sich wie ein Puzzle nach und nach zusammensetzt.

von Sina Thamm

Paris – eine Stadt, die unumstößlich und unweigerlich mit bestimmten Bildern und besonders mit einer bestimmten Thematik verbunden ist: Liebe. Auch in Anne Garrétas SPHINX gibt es in dieser Hinsicht keinerlei Überraschung. Der Roman, der bereits 1986 auf Französisch und 2016 dann in der deutschen Übersetzung von Alexandra Baisch erschien, erzählt die Geschichte zweier Liebender.

von Wiebke Martens

Die Ausgangssituation erscheint simpel: Der*die namenlose Erzählerin schreibt für ein Frauenmagazin den Fortsetzungsroman und hat nun, nachdem die Situation sich seit Längerem darauf zugespitzt hat, ein vom Chefredakteur gefordertes Ende der Geschichte verfasst. Doch hier hört es schon auf mit dem Simplen und das Seltsame betritt die Bühne. Denn irgendetwas scheint mit dem Ende der Geschichte nicht in Ordnung zu sein. Warum sonst findet sich ihr*e Verfasser*in in einem Verhör wieder, wird beschuldigt, am Verschwinden einer Person beteiligt zu sein? Handelt es sich etwa doch, wie von der*dem Verfasser*in befürchtet, um mehr als bloße Fiktion?

von Kerstin Kiaups