Zwischen Fortschrittsglauben und Verantwortung: Christoph Nußbaumeders „Im Schatten kalter Sterne“ feiert Premiere im Opernhaus

Max Bautz (Konstantin Rickert), Wolfgang Anders (Martin Petschan) und Bianca Schäfer (Julia Reznik) (v.l.) während einer "Bimini"-Pressekonferenz der etwas anderen Art. Immer in Wolfgangs Nähe: Thomas (Alexander Peiler). Foto: Uwe Schinkel

von Victoria Steffen und Larissa Plath

„Bimini“: Inselgruppe der Bahamas, mystischer Fleck und paradiesischer Sehnsuchtsort in Heinrich Heines gleichnamigem Gedicht. Ein Wort, das viele Assoziationen weckt. Wolfgang Anders (Martin Petschan) jedoch, eine der zentralen Figuren in Christoph Nußbaumeders Stück Im Schatten kalter Sterne, sieht darin lediglich die zusammengesetzten Namen der Firmengründer von „Bimini“. Der Rüstungskonzern wird durch die Übernahme eines Start-Ups zu Wolfgangs neuem Arbeitsplatz. Als Projektleiter und Experte für Künstliche Intelligenz und Mikrodrohnen soll er die Firma zum Vorreiter auf dem Gebiet der vollautonomen Waffentechnik machen. Für den Softwareentwickler ist es der Eintritt in eine fremde Welt. Auf der einen Seite bietet sie, neben der einflussreichen Position, ein Luxusleben voller rauschhafter Partys, auf der anderen Seite ist er der ständigen Kontrolle durch seinen Chef Dr. Rufus Schroth (Stefan Walz) und seine Kollegen Bianca Schäfer (Julia Reznik) und Max Bautz (Konstantin Rickert) ausgesetzt. Die Beziehung mit Milena (Julia Meier), einer Tänzerin und ehemaligen Escort-Dame aus dem „Bimini“-Umfeld, verändert Wolfgangs zunächst naive Sicht auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Waffenindustrie. Dazu kommt die Nachricht vom Tod seines Jugendfreundes Thomas (Alexander Peiler), die zum Auslöser eines immer stärker werdenden inneren Konfliktes wird.

In der Inszenierung von Esther Hattenbach wird die Bühne des Wuppertaler Opernhauses von einem gigantischen Kubus eingenommen. Dieser leere Raum fungiert mal als „Bimini“-Firmensitz, mal als nobler Nachtclub oder als Wolfgangs hochtechnologisiertes „Smart Home“ und entzieht sich der Möglichkeit einer räumlichen oder zeitlichen Einordnung. Das beeindruckende Bühnenbild von Marlene Lockemann besticht durch seine maximale Reduziertheit und bietet so die ideale Spielfläche für die Entfaltung des komplexen Beziehungsgefüges. Grüne Glasfronten trennen rechts und links zwei Bereiche ab, über welche die Schauspieler auf- und abgehen. In ein diffuses Licht getaucht, werden sie zu Schwellenräumen. An diesem Nebenschauplatz entstehen parallel zur Hauptbühne Szenen, bei denen oftmals nicht klar ist, ob sie der dargestellten Realität angehören oder sich im Kopf der Figuren abspielen. So wird eine im üblichen „Bimini“-Jargon abgehaltene Pressekonferenz plötzlich aufgebrochen: Begleitet von Nebelschwaden und elektronischer Musik, legen Bianca Schäfer und Max Bautz in den abgetrennten Bereichen ekstatische Performances hin. Wolfgang empfindet die Pressekonferenz als Spektakel und beginnt, den Konzern und seine eigene Rolle darin zu hinterfragen. Die durch die Glasscheiben suggerierte Transparenz wird als scheinhaft entlarvt. Alles jenseits der Oberfläche tritt nur in den Seitenräumen zutage und bleibt selbst dort undurchsichtig.

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Wolfgang (Martin Petschan) wehrt sich vergeblich gegen Thomas (Alexander Peiler). Foto: Uwe Schinkel

Es ist dieser Raum, von dem aus sich Thomas mehr und mehr in Wolfgangs Bewusstsein drängt und so auch für die Zuschauer immer präsenter wird. Kann man ihn zunächst nur schemenhaft an der Seite erahnen, durchschreitet er später die Szenerie und sitzt schließlich neben Wolfgang auf dem Bühnenrand. Dessen Ringen mit sich selbst und seiner Tätigkeit bei „Bimini“ zeigt sich in dem vergeblichen Versuch, Thomas von sich zu schieben. Obwohl die Figur als einzige keinen Text hat, verleiht ihr das Spiel von Alexander Peiler in den wenigen Szenen, in denen Thomas auftritt, starke Momente. Diese haben, besonders im Kontrast zu den insgesamt sehr dialoglastigen Sequenzen, die von oberflächlichem Firmensprech beherrscht werden, eine große Wirkkraft.

Die Schlüsselszene mit Thomas fügt sich in Wolfgangs gedankliche Entwicklung ein. Zunehmend wird ihm seine Fremdbestimmtheit im „Bimini“-Gefüge bewusst. Dazu passend zeigen auf die Innenfläche des Kubus’ projizierte Videos verschiedene Sequenzen aus Computerspielen und veranschaulichen so, dass er in seiner vermeintlich leitenden Position doch nur Spielfigur seiner Kollegen ist. Wolfgangs Desillusionierung wird durch eine raffinierte Veränderung im Bühnenbild sichtbar gemacht. Schlussendlich ist es nicht der geläuterte Softwareentwickler, der die finalen Worte spricht, sondern seine Freundin. Unterstützt durch die intensive Darstellung von Julia Meier, die bereits in ihrer ersten Szene auch als brillante Sängerin glänzt, erweisen sich die Auftritte Milenas als bedeutsam für den Handlungsverlauf. Am Ende des Stücks steht sie ganz allein auf der leeren Bühne. Langsam steigt, bedrohlich surrend, im Hintergrund eine Drohne empor: zwei leuchtend rote Lichtpunkte in der Dunkelheit, die über Milenas Kopf schweben und jede ihrer Bewegungen verfolgen. Mit mahnenden Worten richtet sich die junge Frau ans Publikum, durchbricht dabei die vierte Wand, und appelliert an die Verantwortung der anwesenden Zuschauer.

Brisante Themen wie künstliche Intelligenz sowie das Zusammenspiel von Rüstungsindustrie und Wirtschaft auf die Bühne im Opernhaus zu bringen zeigt, dass Theater einen Raum zur Auseinandersetzung mit politisch und gesellschaftlich relevanten Fragen bietet. Nußbaumeders erst im vergangenen Herbst uraufgeführtes Stück gibt viele Denkanstöße, leistet darüber hinaus aber keine tiefergehende Verhandlung der komplexen Thematik.

 

Im Schatten kalter Sterne
Ein Drama in 30 Szenen
von Christoph Nußbaumeder

Termine im Opernhaus:

Sa. 02. März 2019 19:30 Uhr
Sa. 09. März 2019 19:30 Uhr
So. 07. April 2019 16:00 Uhr
So. 28. April 2019 18:00 Uhr
So. 02. Juni 2019 18:00 Uhr
So. 23. Juni 2019 18:00 Uhr
Fr. 28. Juni 2019 19:30 Uhr

Tickets für die kommenden Vorstellungen sind über die KulturKarte (0202 5637666) erhältlich. Nicht vergessen: Studierende der BUW erhalten nach Reservierung freien Eintritt!

Inszenierung: Esther Hattenbach
Bühne: Marlene Lockemann
Kostüme: Annemie Clevenbergh
Musik & Video: Kathrin Dworatzek
Dramaturgie: Barbara Noth
Regieassistenz: Jonas Willardt
Inspizienz: Charlotte Bischoff
Regiehospitanz: Joséphine Fresen
Ausstattungshospitanz: Aliki Anagnostakis

Besetzung:

Martin Petschan: Dr. Wolfgang Anders
Alexander Peiler: Thomas
Julia Meier: Milena Kerber
Stefan Walz: Dr. Rufus Schroth
Julia Reznik: Bianca Schäfer
Konstantin Rickert: Max Bautz
Lena Vogt: Regina Schroth / Gisela Anders
Miko Greza: Eugen Pfingst / Peter Anders