Kraft und seine Kraftlosigkeit

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von Katia Marcucci

Kraft, der erste Roman von Jonas Lüscher, erschienen im Jahr 2017 beim C.H. Beck Verlag, nimmt den Leser mit in die zerbrochene Welt des Rhetorikprofessors Richard Kraft. Malträtiert von seinen bisherigen Erlebnissen, Schicksalsschlägen und gescheiterten Beziehungen, wird Kraft in die vereinigten Staaten eingeladen, um zu erklären, warum alles gut ist, wie es ist. Besser gesagt

Why whatever is, is right […].

Zu dieser, in Anbetracht seiner misslichen Lage, doch sehr ironischen Situation kommt es dank seines alten Studienfreundes Ivan, eigentlich István Pánzél, der zu früheren Zeiten die politische Gesinnung mit Kraft teilte, wodurch eine recht innige Freundschaft entstand. Der wirkliche Grund, warum der niedergeschlagene Protagonist an einer solchen Veranstaltung teilnehmen und lächelnd über die Positivität des Lebens berichten möchte, ist natürlich nicht seine durch und durch positive Art oder die besondere Verbundenheit zu Ivan, sondern das hohe Preisgeld von einer Million Dollar, die er braucht, um sich aus seiner gescheiterten Ehe mit Heike herauszukaufen. Eine Ehe, aus der Zwillingsmädchen hervorgegangen sind, die ihn offenbar genauso wenig respektieren wie seine Ehefrau. Heike, vollkommen genervt von der Beziehung zu Kraft, wünscht sich ebenso dieses Preisgeld, um die Ehe, die sie als Experiment versteht, endlich beenden zu können. Wie bei all seinen in die Brüche gegangenen Beziehungen fragt Kraft sich, was schiefgelaufen ist und lässt den Leser an seiner reichlich verkorksten Vergangenheit teilhaben, um mehr über seine Beziehungsgeschichten und die daraus resultierenden Brüchen zu erfahren.

Lüscher beschreibt einen am Boden zerstörten Mann, der sich offensichtlich in der tiefsten Phase seiner Midlife-Crisis befindet, in der er jedoch vor allem seinen verflossenen Liebschaften nachtrauert oder sogar ein Stück weit in Selbstmitleid versinkt.

Johanna, Johanna … womit habe ich dich so wütend gemacht?

Diese Frage stellt er sich in den verschiedensten Situationen und versucht eine Antwort darauf zu finden, um seinen Frieden damit zu machen und zu verstehen, weshalb er, so sein Denken, immer der Verlassene ist. Er ist nicht in der Lage, sein Scheitern zu verarbeiten oder gar zu akzeptieren, andererseits entsteht der Eindruck, er suhle sich gern in all seinen negativen Gedanken, wodurch seine Situation immer prekärer wird.

Richard Kraft ist allerdings nicht nur Opfer seiner vermeintlich schlimmen Zustände sondern auch seiner männlichen Triebe, die seine Aufmerksamkeit in bestimmte Richtungen lenkt.

Wohlwollend bemerkte er ihre breiten Hüften und den üppigen Busen, der ihm schon am Vortag aufgefallen war […]

Seine triebhaften Gefühle lassen weder Platz für Vernunft noch für Freundschaft, zudem er auch jede Situation, die ihm zugutekommt, sei sie noch so schlecht für seine Mitmenschen, für sich ausnutzt. Das spiegelt wunderbar den fragwürdigen Charakter Krafts wider.

Kraft wird als völlig kraftloser Mensch erfahren, dessen einzige Stärke es ist, große Reden zu schwingen. Doch ist er nicht in der Lage diese Fähigkeit vernünftig wirkungsvoll einzusetzen. Zudem schafft er es einfach nicht, andere Menschen bei sich zu halten. Er ist einzig und allein an seinem eigenen Wohl interessiert und gibt sich seinen Wünschen und Trieben hin, ohne Rücksicht auf Verluste. Man kann ihn durchaus als Egoisten bezeichnen.

Sarkasmus für die Motivation

Lüscher ist es gelungen, die furchtbar kraftraubende Sackgasse des Lebens, in der sich der Rhetorikprofessor Kraft befindet, ins Lächerliche zu ziehen. Dies gelingt ihm vor allem durch die sarkastische Beschreibung vieler Geschehnisse. So wirkt eines seiner grausamen Erlebnisse sehr lächerlich:

Kraft weiß, dass diese Art des virilen, vulgär körperbetonten Selbstbewusstseins, das er im Normalfall bestenfalls belächeln würde, in diesem Moment von entscheidender Bedeutung ist, aber bei der ersten Böe, die ihm kalt um die breite Brust streicht, spürt er, wie seine Brustwarzen zusammenschnurren und mit ihm seine Selbstsicherheit.

Kraft ist sprachlich ein recht guter und verständlich formulierter Roman. Leider spielt sich das Meiste in den Gedanken der Personen, zum großen Teil in Krafts Gedanken, ab. Hätte Lüscher nicht mit sarkastischen Darstellungen und Formulierungen gespielt, wäre dieser Roman um einiges langatmiger gewesen. Der stetige Wechsel zwischen der Gegenwart Krafts, die nur aus seiner Depression und seinem Unvermögen, einen Beitrag zu verfassen, besteht und seiner Vergangenheit, gestaltet das langweilige Leben und die endlose Unzufriedenheit des Professors ein wenig interessanter, so dass es zum Weiterlesen animieren kann. Große Überraschungen oder Abenteuer sind hier nicht zu erwarten, wodurch der Roman, trotz seines Witzes, leider recht spannungslos bleibt. Eben dieses Manko erschwert es, den Roman weiterzuempfehlen. Wer eher auf etwas Spannung aus ist, sollte hier lieber nicht zugreifen. Besteht Interesse an gescheiterten Existenzen, so ist Lüschers Roman gut geeignet.