Weihnachtsurlaub, die Tage zwischen den Jahren, Feiertage – kaum eine Zeit eignet sich besser, um den über das Jahr angesammelten Bücherstapel wenigstens ein kleines bisschen schrumpfen zu lassen. Da ich einen Teil der Feiertage traditionell in Zügen verbringe, um von einem Weihnachtsessen zum nächsten zu kommen, habe ich mir für den Abschluss des ausklingenden Jahres 2022 einen passenden Roman ausgesucht: Cay Rademachers Die Passage nach Maskat (2022).
von Wiebke Martens
Zugegeben: Für mich geht es – begleitet von einem immerwährenden Nieselregen – in der Regionalbahn durch das Ruhrgebiet und nicht auf dem sonnigen Deck eines Luxusdampfers vorbei an Port Said, durch den Suezkanal und bis in den Oman. Trotzdem: Reise bleibt Reise!
Schnell bin ich gefesselt von der doch so düsteren Atmosphäre, die die Erzählung, dem spätsommerlichen Wetter und der (noch) euphorischen Stimmung der späten 1920er Jahre zum Trotz, kreiert. Kleinere Andeutungen, Metaphern sowie eine handfeste Morddrohung direkt zu Beginn lassen vermuten, dass die Reise des Protagonisten Theodor Jung turbulent und gefährlich zu werden scheint.
Matrosen verschlossen die Frachtluken mit unterarmlangen Eisenbolzen, als wollten sie den Schiffsrumpf nie wieder öffnen. Die Kräne auf dem Môle de la Pinède und auf der Champillon standen nun bewegungslos wie riesige Kreuze.
Jung, ein Fotograf und traumatisierter Kriegsveteran, reist gemeinsam mit seiner Frau Dora und deren reicher Kaufmannsfamilie, die in dem Geschäft mit Gewürzen aus dem Orient eine Möglichkeit wittert, ihren Reichtum und Einfluss zu vermehren. Es besteht kein Zweifel, dass der ungeliebte Schwiegersohn, der als Reporter die Fahrt dokumentieren und nebenbei seine Ehe retten möchte, dabei ein Dorn im Auge ist. Tatsächlich scheint die Zeit auf dem Schiff dem Paar neuen Aufschwung zu verleihen – zumindest bis Dora verschwindet, ohne eine Spur zu hinterlassen, und die anderen Passagiere felsenfest davon überzeugt sind, sie sei nie an Bord gewesen.
Die einzelnen Charaktere, mit denen Jung in Berührung kommt, sind sehr sorgfältig ausgestaltet, jeder und jede scheint eigene, geheime Ziele an Bord der Champillon zu verfolgen. Kaum jemand ist tatsächlich die Person, die er oder sie vorgibt zu sein. Ich verdächtige im Laufe meiner eigenen Reise jede einzelne Figur, mit Doras Verschwinden in Verbindung zu stehen.
Mal bin ich ganz vertieft in die Lektüre und merke kaum, wie mehr oder weniger belebte Bahnhöfe an mir vorbeiziehen, lasse mich dann aber wieder von meinen eigenen Mitreisenden ablenken und ehe ich mich versehe, ist die Zugfahrt um. Der Roman landet zwischen Mitbringsel und Geschenken in meinem Gepäck, um auf dem Rückweg wieder hervorgekramt zu werden.