Vom 3.–10. September 2022 fand die Wuppertaler Literatur Biennale zum nun sechsten Mal statt. Viele interessante Persönlichkeiten, darunter Schriftsteller*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Philosoph*innen u. v. m., nahmen daran teil und brachten nicht nur ihre ausgezeichneten Werke mit. Das Publikum erfuhr ebenso viel über ihr spannendes Leben. Beeindruckend ist auch die Lebensgeschichte von Safeta Obhođaš, die sie in ihren Büchern und Theaterstücken thematisiert: Sie musste aus ihrer Heimat flüchten.
von Sina Thamm
Flucht aus der Heimat
Auf der Wuppertaler Literatur Biennale las sie aus ihrer 2020 erschienenen Novelle Funken aus einem toten Meer, in der es um die in den 90er Jahren aus Bosnien und Herzegowina geflohene Safia geht, die nun in Deutschland lebt und über die Themen Emanzipation und Exil schreibt. Sie malt sich Unterhaltungen mit der russischen Lyrikerin Marina Zwetajewa und der deutschen Autorin Irmgard Keun aus, die sich um Liebe, Einsamkeit, Heimatverlust und das Schreiben drehen.
Es lässt sich wohl nicht abstreiten, dass die Figur Safia einen ähnlichen Lebensweg mit Safeta Obhođaš teilt. 1951 wurde die Autorin in Pale geboren, studierte in Sarajevo Journalismus und veröffentlichte Hörspiele und Erzählungen wie Die Frau und das Geheimnis (1987). In diesen thematisierte sie nicht nur ihr Zugehörigkeitsdilemma (slawische Herkunft und muslimische Wurzeln), sondern versuchte auch, sich mit ihren Werken für Frauen einzusetzen. Doch als der Bosnienkrieg begann, musste sie 1992 mit ihrer Familie wegen der ‚ethnischen Säuberung‘ fliehen.
Die deutsche Sprache – ein Neuanfang?
Seit jeher lebt sie in Deutschland, seit 1996 in Wuppertal. Sie muss sich zunächst durchkämpfen, verdient ihr Geld mit Putzen, um ihre Familie versorgen zu können, und muss ‚nebenbei‘ eine neue Sprache lernen. Schnell beginnt sie, neben Bosnisch auch auf Deutsch zu schreiben und erfährt viel Unterstützung von den Menschen in Deutschland.
Der Roman Hana erscheint 1995 als erster ihrer Texte in deutscher Sprache. Hana ist ein uneheliches Kind, wird von ihrer Mutter nicht anerkannt und von Verwandten und Bekannten großgezogen. Sie wird mit Asif verheiratet, den sie nicht liebt, bekommt Zwillinge und hat eine tragische Affäre mit ihrer Jugendliebe, woraufhin sie zu ihrer Familie zurückkehrt. Dies alles erzählt Hana der Ärztin Amina, während diese ihre immensen Verstümmelungen behandelt.
Die deutsche Sprache zu lernen, bezeichnet Obhođaš als Glück: Sie konnte sich als Schriftstellerin weiterentwickeln und auf Augenhöhe mitreden. Nach und nach entstehen Romane, Erzählungen und Theaterstücke. Auch journalistische und essayistische Schriften (z. B. Rechtshandbuch für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte) reihen sich in die Bibliografie ein. Themen sind häufig die Zerrissenheit zwischen den Kulturen, zwischen Moderne und Tradition, die Problematik von patriarchalischen Gesellschaften und der Zuwanderung, wie auch im Theaterstück Lange Schatten unserer Mütter von 2019, in dem die zwei türkischstämmigen Schwestern unterschiedlicher nicht sein könnten: Denn die eine hält an den Traditionen ihrer Vorfahren fest, während die andere sich als moderne Frau versteht. Ein Konflikt, der nicht leicht zu bewältigen ist. Das Stück entstand im Rahmen des gleichnamigen Projekts (2015–2017), einer Ausstellung von Porträts junger Frauen und ihren Müttern und Texten, die auf den dazugehörigen Interviews basieren. Geschrieben wurden diese von Safeta Obhođaš, fotografiert wurde von Petra Göbel. Ausgestellt wurde das Projekt u. a. 2014 im Forum Kunst und Architektur in Essen und 2016 in der Bergischen Universität Wuppertal.
Doch obwohl der Schriftstellerin die deutsche Sprache guttat, blieb sie auch der bosnischen treu. Sie übersetzte z. B. ausgewählte Gedichte von Else Lasker-Schüler ins Bosnische (Meinen gefallenen und entwurzelten Freunden, 2020).
Glück und Pech mit den Verlagen
Unterstützung erfuhr Obhođaš u. a. durch mehrere Arbeitsstipendien wie das des Stuttgarter Schriftstellerhauses und durch viele kleinere Verlage. So ist der Roman Die Bauchtänzerin (2006/2015) zum Beispiel im CulturBooks-Verlag als E-Book erschienen. Dort greift sie ebenfalls das Thema der Zwiespältigkeit auf: Als junge Frau steht die Protagonistin Vildana Mulic zwischen den Kulturen. Sie hat muslimische Wurzeln, ist aber geprägt von einem europäischen Einfluss – nicht leicht, in diesem Kontext seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Obhođaš achtet darauf, in ihren Texten real zu bleiben und die Welt darzustellen, wie sie nun einmal ist, um so auch auf Missstände aufmerksam zu machen. Bei der Wuppertaler Literatur Biennale erzählt sie, dass ein Verlag einen Liebesroman über die Liebe zwischen einem muslimischen Mädchen und einem serbischen Jungen von ihr verlangt hätte – wegen guter Verkaufsaussichten. Die Autorin blieb dann aber lieber beim Putzen, als etwas zu schreiben, das sie nicht vertreten könnte. Viele Frauen seien im Namen der Liebe ausgebeutet worden.
Engagement und Hoffnung
Ihre Kritik bezüglich patriarchalischer Gesellschaften oder der Problematik der Zuwanderung trägt sie immer wieder nach außen. Auf ihrer Website beispielsweise schreibt sie schonungslos:
„Wie wir inzwischen wissen, – was die Politik hier im Lande lange Zeit versucht hatte zu vertuschen, haben sich mittlerweile in Deutschland viele Parallelgesellschaften der Zugewanderten herausgebildet, in denen die Frauen überwiegend fest an ihrer mitgebrachten Tradition klammern. In den Familien haben sie das Sagen und die Mütter erziehen ihre Söhne zu Paschas und Machos und ihre Töchter zu Dienerinnen und künftigen Übermittlerinnen der Tradition. Von deutscher Seite sah man sie zu Unrecht oft nur als Opfer. Ich kenne diese Konstellationen allzu gut, in so einer bin ich Schriftstellerin geworden.“
Safeta Obhođaš äußert aber nicht nur Kritik, sondern setzt sich auch für bessere Bildungschancen von Zugewanderten in Deutschland ein, geht in Schulen und erzählt dort ihre Geschichte(n), hilft bei Theater- und Integrationsprojekten. Obwohl sie in ihrem zehnten Exiljahr mit dem Gedanken gespielt hatte, ihren Beruf aufzugeben, da ihre Werke nicht dem Mainstream entsprachen, bleibt sie bis heute hoffnungsvoll und engagiert, mit ihren Schriften für Aufklärung und Freiheit zu kämpfen.