Identitäten im Wandel der Zeit

Copyright Stadt Wuppertal / Kulturbüro, Foto: Anna Schwartz

Die sechste Wuppertaler Literatur Biennale mit dem diesjährigen Motto ‚Zuschreibungen. Geschichten von Identität‘ ist nun seit über einer Woche vergangen und einige Veranstaltungen haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. So auch das Gespräch mit Sharon Dodua Otoo am Mittwoch, dem 7. September, die aus ihrem Roman Adas Raum las, in dem die Geschichten über Ada, die sich über Jahrhunderte ziehen, spannende Perspektivwechsel aufzeigen und die Zuschauer*innen mit einigen Gedanken zurückgelassen haben.

von Sina Thamm

Ein entspanntes Duo

Vor der Kulisse des Kulturzentrums Immanuel trafen sich Moderatorin Marija Bakker und Autorin Sharon Dodua Otoo zum Gespräch über ihr Romandebüt Adas Raum. Eingeleitet wurde die Veranstaltung von Julia Wessel, der Kuratorin der Wuppertaler Literatur Biennale. Der Dialog war gelöst von jeglicher Anspannung und die Beteiligten konnten aufrichtig über ernste Themen sprechen, gleichwohl aber auch viel Humor einfließen lassen.  

Neben ihrem Beruf als Moderatorin ist Marija Bakker freie Journalistin, u. a. für das WDR5 Literaturmagazin Bücher. Sie war eine gute Wahl, um die Veranstaltungzu moderieren, da sie mit ihrer lockeren Art für eine positive Stimmung sorgte und mit ihren originellen, aber auch schwierigen Fragen die Autorin auf die Probe stellte, beispielsweise als sie sich erkundigte, wie der Roman zu Otoo spreche oder wie nah die Autorin ihrem Buch noch sei.

Sharon Dodua Otoo beantwortete diese Fragen aber stets gekonnt und humorvoll. Die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin (2016) wurde in London geboren und lebt in Berlin. Sie ist politisch aktiv, u. a. bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e. V. und Phoenix e. V.

Einen guten Start ins Thema versprach schon Bakkers Publikums-Anrede „Damen und Herren“, die sie zugleich in Frage stellte und sich erkundigte, ob sich überhaupt noch jemand davon angesprochen fühle, woraufhin niemand im Publikum die Hand hob. Damit leitete sie zu der überraschenden Frage über, ob und wie der Roman zu Otoo spreche. Diese verwies nebenbei darauf, dass der Roman bereits ins Italienische, Englische, Amerikanische und Niederländische übersetzt wurde, was ein bemerkenswertes ‚Detail‘ ist und für das Interesse an und den Erfolg von Adas Raum zeugt.

Perfekte Einreihung in die „Zuschreibungs-Debatte“

Adas Raum spielt zu vier verschiedenen Zeiten: 1459, 1848, 1945 und 2019. In jeder dieser Zeitebenen existiert jeweils eine Frau mit dem Namen Ada, die sich mit den Umständen ihrer Epoche auseinandersetzen muss. Eine Ada erlebt die Ankunft der Portugiesen an der Goldküste (dem heutigen Ghana), eine weitere ist Mathematikerin und eine andere wiederum eine Zwangsprosituierte in einem Konzentrationslager. Die Gegenwärtigste von ihnen ist mit ihrem Baby in Berlin auf Wohnungssuche. Es sind Frauen zwischen Glück und Trauer. Durch diese spannenden Perspektivwechsel bekommt der*die Leser*in verschiedenste Einblicke in Identitäten, die durch Raum und Zeit präsentiert werden.

Bakker leitet danach in das Biennale-Thema ‚Zuschreibungen‘ über, indem sie fragt, ob sich die Diskussion rund um Identitäten, gender oder race verändert habe. Otoo sehe keine Verschiebungen in der Diskussion, sie sei nach wie vor sehr präsent. Sie selbst habe sich bemüht, diskriminierende Zuschreibungen in ihrem Roman zu vermeiden. Bakker fragt daraufhin, ob Zuschreibungen generell notwendig seien und die Schriftstellerin erklärt, dass sie manchmal auch hilfreich sein können; sie distanziert sich also nicht gänzlich davon.

Nach einem Überblick über den Inhalt von Adas Raum und die Protagonistinnen weist die Moderatorin auf die Besonderheit hin, dass die Nebenfiguren die Hauptfiguren teilweise „links liegen lassen“. Otoo gibt zu, dass dies zu ihrer Strategie gehörte, von der sie aber nicht allzu viel verrät. Sie bekomme in Rezensionen jedoch oft den Vorwurf, ihr Roman sei „schwarzweiß“, dabei zeige sie mit Adas Raum Ambivalenzen auf. Und diese werden bereits in den Ausschnitten deutlich, die die Autorin in der Veranstaltung vorträgt.

Höhen und Tiefen des Lebens

Anschließend ging es daher zur Lesung über, vor der Otoo eine wichtige Triggerwarnung aussprach, da es u. a. um den Tod eines Babys geht. Sie betont, dass sie zeigen wolle, „wie das Leben so ist“ und dass auch solche Abschnitte zum Leben dazu gehören.      

Nach wunderbar vorgetragenen Ausschnitten aus den Geschichten der ‚Vergangenheits-Adas‘ erkundigt sich Bakker, was Otoo dazu bewegt habe, über die Baracke 37 zu schreiben. Diese entgegnet, dass sie die Informationen über die KZ-Bordelle hochinteressant fand und die Frauen, ihres Wissens nach, nie entschädigt wurden. Auch an dieser Stelle wird klar gemacht, wie wichtig es ist, die Vergangenheit und die Identitäten, die sie hervorgebracht und geprägt hat, im Blick zu behalten und sichtbar zu machen.   

Kollektive Identitäten – ein aktuelles Modell?

Nach der Lesung eines Ausschnitts der ‚2019-Ada‘, kommt die Moderatorin hinsichtlich des Biennale-Mottos schließlich auf die Frage zurück, ob es in dem Roman darum gehe, wer wir sind und ob „kollektive Kategorien“ bezüglich Identitäten noch „taugen“. Otoo antwortet darauf, dass solche Kategorien als Mittel zum Zweck genutzt werden können und es wichtig ist, eine „community“ zu haben, mit der man sich austauschen kann. Dabei verwies sie auf die Diskussion darüber, wie man Schwarze in der Literatur darstellt, und auf das von ihr kuratierte „Schwarze Literaturfestival Resonanzen“. Dies trage auf jeden Fall zur Sichtbarkeit bei und sei eine „schöne Message“, denn viel mehr Menschen sollten an der Literatur teilhaben. Diese Aussage wurde vom Publikum sehr begrüßt, das mit lautem Applaus seine Unterstützung zeigte. Insgesamt schienen die Zuschauer*innen begeistert von der durchgehend sympathischen Autorin.

Schade war allerdings, dass Bakker zu Ende gestehen musste, dass sie noch viel mehr Fragen gehabt hätte, die aus Zeitgründen nicht mehr geklärt werden konnten. Abgerundet wurde der Abend dennoch durch ein spontanes letztes Lesen der Autorin.

Dass der Abend ein voller Erfolg war, konnte man nicht nur am langen Applaus bemerken, sondern auch an der anschließenden Schlange zum Buchsignieren. Für ihre alten und neugewonnen Fans nahm sich Otoo abschließend ausreichend Zeit.

Die Lesung und das Gespräch mit Sharon Dodua Otoo reihten sich perfekt in das Biennale-Thema ‚Zuschreibungen‘ ein und die Veranstaltung zeigte einmal mehr, wie wichtig eine stetige Diskussion über dieses ist. Dabei darf aber auch unsere Vergangenheit nicht vergessen werden.