Christine Wunnicke – Die Dame mit der bemalten Hand

Einmal Indien und zurück.
Ein historischer Roman über eine abenteuerliche Orientreise und das in dieser verflixten Coronazeit? Könnte Lust aufs Reisen machen. Tut es nicht, ist aber dennoch lesenswert!

von Sebastian Milkereit

Christine Wunnickes 2020 erschienener Roman Die Dame mit der bemalten Hand spielt
im Indien des späten 18. Jahrhunderts. Einer der beiden Protagonisten ist die historische
Persönlichkeit Carsten Niebuhr. Ein Mathematiker, der als einzig Überlebender einer Orientexpedition, bestehend aus sieben europäischen Wissenschaftlern, zurückkehrte.
Und genau um diese Expedition geht es hier.
Doch Wunnicke gibt nicht plump Begebenheiten aus Niebuhrs eigenen Reisebeschreibungen
wieder und schmückt diese aus, sondern greift bewusst eine der Leerstellen aus seinem Werk auf. Die Handlung findet hauptsächlich auf der Insel Elephanta (in Niebuhrs eigenem Werk lediglich eine Randnotiz) statt. Eindrücklich werden die Gefahren und Beschwerlichkeiten für Orientreisen dieser Zeit geschildert. Von großer Hitze über gefährlichen Durchfall hin zu tödlichem Fieber.
Ernste Themen. Dann auch ein ernster Roman, mag man denken. Wären da nicht der Astrolabienbauer Meister Musa al-Lahuri und sein Diener Malik. Meister Musa stellt die lebhafte orientalische Antipode zum häufig reserviert bis unterkühlt wirkenden Norddeutschen Niebuhr dar.
Er und sein Diener finden auf der Durchreise zur Pilgerschaft nach Mekka den völlig entkräfteten und fiebernden Niebuhr in einem alten Hindu-Tempel auf Elephanta. Musa versucht ihn gesund zu pflegen und dabei kommen er und Niebuhr immer wieder ins Gespräch. Gebrochen, durch mehrere Sprachbarrieren behindert und voller Missverständnisse sind diese Unterhaltungen. Und genau das ist, woraus dieser kurze wie kurzweilige Roman (bei nicht einmal 170 Seiten lässt sich streiten, ob das der richtige Begriff für dieses Werk ist) seine Kraft zieht. Harmlose und bisweilen komische Missverständnisse kultureller wie sprachlicher Art zeigen die Gegensätzlichkeit, aber auch die Gemeinsamkeiten der Protagonisten auf. Zwei Männer der Wissenschaft, beide verstehen sich auf Sterne, auf Zahlen, auf den Wert eines guten Astrolabiums. Doch auch genau da liegen wieder die Unterschiede. Sieht Niebuhr in einem Sternbild die antike Gestalt der Kassiopeia, so sieht Musa nur die hennabemalte Hand der titelgebenden Dame. Große Konflikte werden in diesem Roman nicht aufgemacht. Weder innerlich noch äußerlich. Manchmal scheinen Ansätze von Konflikten hindurch, wenn es z. B.
darum geht, dass der berühmte Botaniker Carl von Linné die Entdeckungen Peter Forsskåls,
einem der Mitreisenden Niebuhrs, für sich zu beanspruchen versucht. Oder wenn Musa mal wieder der Geduldsfaden reißt und er seinen Diener, seine Seeleute oder sonst wen anbrüllt. Gerne auch im, für alle unverständlichen, Sanskrit.
So bleibt der Roman am Ende immer etwas zu brav. Nie führen die Missverständnisse zwischen den Protagonisten zu ernsthaften Auseinandersetzungen. Man scheint ein Werk vor sich zu haben, das vor allem auf die Schönheit kultureller Unterschiede und Gemeinsamkeiten reflektieren will und Konflikte ausklammert. Ein bisschen ein Roman zum Wohlfühlen, ohne jedoch Rosamunde-Pilcher-Kitsch zu verbreiten.

Dieser Text ist im Rahmen des Begleitseminars zum Kolloquium Literarische Neuerscheinungen im Wintersemester 2020/ 2021 entstanden.