Als es darum ging, das Thema für unsere Patenschaft bei der aktuellen Runde der Indiebookchallenge auszuwählen, schien das Motto „Lies ein Buch ohne den Buchstaben ‚A‘ im Titel“ eine machbare Herausforderung zu sein. Auf’s A lässt es sich doch sicher verzichten, viel eher noch als auf das E (der häufigste Buchstabe in deutschen Texten sowie in diversen europäischen Sprachen). Und selbst das ist möglich, man denke nur an Georges Perecs Roman-Experiment La Disparition von 1969: ein Buch, in dem Perec komplett ohne den Buchstaben E auskommt.
von Larissa Plath
Als Leipogramm oder auch Lipogramm bezeichnet man einen solchen sprachspielerischen Text, in dem bewusst auf einen oder mehrere Buchstaben verzichtet wird. Bereits in der Antike übte man sich in dieser Kunst des Weglassens, seinen Höhepunkt erreichte das Leipogramm in der barocken Dichtung. Zu den bekanntesten leipogrammatischen Werken des 20. Jahrhunderts zählt – neben Perecs „Roman ohne E“ – die Novelle Gadsby (1939) des amerikanischen Schriftstellers Ernest Vincent Wright. Der über 50.000 Wörter umfassende Text enthält ebenfalls kein E.
Dass die kreative Beschränkung des verfügbaren Wortschatzes auch in anderen Sprachen funktioniert, zeigen die Übersetzungen von Georges Perecs Roman (in einigen Fällen wird auf andere Buchstaben als das E verzichtet). Die übersetzerische Meisterleistung ins Deutsche stammt von Eugen Helmlé und kommt unter dem Titel Anton Voyls Fortgang ebenfalls ohne E aus, in der spanischen Übersetzung El secuestro von Hermès Salceda hingegen taucht der Buchstabe A nicht auf. El secuestro wäre somit die ultimative Wahl für den laufenden Monat der Indiebookchallenge – womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären. Zum Glück bezieht sich die ‚A‘-Losigkeit in diesem Fall bloß auf den Titel, ohnehin ist das A nur der sechsthäufigste Buchstabe in deutschen Texten (hinter dem R und vor dem T). Es müsste ein Leichtes sein, passende Bücher zu finden. Bei genauerem Hinsehen finden sich die einen oder anderen ‚A‘-losen Indie-Titel in meinem Regal:
- Dor und der September von Karl Friedrich Borée (Lilienfeld Verlag)
- Schnittbild von Anna Feinhofer (Luftschacht Verlag)
- Heimliches Berlin von Franz Hessel (Lilienfeld Verlag)
- Sunwise Turn von Madge Jenison (ebersbach & simon)
- In den Tiefen der Hölle von Ruth Landshoff-Yorck (AvivA Verlag)
- Die Schwerelosen von Valeria Luiselli (Verlag Antje Kunstmann)
- Spitzenreiterinnen von Jovana Reisinger (Verbrecher Verlag)
- Wense von Christian Schulteisz (Berenberg Verlag)
- Lolly Willowes von Sylvia Townsend-Warner (Dörlemann Verlag)
Dieser kurze Text über Sprachspiele und Buchstabenverzicht ist nicht ohne den Buchstaben A ausgekommen (und auch nicht ohne E). Vielleicht wäre das eine Herausforderung für eine unserer nächsten Rezensionen in diesem Indiebook-Monat? In der Zwischenzeit können die Sprachkunstwerke von Perec, Wright und Co. als Anschauungsmaterial dienen. Und ob mit oder ohne A, unabhängig gelesen wird so oder so.
