Christian Petzold – Yella: Filmkritik

„Wasser bindet mich an deinen Namen“, hat der palästinensische Dichter Mahmud Darwish einmal geschrieben und dabei vermutlich an das sanft schimmernde Mittelmeer vor der Levante gedacht; an die Elbe bei Wittenberge jedenfalls eher nicht. 2008 ist Darwish gestorben und hat damit – als wäre das seine Schuld – eine Welle der Bestürzung ausgelöst. Dass er seine letzten Lebensjahre dazu genutzt hätte, Yella (2007) von Christian Petzold zu schauen, ist gänzlich unwahrscheinlich; dass Petzold, diese Maschine der Intertextualität, aber einige Texte von Darwish gelesen haben könnte, liegt im Bereich des Vorstellbaren. In Yella jedenfalls bindet das Wasser die gleichnamige Hauptfigur nicht an irgendeinen Namen, sondern an Thanatos: Wo Wasser ist, ist der Tod.

von Jascha Winking

Das bemerkt Yella – gespielt von der immer wieder bewundernswert verschlossenen Nina Hoss – schon kurz nach Beginn des Films: Ihr psychisch instabiler Ex-Mann Ben – den Hinnerk Schönemann akkurat angsteinflößend spielt – will sie zum Zug nach Hannover fahren, wo ein neues Leben als Buchhalterin auf sie wartet. Im Laufe der Fahrt steigert er sich so sehr in die Beziehungs- und Geschäftsprobleme mit seiner Ex-Frau, dass er absichtlich das Lenkrad verreißt und beide im Auto von der Brücke stürzen. Normalerweise wird der Inhalt eines Films chronologisch erzählt, hier aber hilft nur der Anachronismus. Also, schnell zum Schluss. Denn wie Petzold den Film auflöst, ist genial wie verstörend zugleich: In einem Rückblick stürzen Yella und Ben erneut in den Fluss; diesmal aber endet alles unter Folie. Diese letzte Szene relativiert all das, was sich zwischen erstem und zweitem Wittenberger Fluss-Sturz ereignet; ein Dreißigjähriger Krieg ist es nicht, eher eine ewige Nahtoderfahrung. Petzold erklärt das zu Beginn des Drehbuchs: „Man sagt, dass den Sterbenden ihr Leben wie ein Film vor den Augen vorbeiziehe. Auch Yella sieht einen Film. Aber sie sieht nicht ihr gelebtes Leben. Sie will fort. In das andere, erträumte, ungelebte Leben.“

Und das hat es in sich: Im erträumten Leben retten sich Yella und Ben nach dem ersten Sturz ans Ufer; besonders für Yella geht das Leben atemlos weiter: Der Traum vom neuen Job zerplatzt, da aber taucht schon Philipp auf – lebhaft und trotzdem geheimnisvoll gespielt von Devid Striesow –, der mit bankrotten Firmen über neues Kapital verhandelt. Mit ihm stiehlt sie in der Folge Geld für eine potentiell millionenbringende Investition. Als ihnen noch 200 000 Euro fehlen, erpresst sie einen insolventen Firmenchef; diesmal aber ist sie zu weit gegangen. Beinahe gespenstisch erscheint der Mann ihr während eines Meetings komplett durchnässt (Wasser bindet sie an Thanatos) und natürlich wird er wenig später tot aufgefunden; er hat sich umgebracht. Nicht erst mit dem Auftauchen der Raben, die ebenfalls ständig Unheil ankündigen, wird der Film zu einer Hitchcock-Hommage und Yella zu einer Getriebenen wie Madeleine.

„Oh meine Sprache“, hat Darwish mal über das Arabische geschrieben, „werde ich werden, was du werden wirst, oder bist du, was aus mir wird?“ In diesem Sinne klingt „Yella“ verdächtig wie „Yalla“, diese phonetisch prägnanteste aller scheuchenden arabischen Floskeln, und so ist es kein Zufall, dass Yella immerzu atemlos unterwegs ist; dass sich immer wieder Szenerie und Umstände verändern, die beiden Hauptfiguren ständig über die Autobahnen des Landes fliegen und eine unangenehme Rastlosigkeit die Szenen kennzeichnet; aber so muss es wohl sein in unseren aufregendsten Träumen. Dass der Regisseur noch eine gewaltige Kapitalismuskritik einbaut und es sogar Anzeichen dafür gibt, dass Ex-Mann Ben, Philipp und sogar Yellas Vater ein und dieselbe Figur sind, scheinen da beinahe nur weitere Details zu sein, die den träumerischen Möglichkeiten unserer unendlichen Vorstellungskraft entspringen. „Träumer verlassen ihre Träume nicht, sie flackern auf und setzen das Leben fort, das sie im Traum haben.“ Dieser Satz könnte das Leitmotiv für Yellas Handeln sein und ebenfalls aus Petzolds Drehbuch stammen, tatsächlich aber entfloss er der Feder Darwishs. Vielleicht aber sind die beiden auch einfach dieselbe Person; in Petzolds Universum scheint schließlich alles möglich.