Sie marschieren im Kreis, recken ihre Demoschilder in die Höhe. „Gewalt ist keine Lösung“, „Revolte“, „Make love, not war“, „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“, rufen die drei Figuren abwechselnd in ihre Megaphone. Die paradoxe Mischung verschiedener Parolen kommt schließlich auf einen gemeinsamen Nenner: „Widerstand, Widerstand …!“ Einsatz für die gute Sache bedeutet Widerstand gegen – gegen was eigentlich? Was in bester Absicht geschieht, droht zur sinnentleerten Pose zu verkommen: So ergeht es auch Svenja, einer der zentralen Figuren in Nora Abdel-Maksouds Café Populaire. In ihrer Satire nimmt sich die Autorin den überholt geglaubten Klassenbegriff vor und führt die selbstgefällige ‚Aufgeklärtheit‘ eines kulturaffinen Bildungsbürgertums ad absurdum. Am Schauspiel Wuppertal ist das Stück derzeit unter der Regie von Maja Delinić in einer bissigen, doppelbödigen Inszenierung im Stream zu erleben.
von Larissa Plath
In der Mitte der Bühne befindet sich ein rundes Podest, drum herum hängen mehrere Reihen pastellfarbener Boxsäcke von der Decke. Hier findet er statt, der verbale Kampf um die Deutungshoheit, bei dem Hiebe nach allen Seiten ausgeteilt werden und treffsichere Punchlines die Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewissen erfordern. Dabei glaubt Svenja (Madeline Martzelos) zu wissen, wofür sich ihr Einsatz lohnt: Sie will die Welt im Allgemeinen und Barmen im Besonderen zu einem besseren Ort machen. Die 24-jährige ist eine prototypische Vertreterin eines weltoffenen, toleranten, konsumbewussten Bildungsbürgertums – „zivilisiert, gebildet, konfliktfähig“.
„Humor ist eine scharfkantige Waffe“ lautet Svenjas Devise, ihr Patentrezept ist der „Humornismus“ – theoretisch ein humorvoll vermittelter Humanismus, praktisch eine eher plumpe, wenig spaßige Angelegenheit. Stets bemüht, bei ihren Witzen die Linie des Sagbaren im Sinne der Political Correctness nicht zu überschreiten, scheitert sie an ihrem eigenen Vorhaben. Wen wundert es da, dass Svenja mit ihrem YouTube-Kanal gerade einmal acht Follower erreicht (von denen vier noch am Leben sind) und der große Durchbruch auf der Kleinkunstbühne auf sich warten lässt? Bis es soweit ist und sie das zum Verkauf stehende Gasthaus „Zur Goldenen Möwe“ zu ihrer eigenen Bühne machen kann, hält sich Svenja als Hospizclown über Wasser und findet in der altkommunistischen, 98-jährigen Hospizbewohnerin Püppi (Stefan Walz) ihren treuesten Fan.
Demaskierung
An Klischees wird bei Café Populaire bewusst nicht gespart, aber was harmlos-amüsant beginnt, nimmt mit dem Auftritt einer weiteren Figur an Fahrt auf: „Der Don“ (Julia Meier), Svenjas unterdrücktes, politisch inkorrektes Alter Ego, bahnt sich seinen Weg aus dem doppelbödigen Podest auf der Mitte der Bühne und hinein in Svenjas Gedankenwelt. Schlimmer noch, mischt sich die verzerrte innere Stimme just im entscheidenden Moment in Svenjas Livestream-Bewerbung für die „Goldene Möwe“ – und bricht fortan unkontrolliert, diskriminierend und verachtend aus der eigentlich so toleranten und verständnisvollen Svenja heraus. Julia Meiers Don ist eine elegante Erscheinung im flaschengrünen Samtanzug, sorgt mit süffisanter Miene für Unruhe und gibt klar den Ton an. In seiner Erzählerrolle kommentiert der Don, unterbricht, stellt in Frage und demaskiert Svenjas beflissen zur Schau gestelltes Verständnis für „Arbeitende“ und „Vermögenslose“ sowie ihre geheime Angst vor sozialem Abstieg. So wird demonstriert, was der Don schon zu Beginn des Stücks als das „Thema des Abends“ vorstellt: Klassismus, die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft.

„Ich habe nichts gegen arme Menschen. Ich wähle links,“ will Svenja ihrem Alter Ego, dem Publikum und wohl auch sich selbst weismachen. Gerade für diese Menschen sei ihr Video-Blog ein Angebot, der „geistigen Enge der Herkunft zu entkommen“, und wenn es um gute Ratschläge geht, ist Svenja zu Beginn um keine Antwort verlegen. „Auf dem Weg zur Kegelbahn, ja da kann man doch ganz wunderbar einen Richard David Precht zur Hand nehmen!“, versucht sie ihren Bekannten Aram zu motivieren. Der steht stellvertretend für Barmens Dienstleistungssektor, arbeitet unter anderem als Lieferant, Masseur, Uber-Fahrer, Yogalehrer und Paketbote. Auch Svenja hat einige ihr lästige Tätigkeiten in Arams Arbeitsbereich „ausgelagert“, wirft ihm begleitet von einem gönnerhaften „Stimmt so!“ das Trinkgeld zu und weist bei jeder Gelegenheit betont verständnisvoll („Er kann doch nichts dafür!“) auf die Unterschiede zwischen ihrer und seiner Lebensrealität hin.
Den Spiegel vorhalten
Wo könnte diese Art des selbstgefälligen Schulterklopfens besser in Szene gesetzt werden als in den sozialen Medien? In der Wuppertaler Inszenierung wird das Medium Video gleich in mehrfacher Hinsicht einbezogen. Die Aufzeichnung im Stream ermöglicht es, dass Svenjas auf der Bühne aufgenommene Vlogs in YouTube-Optik inklusive steigender Follower-Zahlen auf dem heimischen Bildschirm erscheinen. Mithilfe von stimmiger Live-Musik (Clemens Gutjahr) sowie Tanz- und Gesangseinlagen des Ensembles setzt Regisseurin Maja Delinić weitere Akzente, die für Abwechslung im vorwiegend frontal ans Publikum gerichteten Spiel sorgen. Dieses wird nicht ohne Grund mit ins Geschehen einbezogen: Wer glaubt, die Figuren und allen voran Svenjas Verblendung durchschaut zu haben, wird durch verschiedene Wendungen nicht nur eines Besseren belehrt, sondern tritt in genau die Falle, die Nora Abdel-Maksouds Stück für ein vornehmlich aus eben jenem kulturaffinen Bildungsbürgertum bestehendes Publikum bereithält – das Theater selbst und seine Akteure mit eingeschlossen.
Selbstironisch karikiert wird die Bemühtheit, mit der Gutmenschen wie Svenja ihre Werte propagieren und Kritik an anderen üben, ohne jedoch selbst über die sprachlich problematisierende Ebene herauszukommen und aktiv zu werden. Das ist auch gar nicht nötig, sofern die demonstrativ zur Schau gestellte Toleranz lediglich der Sicherung der eigenen sozialen Position und der Abgrenzung nach unten dient. Innerhalb dieser Filterblase, wo die vegetarische Hirse-Bowl und der umweltfreundliche Coffee-to-go-Becher aus Bambus als Statement gelten („#MoralischerKonsum“) und politisch korrekte Sprache den guten Umgangston ausmacht, ist überraschend wenig Platz für andere Meinungen. Mit einer zynischen Pointe endet das Stück und so schließt sich auch der Kreis – um die Figuren und um das Publikum. Aller ironischen Selbsthinterfragung zum Trotz ist das Unvermögen, etwas zu ändern, wohlkalkuliert im Stück inbegriffen und Teil der Inszenierung.
Café Populaire
von Nora Abdel-Maksoud
Termine:
Sa. 20. Februar 2021 19:30 Uhr
Mo. 22. Februar 2021 07:00 Uhr (Schulstreamingwoche)
Fr. 05. März 2021 19:30 Uhr (Zusatzvorstellung)
Die Tickets für den Stream können bis eine Stunde vor Beginn im Vorverkauf erworben werden. Danach ist die Aufzeichnung als Video-on-Demand 24 Stunden lang verfügbar.
Inszenierung: Maja Delinić
Bühne & Kostüme: Ria Papadopoulou
Musik: Clemens Gutjahr
Dramaturgie: Barbara Noth
Regieassistenz & Abendspielleitung: Serena Knüpper / Carina Jungbluth / Johanna Landsberg
Inspizienz: Alexander Sturm
Produktionsleitung: Peter Wallgram
Projektmanagement Stream: Julian Rasmus Grüter
Stream-Videoproduktion: WUPPERwerft
Konzept Videostream: Maja Delinić, Vera Maria Schmidt, Arne Schramm
Besetzung:
Madeline Martzelos: Svenja, Hospizclown. Guter Mensch
Julia Meier: der Don, Svenjas klassistische Abspaltung
Stefan Walz: Püppi, älteste Hospizpatientin. Zäh wie Rindsleder
Konstantin Rickert: Aram, Dienstleistungsproletariat
Clemens Gutjahr: ein Live-Musiker