Unbedarfter (Pseudo-)Aktivismus: Ingrid Lausunds „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ am Schauspiel Wuppertal

Im Einsatz für die gute Sache: Eva (Julia Meier, li.), Eckhard (Stefan Walz) und Christine (Annou Reiners, re.). Foto: Uwe Schinkel

Sie haben sich gut eingerichtet in ihrer Komfortzone, die Figuren in Ingrid Lausunds Stück: Irgendwo zwischen einem Hang zur Weltverbesserung, missionarischem Eifer, divenhafter Selbstinszenierung und ironischer Skepsis bewegen sich Christine, Eckhard, Eva, Leo und Rainer. Allesamt sind sie Schauspieler, gemeinsam proben sie für eine Benefizveranstaltung, bei der Spenden für ein Schulprojekt in Afrika gesammelt werden sollen. Dem Engagement für die gute Sache kommt – bei manchen mehr, bei manchen weniger – neben Unkenntnis auch das eigene Geltungsbedürfnis in die Quere und so werden die Proben zum individuellen Schaulauf. Unter der Regie von Anna-Elisabeth Frick hat das Schauspiel Wuppertal Lausunds bitterböse Satire in einer lebhaften, in ihrer ernsten Thematik treffenden Inszenierung im Theater am Engelsgarten präsentiert.

von Larissa Plath

Das klug konzipierte Bühnenbild von Christian Blechschmidt lässt erahnen, wo die gedankliche Reise an diesem Abend beginnt: Fünf große, aufklappbare Überseecontainer aus Sperrholz geben den Figuren Raum zur Selbstdarstellung und bilden ihre stereotypen und westlich geprägten Denkräume ab. Hier existieren wohlmeinende Unfähigkeit und Ignoranz in kompakter Form nebeneinander. Der junge Leo (Kevin Wilke) hockt in einer spartanisch eingerichteten Kiste mit Schlafsack und fällt durch fehlendes Interesse auf („Ich mach hier mit, weil’s Spaß macht!“), Christine (Annou Reiners) hat ihr Reich in einen begehbaren Kleiderschrank umfunktioniert, wo sie wirkungsvoll in verschiedenen Outfits posieren kann. Eckhards (Stefan Walz) äußeres Erscheinungsbild – Tropenhelm, beige Kniestrümpfe und Sandalen – kommt im mit Plastikpflanzen bestückten Container-Dschungel besonders zur Geltung, daneben agiert Eva (Julia Meier) in einer skurrilen Mischung aus Weltladen und Tiki-Coktail-Bar; eine Umgebung, die ebenso wie ihr Blätterrock und die Blumenkette mehr Klischees reproduziert als die überzeugte Weltverbesserin sie mit ihrer naiven Art in Frage stellt. Und überhaupt, „es muss doch mal erlaubt sein, das hier ganz kritisch zu hinterfragen,“ ereifert sich der Feingeist Rainer (Matthias Eberle) in seiner lila-samtigen, mit goldenen Kerzenleuchtern und einem Jacques-Louis David-Gemälde („Der Tod des Marat“) ausgestatteten Kiste. Sterben jährlich acht oder achtzig Millionen Menschen in Afrika? Da ist sich Rainer bei seiner Ansprache nicht sicher, dass die Verhältnisse dort wegen „Dürre, Drogen, Diktatur“ verheerend seien, kann er als kundiger Bildungsbürger aber nur bestätigen.

Alle fünf bewegen sich im Laufe der Proben in, auf oder neben ihrer Kiste, der coronabedingt eingeschränkte Bewegungsradius wird dabei kaum merklich nicht verlassen, der festgesteckte Denkradius zumindest in Ansätzen ausgeweitet. Für Konflikte sorgt die künstlerische Umsetzung der Spendenveranstaltung. Abläufe werden besprochen, Redeanteile ausgehandelt und bis ins Detail Betonungen einzelner Wörter kritisiert. „Allein schon wie du ‚Hungerkatastrophe‘ sagst“, wirft Christine ihrer Mitstreiterin Eva vor und bemängelt an anderer Stelle das Weinen zum falschen Zeitpunkt. Wo Eitelkeit und Konkurrenzdenken auf das vergebliche Bemühen um Authentizität und politische Korrektheit treffen, wo das Aushandeln von festgefahrenen Sprach- und Denkmustern und die Debattenkultur selbst zum Thema werden, da wirken Lausunds bissige Dialoge am besten.

In ihrer Überzeichnung sind die Figuren nah an der Grenze zum Klischee angelegt, aber dem rasant aufspielenden Wuppertaler Ensemble gelingt es, verschiedene Facetten der Charaktere aufzuzeigen. Ob nun Eva zum „zwanglos poetischen Moment“ oder zum von Trommeln und Stampfen begleiteten Ausdruckstanz aufruft, ob Leo eine Komikernummer aufziehen will, Christine eine emotionale Rede über Solidarität hält oder Rainer zugibt, dass er eigentlich keine Ahnung hat, worum es bei dem Ganzen überhaupt geht – was ihre tatsächlichen Beweggründe sind und was Teil der Selbstinszenierung ist, wird nicht völlig ausbuchstabiert. Die auf den ersten Blick stereotype Figurenzeichnung geht über das Schablonenhafte hinaus.

Überraschend kommt da der späte Ausbruch Rainers, der sich von seiner Kiste weg in die Mitte der Bühne bewegt und einen minutenlangen Monolog hält, in dem er fluchend Güte und Barmherzigkeit einfordert. Ist das nun echt oder gespielt? Seine Kolleginnen und Kollegen sind sich nicht sicher, verstecken sich in ihren Kisten und kommen erst nach Rainers bestürzenden Rede wieder zum Vorschein. Ist ja alles gut und schön, aber „’n bisschen lang“ sei der Monolog, „willst du das so machen?“. Wie auch immer Rainers Engagement zu bewerten ist, der Effekt ist eine spürbare Betroffenheit aller Beteiligten. Im besten Fall werden individuelle Denkräume während dieses anspruchsvollen Theaterabends einen Spalt weit geöffnet.


Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner
von Ingrid Lausund

Inszenierung: Anna-Elisabeth Frick
Bühne & Kostüme: Christian Blechschmidt
Dramaturgie: Peter Wallgram
Regieassistenz: Johanna Landsberg
Inspizienz: Alexander Sturm / Jonas Willardt
Produktionsleitung: Peter Wallgram

Besetzung:

Julia Meier: Eva
Annou Reiners: Christine
Kevin Wilke: Leo
Matthias Eberle: Rainer
Stefan Walz: Eckhard