Der Autor Marc-Uwe Kling lädt in seinem neuesten Roman wieder ein in die Welt von QualityLand, dem besten aller Länder. Haben Leser*innen im ersten Teil noch die Odyssee des Protagonisten Peter Arbeitsloser miterlebt, der eigentlich nur einen ihm fälschlicherweise zugestellten rosafarbenen Delphinvibrator loswerden wollte, begleiten sie nun in der Fortsetzung Kiki Unbekannt bei der Lösung des Rätsels um ihre Vergangenheit – wobei selbstredend sowohl Peter, als auch seine komplette Entourage, bestehend aus allerlei ungewöhnlichen Elektrogeräten, wieder mit von der Partie sind. Wie gewohnt darf man auch von diesem Roman erwarten, dass aktuelle gesellschaftliche und politische Themen auf witzig-kluge Weise, die sich auf einem Spektrum von Pennälerhumor bis geschickt platzierter Neuverwertung antiker griechischer Legendenstoffe bewegt, verhandelt werden.
von Lara Ehlis
In QualityLand ist einige Zeit vergangen. Das geltende Reparaturverbot wurde aufgehoben, wodurch Peter Arbeitsloser nicht mehr dazu gezwungen ist, defekte Maschinen zu verschrotten. Ganz im Gegenteil nehmen diese nun auf seiner Therapiecouch Platz, um im Gespräch die Gründe für ihre Fehlfunktionen herauszufinden. Peters Leben scheint sich – endlich – zum Guten gewendet zu haben, als er plötzlich entführt wird. Zu allem Überfluss, jedoch nicht zu Peters Bedauern, taucht auch seine Ex-Freundin und Hackerin Kiki Unbekannt wieder auf und sorgt dafür, dass die Dinge noch komplizierter werden, als sie es ohnehin schon sind.
Kiki versucht, Licht ins Dunkel ihrer Vergangenheit zu bringen und stößt dabei auf das „Recht auf Vergessenwerden“: Bürgern QualityLands, die ein bestimmtes Level (Stichwort: Gamification) erreicht haben, steht es offen, Dinge, die sie getan haben, löschen zu lassen. Da der Alltag nicht mehr ohne digitale Assistenten, Künstliche Intelligenzen und Augmented Reality, und damit auch nicht ohne Daten aus dem riesigen Erinnerungsspeicher des Internets, auskommt, können Verfehlungen aller Art quasi ungeschehen gemacht werden. Dieses Phänomen führt zu allerlei Ungereimtheiten, so auch im konkreten Fall von Kikis Vergangenheit.
Auf ihrer Heldenreise wimmelt es nur so von Widrigkeiten, die sich Peter und Kiki in den Weg stellen: Seien es aggressive Killer-Roboter, von Liebesfrust geplagte Küchengeräte oder Anhänger einer neuartigen Sekte, die der Meinung sind, John of Us – seines Zeichens Androide und ehemaliger Präsident von QualityLand – weile noch unter ihnen. Fest steht, dass der wunderbare Schreibstil Klings gerade in den absurden Situationen besonders zur Geltung kommt, die beispielsweise durch rachsüchtige Treppenreinigungs-Roboter entstehen. Dabei sind die Verstrickungen und Zufälle zwar manchmal eher infantil-witzig erzählt, häufig aber von einem intelligenten Humor geprägt.
„Zurück zur Katze“, sagte der Alte. „Als man den Computern durch Deep Learning beigebracht hatte, eine Katze zu erkennen, kamen ein paar findige Forscher auf die lustige Idee, den Computer zum Künstler zu machen und ihn auf Basis seines neu erworbenen Wissens Katzen malen zu lassen. Und das Ergebnis war, nun ja, überraschend.“
Der Alte deutete auf ein Bild an seiner Wand. Schwarze und weiße Pixel, scheinbar sinnlos verteilt. Unter das Bild hat der Alte per Hand „Ce n’est pas un chat“ geschrieben.
„Das ist doch keine Katze“, sagte Peter.
Wie bereits in QualityLand geschehen, wird auch in der Fortsetzung eine Gesellschaft dargestellt, die an der digitalen Nadel hängt – und deren Eigenschaften und Eigenheiten zugegebenermaßen gar nicht so weit entfernt von den unseren sind. QualityLand 2.0 stellt mithilfe seiner Figuren Skeptiker, revolutionäre Outsider, superreiche Bürger, die sich das System auf Kosten der breiten Bevölkerung zunutze gemacht haben, und QualityLand-Natives, die mühelos durch das Wirrwarr navigieren, dar. Gesellschaftlicher Aufstieg und Fall in einer Welt, in der jede*r primär um ihr*sein eigenes Level besorgt ist, werden ebenso erzählt wie der Ausbruch des Dritten Weltkriegs, der nach acht Minuten vorbei war und dessen Grund sich allen natürlichen Intelligenzen nicht erschließt. Auch die Problematik der Sinnlosigkeit mancher Berufe wird beleuchtet – aber hey, alles nicht so tragisch, schau mal, ein niedliches Katzenvideo!
Die Erzählinstanz im Roman ist Kalliope 7.3, ihres Zeichens E-Poetin und Mitglied der elektronischen Entourage ausrangierter Geräte, die sich um Peter schart. Als Teil der Narration kommt Kalliope 7.3 verhältnismäßig selten vor, sie gleicht dies jedoch durch allerlei Fußnoten aus, die das Geschriebene kontextualisieren. Die auf diese Weise entstehenden Meta-Kommentare tragen positiv zur Tonalität des Romans bei und locken bei der*dem Leser*in das eine oder andere Lächeln hervor. Hintergrundinformationen über die Welt in und um QualityLand werden mithilfe erzählerischer Einschübe geliefert: Mal handelt es sich um eine Werbeanzeige für Reisen („Tauche hinab nach Venedig. Entdecke die berühmteste Unterwasserstadt der Welt mit unseren zertifizierten Tauchführern. Schlafe im ersten Unterwasserhotel der Geschichte! Atlantis ist ein Scheiß dagegen.“), an anderer Stelle findet sich ein Tutorial für eine DIY-Killerdrohne oder ein Gespräch zweier Figuren, das an einen der zahlreich vorhandenen YouTube-Kanäle erinnert. Letztere sind aufgrund der übertriebenen Jugendsprache häufig keine angenehme Lektüre und werden im Laufe des Romans etwas nervig – aber das sind die Produkte vieler real existierender YouTube-Kanäle ja auch. Wesentlich zur Erheiterung der Lesenden tragen die Kapitelüberschriften bei, die den Clickbait-Artikeln nachempfunden sind, die – getreu dem Motto „dumm klickt gut“ – zuhauf im Internet gefunden werden können.
QualityLand 2.0 schafft es, den Spagat zwischen Gesellschaftsdystopie und launiger Heldenreise unterhaltsam zu erzählen. Leser*innen können sich auf einen Roman voller skurriler Ereignisse und Wendungen freuen, der seine Inspiration aus Internet-Phänomenen und Entwicklungen unserer Zeit bezieht und genau deshalb so viel Anschlussfläche bietet. Bei diesem Roman handelt es sich nicht, wie man eventuell befürchten könnte, um die in der Mikrowelle aufgewärmte Variante des ersten Teils, sondern um eine vollwertige eigene Erzählung mit neuen Ideen. Nichtsdestotrotz sollte QualityLand bereits aus vorhergehender Lektüre (oder aber aus dem wie immer unterhaltsam vom Autoren Kling selbst live eingelesenen Hörbuch) bekannt sein. Einen Vorgeschmack auf QualityLand 2.0 und die besondere Tonalität des Romans bietet die eigens eingerichtete Homepage.
QualityLand 2.0: Kikis Geheimnis ist als gedruckter Roman und als Hörbuch bei Ullstein erschienen.