Die Wuppertaler Literatur Biennale findet in diesem Jahr rein digital statt und auch die Auf der Höhe-Redaktion verfolgt die Lesungen und Vorträge per Livestream von zu Hause aus. Berichtet wird trotzdem, denn ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Formate: Stift und Notizblock liegen parat, um individuelle Eindrücke, Beobachtungen und Gedanken zu den einzelnen Veranstaltungen in Form eines „Logbuchs“ festzuhalten. Wo die literarische Reise hingeht und welche (Um-)Wege die Gedanken der Redakteur*innen dabei nehmen, kann man im Folgenden nachlesen.
SONNTAG, 8. NOVEMBER 2020
Ilija Trojanow – EisTau
Moderation: Marija Bakker
Lara, 16.03 Uhr. Weiter geht es mit Ilija Trojanow im Gespräch mit Marija Bakker und direkt zu Beginn denke ich, was mir bereits gestern beim Zusehen in den Sinn kam: Die Bühne im LOCH, auf der Autor und Moderatorin sich befinden, ist wunderbar gemütlich eingerichtet – ich schaue quasi von meinem Wohnzimmer direkt in das Wohnzimmer der Wuppertaler Literatur Biennale hinein.
Larissa, 16.06 Uhr. Ein Gletscher als „Archiv der Menschheitsgeschichte“: eine einprägsame Metapher, die Trojanow mit Blick auf seinen Roman EisTau vorstellt.
Lara, 16.09 Uhr. Keine zehn Minuten sind vergangen und Trojanow hat es bereits geschafft, mich mit seinen emotionalen Erzählungen zum Anlass des Schreibens von und zur Recherche für den Roman EisTau einzufangen.
Larissa, 16.09 Uhr. Der Autor beginnt, einen Auszug aus seinem Roman zu lesen – mit einer auffallend eindringlichen Erzählstimme!
Lara, 16.10 Uhr. Trojanow liest aus seinem Roman vor – was für eine großartige Vorlesestimme!
Larissa, 16.11 Uhr. Zeno, der Protagonist in Trojanows Roman, ist Glaziologe, ein Gletscherforscher. In poetischer Sprache werden die Eigenheiten des Gletschers beschrieben, seine Beschaffenheit und seine natürliche Schönheit.
Lara, 16.20 Uhr. Im Gespräch wird deutlich, dass es Trojanow in seinem Roman um das Spannungsfeld zwischen menschlichem Leben(sstil) und dem Überleben der Natur geht. Es ist von der „Liebe zum Gletscher“ die Rede, die im Fall des Wissenschaftlers Zeno wohl eine unglückliche ist.
Lara, 16.25 Uhr. Interessant, wie Trojanow Einblicke in seinen Schaffensprozess gewährt und erläutert, mit welchem Hintergrund er welche Metapher verwendet.
Larissa, 16.28 Uhr. Trojanow liest eine weitere Passage, deren Stil er als Kakophonie bezeichnet: Verschiedene Stimmen, Fragmente, Sprachfetzen aus Werbung usw. wechseln sich ab, erzeugen eine irritierende Wirkung. Abgebildet wird die „Dauerbeschallung“, der wir im Alltag ausgesetzt sind und die es erschwert, sich Gehör zu verschaffen und die wichtigen Stimmen überhaupt zu hören.
Larissa, 16.45 Uhr. Die vergangenen Minuten habe ich einfach nur der Erzählung gelauscht. Was für eine starke Passage! Zeno realisiert, dass sein Gletscher – der hier beinah menschliche Züge annimmt – „tot ist“, wie er sagt. Die Ignoranz eines arglosen, sich an der Landschaft erfreuenden Spaziergängers kann Zeno nicht ertragen.
Lara, 16.48 Uhr. EisTau ist vor zehn Jahren erschienen und hat damals recht gemischte Kritiken geerntet; eventuell war der Roman einfach seiner Zeit voraus. Mittlerweile gilt EisTau, so Trojanow, als ein „Klassiker“ des Subgenres Climate Fiction.
Larissa, 16.51 Uhr. Marija Bakker kommt nochmal auf die Climate Fiction zurück; ein Subgenre, das in den letzten Jahren viele Romane hervorgebracht hat und im Bereich des Ecocriticism mittlerweile auch in der Literaturwissenschaft untersucht wird.
Lara, 16.56 Uhr. Einmal mehr kommt Trojanow auf das – mehr oder weniger – intelligente Handeln der Menschen zu sprechen und vergleicht es, ganz unter dem Motto der WLB2020, mit Künstlichen Intelligenzen, die von vielen Menschen gefürchtet werden, während das eigene Verhalten nicht reflektiert wird.
Larissa, 16.59 Uhr. Würde Trojanow seine Figur Zeno heute anders konzipieren? Der Autor erklärt, dass Zeno weniger Individualist und Einzelkämpfer, sondern vielmehr Teil einer Gruppe wäre.
Larissa, 17.15 Uhr. Zum Abschluss liest Trojanow eine weitere Passage und führt die Zuhörer*innen in die Antarktis und zu einer Pinguinkolonie. Ich könnte noch sehr viel länger zuhören!
Larissa, 17.20 Uhr. Der Autor arbeitet derzeit an einer literarischen Utopie – ein Gegenentwurf zu all den Dystopien, die uns umgeben. Wie die wohl aussehen wird?
Lara, 17.21 Uhr. Was wir demnächst von Trojanow erwarten dürfen? Er stellt eine Utopie in Aussicht! Das ist wirklich ungewöhnlich, vor allem in der heutigen Zeit. Man darf gespannt sein!
Lara, 17.22 Uhr. Bakker und Trojanow bei ihrem Gespräch zuzuhören, war eine Freude und ein würdiger Abschluss der diesjährigen Wuppertaler Literatur Biennale. Nach abschließenden Dankesworten von Julia Wessel ist die Biennale nun leider wirklich zu Ende. Das digitale Format stand der Biennale und ihren zahlreichen Vorträgen zwar wirklich gut zu Gesicht, dennoch freue ich mich auf eine Neuauflage in zwei Jahren, die hoffentlich wieder in gewohnter Weise stattfinden können wird!
Larissa, 17.26 Uhr. „Das war die Wuppertaler Literatur Biennale 2020“ erscheint auf dem Screen. Ein großes Glück, dass das Literaturfestival all den Widrigkeiten zum Trotz und mit vereinten Kräften der engagierten Verantwortlichen stattfinden konnte. Ich freue mich aufs nächste Mal!
SAMSTAG, 7. NOVEMBER 2020
Berit Glanz – Pixeltänzer
Moderation: Mithu Sanyal
Larissa, 15.59 Uhr. Berit Glanz’ Pixeltänzer liegt (bisher noch ungelesen) neben mir auf dem Tisch. Umso mehr freue ich mich auf die kommende Stunde und darauf, vielleicht sogar noch heute Abend mit dem Lesen des Romans zu beginnen.
Larissa, 16.00 Uhr. Pünktlich geht’s los. Ortswechsel: Gestern aus dem Café Ada, heute aus dem LOCH. Gemütlich sieht es aus in dieser analog-digitalen Leseumgebung.
Larissa, 16.06 Uhr. Moderatorin Mithu Melanie Sanyal und Berit Glanz sprechen zum Einstieg über die Startup-Welt im Allgemeinen und deren Darstellung in Pixeltänzer im Besonderen. Ein zweiter Erzählstrang des Romans führt in die Zwanzigerjahre. Wie das wohl zusammenhängt?
Larissa, 16.11 Uhr. Meist lese sie bei Veranstaltungen dieselben Stellen aus ihrem Roman, aber „exklusiv für Wuppertal“ präsentiert Berit Glanz nun zwei speziell für diesen Anlass gewählte Auszüge aus ihrem Roman.
Larissa, 16.11 Uhr. Die erste gelesene Passage führt in die Berliner Startup-Szene und zur Protagonistin Elisabeth, genannt Beta. Das Setting ihres Arbeitsumfeldes wird sofort plastisch: Im Büro des Unternehmens gibt es einen Ruheraum und ein Aquarium, in dem Goldfische „in den Farben des Firmenlogos“ schwimmen – zur Steigerung des „Entspannungspotenzials“ wohlgemerkt. Den Roboterfisch, der seine Kameraaugen überall hat, versenkt Beta kurzerhand in der Spree.
Larissa, 16.18 Uhr. Szenenwechsel: Ab ins Berlin der 20er Jahre und in die Theaterwelt. Premierenabend, Tanzkapelle, Schaumwein und Gin … auf den Straßen Gruppen von Kommunisten … Euphorie, Kokain und Kristallleuchter im Tanzlokal. Sehr atmosphärisch, ich möchte wissen, wie es weitergeht.
Larissa, 16.23 Uhr. Mithu Sanyal spricht die ungewöhnlichen Kapitelanfänge des Romans an. Es handelt sich dabei um Kurzbefehle in Programmiersprachen, die in ihrer Struktur mit der des Romans zusammenhängen, erklärt Berit Glanz. Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich mir das vorstellen soll, bin aber gespannt darauf, mir das Ganze näher anzuschauen.
Larissa, 16.24 Uhr. Papierrascheln erschwert das Zuhören. „Die Realität bricht ein“, lacht Berit Glanz, und nimmt ihr Buch aus der Reichweite des Mikros.
Larissa, 16.25 Uhr. Zurück zu den kryptischen Kapitelanfängen und der Frage, ob es möglich ist, den programmierten Lebensweg zu verlassen.
Larissa, 16.28 Uhr. Lavinia Schulz und Walter Holdt: ein Künstlerpaar, das in den 1920ern für seine expressionistischen Maskentänze bekannt war und auf deren Spuren sich die Figur Beta in Glanz’ Roman begibt. Wie hat Berit Glanz dieses in Vergessenheit geratene Paar entdeckt? Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hat seine Exponate digitalisiert und Bilder der beiden Tänzer sind als public domain verfügbar und in Umlauf gekommen. So sei sie auf die beiden aufmerksam geworden, erzählt die Autorin.
Larissa, 16.29 Uhr. Gerade noch höre ich gespannt zu, dann sind plötzlich Bild und Ton weg …
Larissa, 16.39 Uhr. Hoffentlich funktioniert der Stream gleich wieder! Ich möchte doch wissen, was es im Roman mit Lavinia und Walter auf sich hat. Die Wartezeit überbrücke ich mit Kaffee.
Larissa, 16.46 Uhr. Es geht weiter! Das waren die spürbaren „Auswirkungen der Digitalisierung auf die Literaturrezeption“, so die Moderatorin.
Larissa, 16.48 Uhr. Ich werde immer neugieriger auf den Roman. Viele spannende Aspekte werden angesprochen; Autorin und Moderatorin lachen viel und wirken sehr offen in ihrem Gespräch.
Larissa, 16.54 Uhr. Themen wie Nähe und Distanz, die Möglichkeit, letztere über den Bildschirm zu überwinden, das Verhältnis zwischen virtueller und realer Welt: Nicht nur im Roman, sondern auch gerade in diesen Tagen so relevant.
Larissa, 17.10 Uhr. Waren die Entwicklungen der 1920er vergleichbar mit denen unserer Gegenwart? Es kam zum „Scheitern von Weltbildern“, der Expressionismus befand sich laut Glanz zu jener Zeit am Kipppunkt, nahe zum Faschismus und zur völkischen Logik.
Larissa, 17.12 Uhr. Berit Glanz’ neuer Gedichtband trägt den Titel Partikel und führt in die Welt des expressionistischen Künstlers Alfred Partikel. Noch nie gehört, kommt auf meine Leseliste!
Larissa, 17.18 Uhr. Schade, dass die Veranstaltung zu Ende ist. Lockere Atmosphäre, sympathische Akteurinnen und kluge Gespräche – da hätte ich gerne noch länger zugehört. Aber die Pixeltänzer rufen schon …
Artur Dziuk – Das Ting
Moderation: Dina Netz
Lara, 18.10 Uhr. Der Einstieg des Gesprächs zwischen Autor Artur Dziuk und Moderatorin Dina Netz ist vielversprechend. Die Prämisse des Romans – Menschen geben die Kontrolle über ihr Leben an eine App ab, die Empfehlungen zur Alltagsgestaltung gibt – klingt interessant… und gar nicht mal so abwegig.
Wiebke, 18.18 Uhr. Den Hund eines Unbekannten auf der Straße küssen? Klingt zunächst nach dem seltsamen Einsatz einer verlorenen Wette, ist aber der – eher kreative – Vorschlag der App, um das Sozialleben eines der Protagonisten zu verbessern.
Wiebke, 18.20 Uhr. Die erste Passage, die vorgestellt wird, macht schon jetzt Lust auf mehr.
Lara, 18.21 Uhr. Ich werfe einen Blick in das Programmheft der Biennale, um mich zu vergewissern, ob Das Ting wirklich ein Romandebüt ist: Tatsache. Der Ausschnitt, den Dziuk liest, überzeugt.
Lara, 18.28 Uhr. Dziuk macht klar, dass der Blick in seinem Roman zwar in die Zukunft geht, gleichzeitig aber die Einführung neuer elektronischer Angebote in der Vergangenheit reflektiert.
Lara, 18.30 Uhr. Netz spricht genau die Frage aus, die mich auch schon seit Minuten umtreibt: Was genau ist daran Science Fiction, wenn eine App Lebensempfehlungen gibt? Wo unterscheidet sich das Titelgebende „Ting“ von Smartwatches, die heute an vielen Handgelenken gefunden werden können?
Wiebke, 18.30 Uhr. Auch mir kam beim Zuhören immer wieder der Vergleich zu bereits real existierenden Smartwatches in den Sinn.
Lara, 18.36 Uhr. Wenn man Dziuk von seinen Figuren und deren Entstehung sprechen hört, gewinnt man das Gefühl, er spreche von echten Menschen. Ein zweiter Ausschnitt aus dem Roman folgt und überraschenderweise scheint auch das „Ting“ nicht auf seine Rolle als App, als digitaler Ratschlaggeber, beschränkt zu sein. Vielmehr macht es den Eindruck, als sei es eine eigenständige Figur. Wie ungewöhnlich, aber interessant.
Wiebke, 18.49 Uhr. Dziuk gibt an, dass er selber eine solche App ausprobieren würde. Er sagt aber auch, er glaube, dass das Ting in unserer Zeit keinen durchschlagenden Erfolg hätte.
Lara, 18.54 Uhr. Dystopie? Zukunftsgewandte Alltagsbeschreibung? Fest steht, dass in Dziuks Roman der Themenkomplex Verantwortung bearbeitet wird.
Lara, 19.00 Uhr. Schade, schon vorbei. Aber ich glaube ich weiß, welcher Roman auf meine „to read“-Liste wandern wird!
Wiebke, 19.00 Uhr. Hätte definitiv noch länger zuhören können. Der Roman kommt auch auf meine Liste!
Emma Braslavsky – Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten
Moderation: Birte Fritsch
Wiebke, 20.04 Uhr. Anmoderiert von Birte Fritsch wird Emma Braslavsky per Video zugeschaltet. Der Roman ist mir nicht unbekannt. Die letzte Lektüre – ich habe das Buch tatsächlich schon mehr als einmal gelesen – ist noch nicht lang her. Ich bin gespannt.
Lara, 20.12 Uhr. Huch, ich habe ganz das Logbuch vergessen, als ich gespannt den Worten der Autorin gelauscht habe… Meine Lektüre von Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten ist mittlerweile etwa ein Jahr her, aber mir fällt beim Zuhören sofort wieder ein, weshalb ich den Roman damals so gemocht habe.
Wiebke, 20.17 Uhr. Im Gespräch erklärt Braslavsky, dass dem Roman die Erzählung Ich bin dein Mensch, die bereits verfilmt wurde, vorausgegangen ist.
Larissa, 20.21 Uhr. Ich kenne den Roman noch nicht, für mich ist Emma Braslavskys dystopisches Berlin Neuland. Der erste Eindruck ist vielversprechend.
Wiebke, 20.30 Uhr. In der zweiten Textpassage wird die Recheneinheit Roberta Köhl, eine Protagonistin des Romans, vorgestellt. Roberta soll als Sonderermittlerin im Suizid-Dezernat arbeiten.
Larissa, 20.33 Uhr. KI-Sonderermittlerin Roberta wird von ihren Kollegen mit sexistischen Kommentaren begrüßt – künstliche Intelligenz hin oder her, das männliche Denken verharrt hier in alten Strukturen.
Lara, 20.37 Uhr. Was im Roman so technisch korrekt als „Recheneinheit“ bezeichnet wird, trägt doch recht menschliche Charakterzüge: Die Sonderermittlerin Roberta, ihres Zeichens Roboter, reflektiert das um sie herum Geschehende; man kann ihr einen gewissen Witz nicht absprechen.
Helena, 20.37 Uhr. Ich glaube, dieses Buch möchte ich weiterlesen!
Helena, 20.39 Uhr. Braslavsky entscheidet sich für eine ‚Roberta‘ statt für einen ‚Robert‘, weil ihr Sophia, der menschlich anmutende Roboter, außerordentlich stereotyp erscheint. Kommen in der Gestaltung und dem Umgang mit ‚Hubots‘ Geschlechterrollen zum Vorschein, von denen wir dachten, sie zumindest weitestgehend abgelegt zu haben?
Larissa, 20.43 Uhr. Wie kann die KI vom Menschen lernen, menschlich zu sein, wenn sich der Mensch seiner selbst und der Bedeutung seiner Menschlichkeit nicht bewusst ist? Auf dieses Paradoxon weist Braslavsky hin und wirft damit eine spannende Frage auf.
Helena, 20.46 Uhr. Brauchen wir denn wirklich Roboter, um zu wissen, wer wir sind? Geht es nicht vielmehr um ein Dazwischen zu einem grundsätzlichen Gegenüber, das wir suchen?
Larissa, 20.48 Uhr. Dienst nach Vorschrift ist nichts für Roberta, sie begibt sich auf nächtliche Streifzüge. Was sie dabei erlebt? Das möchte ich im Detail nachlesen. Laut Braslavsky ist Roberta eine „geniale Dilettantin“, die im Laufe des Romans mit widersprüchlichen Erfahrungen und Erlebnissen konfrontiert wird.
Wiebke, 20.48 Uhr. Im Roman treffen viele unterschiedliche Themenbereiche aufeinander: Feminismus, Diskriminierung, Stereotype und Selbstfindung sind nur einige davon.
Wiebke, 20.52 Uhr. Menschlichkeit ist ein großer Punkt in der Erzählung. Mir stellt sich die Frage, wer letztendlich die menschlichere Position hat, die Menschen oder Roberta?
Helena, 20.58 Uhr. Beata, Lennards Hubot, scheint menschlicher als seine Mutter zu sein. Diese bindet Zuneigung oder gar nur Respekt zu ihrem Sohn an die Erfüllung ihrer Erwartungen an ihn, was mit Braslavskys Referenz zur kapitalistischen Gesellschaft korreliert.
Wiebke, 21.09 Uhr. Ein Zitat, das mir – bei der Lektüre und jetzt beim Zuhören – in Erinnerung geblieben ist: „Wovor habt ihr denn mehr Schiss, vor einer intelligenten Frau oder vor einer intelligenten Maschine?“
Larissa, 21.12 Uhr. Dieses Zitat wird auch mir im Kopf bleiben. Bis zu dem Punkt, an dem ich es in Braslavskys Roman erneut lesen werde und darüber hinaus. Für mich ein sehr gelungener Abschluss dieses Biennale-Tages!
FREITAG, 6. NOVEMBER 2020
Das Wesen, das nicht eines ist. Vortrags-Lesung mit Andreas Steffens und Philippine Pachl
Larissa, 18.01 Uhr. „Ein Abriss der Verwandlungsgeschichte des Menschen“ ist angekündigt. Klingt vielversprechend, los geht’s.
Larissa, 18.02 Uhr. Dran denken: Apollinaire lesen!
Larissa, 18.10 Uhr. Merke und notiere: Nachlesen, was W.G. Sebald in „Tiere, Menschen, Maschinen“ über Kafka schreibt.
Larissa, 18.11 Uhr. Margarete Susmann, die erste deutsche Philosophin und Schülerin von Georg Simmel. Nie gehört, nachlesen!
Larissa, 18.19 Uhr. Pachl liest den Anfang von Alice Berends Roman Die Bräutigame der Babette Bomberling. Mit ein paar Klicks wird später am Abend die Leseprobe runtergeladen.
Larissa, 18.20 Uhr. Kultur als Mittel der Sinnstiftung für das, was Natur vorenthält.
Larissa, 18.25 Uhr. Ein Schritt wird übersprungen: Der Mensch will zur Maschine werden, bevor die Menschwerdung abgeschlossen ist.
Larissa, 18.26 Uhr. „Das Tier ist der Sündenbock des Unmenschlichen“.
Larissa, 18.29 Uhr. Fazit: Der Mensch ist im Lauf der Geschichte zu wenig Mensch geworden.
Larissa, 18.40 Uhr. Philippine Pachl und Andreas Steffens haben wunderbar zusammen gelesen. Bei der Fülle an Verweisen, Informationen und Gedanken konnte ich nicht mehr als Stichworte notieren. Einige Schlaglichter, denen außerhalb meiner eigenen Gedankengänge wohl nicht allzu leicht zu folgen ist – ich schreibe sie hier trotzdem auf. Den Essay von Andreas Steffens kann man bald in Gänze lesen.
Was Sie immer schon über Katzen wissen wollten und Ihren Androiden nie zu fragen wagten. Thorsten Krämer & die Algorithmics
Lara, 21.05 Uhr. Kurzzeitig gibts ein paar technische Problemchen und ich sehe anstelle der Übertragung nur einen Pausenbildschirm. Die Zeit lässt sich aber mit der wunderbaren Wartemusik prima überbrücken. Als es weitergeht, ist der Wiedereinstieg dank der Moderator*innen Birte Fritsch und Max Christian Graeff schwungvoll.
Lara, 21.11 Uhr. Kameraschwenk: Huch, was ist denn da los? Sieht ein bisschen nach Garagenflohmarkt aus, aber die Musiker*innen Alisa Berger, Andreas Oskar Hirsch und Taka Kagitomi entlocken dem vermeintlichen Krempel allerlei ungewöhnliche Geräusche. Der Autor Thorsten Krämer spricht dazu.
Ganz schön schräg – aber gleichzeitig echt eindrucksvoll.
Larissa, 21.15 Uhr. Haben Androiden ein Schamgefühl? Eine gute Frage, über die man sicher auch nicht alle Tage nachdenkt.
Larissa, 21.17 Uhr. Welche Töne die Algorithmics diesen mehr als ungewöhnlichen Instrumenten entlocken, ist faszinierend. Hier wird ein Rädchen gedreht, dort ein Regler verschoben oder eine Taste gedrückt, heraus kommen dabei unbekannte, unvergleichbare Klänge.
Lara, 21.29 Uhr. So oder so ähnlich stelle ich mir Instrumente vor, wie es sie in einer postapokalyptischen Welt geben könnte. Aber: Meine Ohren haben sich langsam an den ungewöhnlichen Sound gewöhnt und haben Spaß daran!
Larissa, 21.45 Uhr. Sirren, Flirren, Klirren, Rauschen, Dröhnen, Klappern, Spratzeln, Klopfen, Kratzen … all das ist zu hören und beschreibt nur unzureichend, welche Klangwelten entstehen und den Text umspielen. Ich höre zu und staune.
Lara, 21.46 Uhr. Einer der Musiker*innen nimmt hinter Krämer Aufstellung, er hält eine Blechschüssel in der Hand. Und da man zum jetzigen Zeitpunkt allerlei ungekannte Geräusche von dieser Performance gewohnt ist, frage ich mich, was wohl nun als nächstes passieren mag. Einmal mehr lässt die musikalische Darbietung sphärische Elemente erkennen, die mit den vorgetragenen Fragestellungen und Gedankenanstößen der Lesung Hand in Hand gehen.
Larissa, 21.52 Uhr. Künstliche Katzen? Jetzt wird’s uncanny. Oder ich habe zu viel Poe gelesen … Und dann ertönt ein verzerrtes Miauen im Hintergrund … Gänsehaut.
Lara, 21.56 Uhr. Ich bin erstaunt darüber, dass während der gesamten Veranstaltung weder der Autor, noch die Musiker klar im Vordergrund des Geschehens gestanden haben. Lesung und Musikdarbietung gingen immer wieder organisch ineinander über – und dieser Eindruck wird durch die letzten Töne nur noch verstärkt, die dem Geräusch eines schlagenden Herzens nachempfunden sind.
Das war großartig!
Larissa, 21.59 Uhr. Wow, diese Performance klingt im wahrsten Sinne des Wortes nach! Unglaublich, welche Atmosphäre entstanden und selbst via Streaming spürbar geworden ist. Klar, das hätte ich sehr gerne live vor Ort gesehen und gehört – aber auch so war es ein besonderes Erlebnis!
Dis/Play – bewegte Schrift
Text-Performance des Literaturmagazins neolith und der studentischen Initiative „Fakultät 0“ zur Förderung der performativen Künste an der Bergischen Universität Wuppertal.
Lara, 22.09 Uhr. Der Bildschirm ist in vier gleichgroße, schwarze Rechtecke geteilt. In jedem davon bewegt sich eine Person, tritt – mal mehr, mal weniger – in Interaktion mit einem weißen Würfel. Die Personen bleiben stumm, während, in bester Nachrichtensprechermanier, eine männliche Stimme spricht.
Lara, 22.16 Uhr. Die erzählten Worte kommen fragmentarisch daher, dieser Eindruck wird durch die abstrakten Bewegungen, die die stummen Personen in ihren digitalen Rechteck-Fenster vollführen, untermalt.
Lara, 22.20 Uhr. Das erzählende Ich schildert Eindrücke, die es von seinem Fenster aus gesammelt hat. Der Blick vom heimischen Zuhause nach draußen ist wohl einer, den die meisten Zuhörer*innen aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate nur allzu gut nachvollziehen können…
Lara, 22.28 Uhr. Innere Monologe, Beobachtetes, Gefühltes, Selbst- und Fremdwahrnehmung…
Lara, 22.34 Uhr. Nicht nur das Erzählte wechselt zwischen den Beiträgen unterschiedlicher Autor*innen des Literaturmagazins neolith, auch auf der gestreamten Bild-Ebene tut sich etwas: Die vier Personen haben mittlerweile Seile aus den Taschen ihrer Anzugjacken gezogen und diese um sich gebunden.
Lara, 22.43 Uhr. Die vier Rechtecke färben sich zum Ende der Performance gänzlich schwarz und die männliche Stimme, die in der vergangenen Dreiviertelstunde die Texte der Autor*innen vorgetragen hat, verabschiedet sich. Die kooperative Darbietung von neolith und der Fakultät 0 war ein gelungener Abschluss für diesen Biennale-Tag.