Buchliste: Non Fiction, nicht Sachbuch

Wer bei Non-Fiction an Kochbücher und Exemplare der „Was ist was?“-Reihe denkt und meint, damit hätte sich das Sortiment der Sachbuchabteilung im Buchhandel erschöpft, der wird mit dieser kleinen aber feinen Liste eines Besseren belehrt werden. Wir haben für euch unsere liebsten Veröffentlichungen jenseits von Romanen und Erzählungen gesammelt und können euch beweisen, was Non-Fiction alles sein kann: witzig, informativ, kritisch – alles, nur eben nicht ausgedacht.

Kerstin empfiehlt:
Emily Nussbaum – I like to watch

Manche Menschen lieben Sport. Andere beherbergen in ihrem Keller eine riesige Modelleisenbahn. Emily Nussbaum schaut leidenschaftlich gerne fern – und vielleicht genauso gern schreibt sie darüber. In diesem Buch versammelt sie eine Auswahl ihrer im New Yorker erschienenen Essays, in denen sie weit mehr tut, also bloß die letzte Folge The good wife auseinanderzunehmen. Nussbaum bricht eine Lanze für die Flimmerkiste und ihre modernen on-demand-Kollegen und verteidigt die Serie als Kunstform, als ausdrucksstarkes Medium, bei dem Masse nicht gleichbedeutend ist mit dem Wegfall von Klasse. Dabei behandelt sie nicht nur so allgemein anerkannte Klassiker wie The Sopranos und True Detective sondern auch von vielen belächelte Serien, wie Jane the Virgin oder Adventure Time. Ihre Beobachtungen sind geistreich und witzig, ihre leidenschaftliche Art ist mitreißend – egal ob es sich dabei um Begeisterung oder gerechten Zorn handelt. Wie nebenbei stellt Nussbaum zudem die Frage, wie man als Zuschauer, als Konsument, aber auch als Kritiker mit Werken umgeht, deren Schöpfer sich als gesellschaftlich und moralisch untragbar erwiesen haben. Der Pulitzer-Preisträgerin gelingt es aufzuzeigen, dass es sich bei Serien um weit mehr handelt, als billiges Unterhaltungsmaterial, dass man vergisst sobald der Bildschirm ausgeschaltet wird, sondern vielmehr um kunstfertige Produkte unserer Gesellschaft, die nicht von sozialen und politischen Fragen und Entwicklungen zu trennen sind.

Nadine empfiehlt:
Margarete Stokowski – Die letzten Tage des Patriarchats

In ihrem Buch Die letzten Tage des Patriarchats (2018) versammelt die feministische Kolumnistin Margarete Stokowski 75 Texte, Kolumnen wie Essays, die zum großen Teil schon bei Spiegel Online erschienen sind. Sie bespricht politische und gesellschaftliche Ereignisse, die sich zwischen den Jahren 2011 und 2018 zugetragen haben. Mit viel Biss und Humor führt Stokowski uns an Themen wie Rechtspopulismus, Feminismus, Macht und Gerechtigkeit heran. Zudem zeigt sie uns einen privaten Einblick in die Kommentare, Mails und Briefe, die sie als Kolumnistin und Frau des öffentlichen Lebens erhält – es ist unfassbar abscheulich, was sich jemand anhören muss, der Vergewaltigung, Femizid und Rassismus anprangert. Die Lektüre der Kolumnen macht, trotz des unterhaltsamen Schreibstils, wütend und bestürzt, vor allem, wenn man die beschriebenen Ereignisse selbst mitbekommen und in den Medien mitverfolgt hat. Es bleibt nur zu hoffen, dass Stokowski sich auch in Zukunft von all den Trollen und hasserfüllten Menschen nicht nieder schreien lässt, sondern weiterhin eine leidenschaftliche, sarkastische und empörte Stimme der Vernunft in den deutschen Medien bleibt.

Larissa empfiehlt:
Rebecca Solnit – Recollections of My Non-Existence

Seit dem Erfolg ihres Essays „Men Explain Things to Me“, mit dem sie den Begriff ‚mansplaining‘ geprägt hat, ist die amerikanische Feministin, Autorin und Aktivistin Rebecca Solnit auch hierzulande einem breiten (weiblichen) Lesepublikum bekannt. In ihrem aktuellen, autobiographischen Buch Recollections of My Non-Existence reflektiert Solnit ihre Selbstwerdung als Autorin. Angefangen bei ihrer Zeit als junge Studentin im San Francisco der frühen 80er, wo Misogynie, Gewalt gegen Frauen und gegen marginalisierte Gruppen zum Alltag gehörten, schildert Solnit ihren Werdegang anhand von Beobachtungen und Anekdoten, stellt aufschlussreiche Bezüge zu Kunst und Literatur her. Dabei verbindet sie persönliche Erfahrungen mit gesellschaftlichen, sozial- und kulturgeschichtlichen Kontexten und zeigt, dass die individuellen Geschichten der Frauen, ihre Erlebnisse, Ängste und ihr Kampf gegen Unterdrückung und Gewalt, keine individuellen Schicksale, sondern Teil eines großen Ganzen sind.

Der Titel der deutschen Übersetzung – Unziemliches Verhalten. Wie ich Feministin wurde – mag dem aktuellen Trend feministischer Literatur folgen, trifft den Kern von Solnits ‚memoir‘ aber weniger als der Originaltitel. Es geht bei Solnit um die Überwindung der gesellschaftlich und strukturell bedingten weiblichen Nicht-Existenz, darum, seine eigene Stimme zu finden und sich selbst zu behaupten: als Frau, Autorin und als Feministin.

Nadine empfiehlt:
Alice Hasters – Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Rassismus existiert nur in den USA, aber doch nicht in Deutschland? Rassismus ist immer mit negativen Gefühlen wie Hass verbunden? Wer gute Absichten hat, kann nicht rassistisch sein? In biografischen Essays entlarvt Alice Hasters in ihrem Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten (2019) diese Gedanken als Trugschlüsse. Die junge Autorin, Journalistin und Podcasterin berichtet aus ihrem Leben als Kind einer schwarzen US-amerikanischen Mutter und eines deutschen Vaters; von Fremden, die ihre Haare anfassen; Männern, die sie fetischisieren und dem Gefühl, sich weder in den USA noch in Deutschland so richtig dazugehörig zu fühlen. Es ist ein interessantes und vor allem wichtiges Buch über Gerechtigkeit und Privilegien, über Alltagsrassismus und tief verwurzelte Denkstrukturen, denen wir uns als Gesellschaft und als Individuen zu stellen haben. Das Buch erschien zwar schon im letzten September, hat aber nach dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt noch einmal ordentlich Aufschwung erfahren. Das beweist, wie sehr Alice Hasters den Nerv der Zeit getroffen hat: Wir müssen über Rassismus sprechen, immer und immer wieder, damit wir aktiv daran arbeiten können, bestehende Strukturen zu verändern.