Friedrich Engels hielt seine „Elberfelder Rede“ 1845, Gerhart Hauptmanns Stück Die Weber erschien 1892. Beide thematisieren die soziale Frage, prangern die negativen Auswirkungen des Industriezeitalters und die prekären Lebensumstände von weiten Teilen der Bevölkerung an. Wie lässt sich die soziale Frage vor diesem Hintergrund im Hier und Jetzt in Wuppertal stellen? Diesem Gegenstand widmet sich das Schauspiel Wuppertal im Jubiläumsjahr ENGELS 2020 mit seiner Inszenierung von Hauptmanns Die Weber.
von Larissa Plath
Neben drei thematischen ‚Schnappschüssen‘ und dem ‚Engelsforum‘ im November und Dezember ist die Inszenierung von Hauptmanns naturalistischem Sozialdrama der zentrale Beitrag zum Engelsjahr. Gemeinsam mit dem Inklusiven Schauspielstudio und unter Mitwirkung des Sinfonieorchesters bringt das Schauspiel Wuppertal das Stück auf die Bühne im Opernhaus. Bei der ursprünglichen Planung des Projekts sollten die Stadt Wuppertal und ihre Bürgerinnen und Bürger stark einbezogen, verschiedene Räume und besonders das historische Zentrum bespielt werden, erzählt Schauspiel-Intendant Thomas Braus. Diese Ideen mussten nun in ein „coronataugliches Konzept“ integriert werden. Mit deutlich weniger Akteuren, aber auch mit der Möglichkeit, neue Spielweisen und Formate zu entwickeln.
Aktualisierte Thematik
Für Die Weber kehrt das bewährte Team um Regisseur Martin Kindervater und Bühnen- und Kostümbildnerin Anne Manss zurück ans Schauspiel Wuppertal und stellt die „neue“ soziale Frage in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung. Wie anschlussfähig die bei Hauptmann verhandelten Themen sind, so Kindervater, zeige sich aus heutiger Perspektive nicht zuletzt in der Kluft zwischen Arm und Reich: Wo Prekariat und „obszöner Reichtum“ nebeneinander existieren, die Logistikbranche in Zeiten von Corona zum Gewinner der Stunde wird und sich der Dienstleistungssektor (ebenso wie Kunst- und Kulturschaffende) mit Überlebensfragen konfrontiert sieht, erweist sich Hauptmanns Stück als hochaktuell.
In eben diesem Setting sind Die Weber in der Wuppertaler Inszenierung angesiedelt: Das traditionsreiche Opernhaus wird von einem fiktiven Konzern namens „XXX Dreißiger Logistics“ übernommen und Teil des Geschehens. Fabrikant Dreißiger tritt hier als findiger Unternehmer auf, ist aber weniger typischer Bösewicht als eine ambivalente, spannende Figur, wie Dramaturgin Barbara Noth ergänzt. Auf diese Weise wird der Stoff aktualisiert, die eigentliche Geschichte und die von Soziolekten geprägte Sprache aus Hauptmanns Vorlage werden aber beibehalten. Wie der veränderte Schauplatz auf der Opernhaus-Bühne aussehen wird und in welcher Art Uniform die Konzernmitarbeiter auftreten werden, möchte Anne Manss noch nicht verraten.
Vielfältige Spielformate
Und wie geht man mit Corona um? Diese Frage stellt sich nicht nur bei der Inszenierung selbst, sondern gewinnt gerade mit Blick auf Logistikunternehmen als mögliche „Corona-Hotspots“ zusätzliche Relevanz. Die Pandemie „offensiv zu thematisieren“ und den Alltag aller widerzuspiegeln, sei der Ansatz für ihre Inszenierung, so der Regisseur. Dazu gehöre auch, andere Spielorte in das Geschehen auf der Bühne einzubeziehen. Außenaufnahmen vom Opernhaus, dazu Videos, die in der ganzen Stadt und zum Teil mit den Schauspieler*innen gemeinsam gedreht wurden, erzeugen laut Kindervater ein Panorama verschiedener Settings und Stimmungen. Bühne und Video interagieren und bilden eine „Bandbreite spielerischer, dokumentarischer und künstlerischer“ Elemente ab, ergänzt Jan Krämer.
Das Ende wird – wie auch bei Hauptmann – offen gelassen. Es gehe darum, eine „Balance“ zu finden, Denkanstöße zu liefern und den Blick zu schärfen, ohne mit erhobenem Zeigefinger auf Missstände hinzuweisen. „Corona facht die Kreativität an“, meint Kindervater. Das klingt vielversprechend und lässt auf eine außergewöhnliche Premiere an diesem Freitag hoffen.
Die Weber
„De Waber“
von Gerhart Hauptmann
Inszenierung: Martin Kindervater
Bühne & Kostüme: Anne Manss
Video: Jan Krämer
Dramaturgie: Barbara Noth
Regieassistenz: Alexander Sturm / Jonas Willardt
Kostümassistenz: Luisa Weinberg
Inspizienz: Stefanie Smailes
Regie- und Dramaturgiehospitanz: Charlotte Pfingsten
Termine im Opernhaus:
Fr. 02. Oktober 2020 19:30 Uhr
Sa. 03. Oktober 2020 18:00 Uhr
So. 11. Oktober 2020 18:00 Uhr
So. 18. Oktober 2020 18:00 Uhr
Fr. 06. November 2020 19:30 Uhr
Sa. 19. Dezember 2020 19:30 Uhr
So. 07. Februar 2021 16:00 Uhr
Sa. 20. Februar 2021 19:30 Uhr
Tickets sind über die KulturKarte (0202 5637666) erhältlich. Nicht vergessen: Studierende der BUW erhalten nach Reservierung freien Eintritt!