Die 1920er waren geprägt von mitunter radikalen Neuerungen in Kunst, Literatur und Kultur. Welche Ereignisse und Veranstaltungen in diesem bewegten Jahrzehnt die Auf der Höhe-Redaktion besonders gerne miterlebt hätte, kann man im Folgenden nachlesen.
Helena:
Die Holland-Dada-Tournée
Für ein bestimmtes Event der 1920er kann ich mich leider nicht entscheiden – zu viele Ereignisse wären einen Blick durch ein Mäuseloch wert gewesen. Aber wenn man schon ‚Mäuschen spielt‘, warum nicht einfach unbemerkt mit auf Reisen gehen? Zu gerne würde ich in die Jackentasche von Kurt Schwitters krabbeln, als dieser im Januar 1923 gemeinsam mit dem Ehepaar Theo und Nelly van Doesburg und Vilmos Huszár zum sogenannten Holland-Dada-‚Feldzug‘ aufbrach.

Es handelte sich um eine dadaistische Vortragsreise durch die Niederlande mit Station in Den Haag, Utrecht, Amsterdam und weiteren Städten. Zum Programm gehörten inszenierte Vorträge der jeweils selbstverfassten Texte, darunter beispielsweise Schwitters’ Gedicht An Anna Blume, musikalische Zwischenspiele Nelly van Doesburgs oder die Vorführung der mechanischen Tanzfigur Huzárs. Besonders wurden die Veranstaltungen durch ihre außergewöhnliche Gestaltung, die auch überraschende Beiträge wie Schwitters’ Bellen in Den Haag und weitere planvolle Unterbrechungen vorsah. Die Dada-Abende wurden schon bald zur Sensation und riefen teils tumultartige Reaktionen des übermäßig begeisterten Publikums hervor, sodass mehrfach die Polizei einschreiten musste. Bis Mitte April 1923 dauerte die Tournee der Gruppe und lenkte auf diese Weise die Aufmerksamkeit der niederländischen Öffentlichkeit auf den Dadaismus.
Larissa:
In Teufels Kreisen: Der ‚Algonquin Round Table‘
Wer an einem Tag in den 1920ern zur Mittagszeit das New Yorker Algonquin Hotel betrat, traf mit ziemlicher Sicherheit auf eine ausgelassene Schar, die sich ihre Zeit mit Wortgefechten, Poker und anderen gesellschaftlichen Zerstreuungen vertrieb. Die Legende (und die gängige Tendenz zu einprägsamen Bezeichnungen für eigentlich heterogene Gruppen) will es, dass die lose Verbindung aus Kritikern, Journalistinnen, Literaten und Schauspielerinnen als ‚Algonquin Round Table‘ in die Kulturgeschichte jener Zeit einging.

Ein gemeinsames Treffen im Juni 1919, mit dem Dorothy Parker, Robert E. Sherwood und Robert Benchley ihren aus dem Krieg zurückgekehrten Freund, den Theaterkritiker Alexander Woollcott, willkommen heißen wollten, begründete den legendären literarischen Zirkel. Rund ein Jahrzehnt lang fand sich die wechselnde Besetzung zum täglichen Lunch im Hotel an der Upper West Side nahe des Theaterviertels zusammen. Neben den Stammgästen Parker, Sherwood und Benchley nahmen auch Harold Ross, Journalist und Gründer des Magazins The New Yorker, die Journalistin und Frauenrechtlerin Ruth Hale sowie die Schriftstellerin und Pulitzer-Preisträgerin Edna Ferber ihren Platz am Tisch ein.
Man mag sich gerne vorstellen, wie die Treffen nicht nur Dorothy Parker zu so manchem spitzzüngigen Bonmot inspiriert haben. Im Nachhinein stellte Parker die attestierte Bedeutung des ‚vicious circle‘, wie sich die Gruppe selbst bezeichnete, in Frage. Ob nun Selbstinszenierung oder produktiver Gedankenaustausch überwogen – verglichen mit der ‚Bloomsbury Group‘ nimmt der ‚Algonquin Round Table‘ in seiner Gesamtheit vielleicht eine weniger prägende Rolle ein, trotzdem sollte der Einfluss auf die damalige Literatenszene nicht unterschätzt werden. Dafür sprechen auch viele der im Kontext entstandenen und bis heute präsenten Zeugnisse wie der New Yorker.
Kerstin:
Weltausstellung 1929 in Barcelona
Zugegeben, jede der Weltausstellungen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts dürfte es wert gewesen sein, den Blick des geneigten Betrachters zu fesseln. Nirgendwo sonst konnte man Zeuge werden, wie die Industrienationen der Welt versuchten, sich in einem friedlichen Rahmen gegenseitig mit den neuesten technischen und künstlerischen Errungenschaften zu überbieten.

Dass meine Wahl schließlich auf die Weltausstellung 1929 in Barcelona gefallen ist, liegt an Mies van der Rohe. Der deutsche Architekt, der in den späten dreißiger Jahren in die USA aussiedeln sollte, entwarf den berühmten Barcelona-Pavillon bzw. Deutschen Pavillon, der die Fortschrittlichkeit und Exzellenz der Weimarer Republik repräsentieren sollte und der zu einer Ikone der Architektur des 20. Jahrhunderts wurde. Bestückt wurde der Pavillon unter anderem mit Möbeln, die van der Rohe selbst entwarf, und einer Plastik des Bildhauers Georg Kolbe. Der Pavillon wurde im Anschluss an die Weltausstellung abgerissen, jedoch in den 80er Jahren nach den Originalplänen in Barcelona wiederaufgebaut. Heute kann man sogar wieder eine Bronzereplik von Kolbes Plastik bewundern, nachdem das Exemplar der Weltausstellung beim Transport zurück nach Berlin zerstört wurde. Wer momentan keine große Reiselust verspürt, der kann auch hierzulande einen Teil des Pavillons besichtigen – nämlich im Sächsischen Landtag in Dresden
Larissa:
Viel Lärm um Nichts? Theaterpremieren in den 1920ern
„Und der Haifisch, der hat Zähne…“. Keine Frage, als Bertolt Brechts Dreigroschenoper am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin Premiere feierte, wäre so manch einer nur zu gerne dabei gewesen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion entstand die berühmte „Ballade von Mackie Messer“, die Dreigroschenoper wurde von Publikum und Kritik gefeiert und bedeutete für Bertolt Brecht und Kurt Weill den Durchbruch.
An sehenswerten und mitunter skandalträchtigen Erstaufführungen mangelte es den Theaterbühnen der Zwanziger Jahre sicher nicht:
- Federico García Lorca – El maleficio de la mariposa (22. März 1920 / Teatro Eslava, Madrid)
Bei der Uraufführung von Lorcas erstem Theaterstück ahnte wohl niemand, dass er zu einem der führenden spanischen Dramatiker jener Zeit werden sollte. Mit Die Verwünschung des Schmetterlings, so die deutsche Übersetzung, präsentierte Lorca ein Avantgarde-Stück in symbolistischer Manier. Der Titel ist wörtlich zu nehmen: Am Beispiel einer Gruppe von Insekten, darunter Kakerlaken, Würmer und besagter Schmetterling, werden Themen wie Liebe, Schönheit und Tod verhandelt. Kritik und Publikum begegneten dem Stück damals wenig wohlwollend, sodass es nach nur vier Aufführungen eingestellt wurde.
- Arthur Schnitzler – Reigen (23. Dezember 1920 / Kleines Schauspielhaus, Berlin)
Schnitzler hatte seinen Reigen bereits Ende der 1890er verfasst, erst rund zwanzig Jahre später wurde das Stück – trotz Aufführungsverbot durch das preußische Kultusministerium – auf die Bühne gebracht. Sexualität, Macht, Erotik: Themen, die heute nicht mehr schockieren, führten damals zu einem Skandal und dem sogenannten „Reigen-Prozess“, bei dem die beiden Direktoren des Kleinen Schauspielhauses, der Regisseur Hubert Reusch sowie die Darsteller*innen wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ vor Gericht gestellt wurden. Nach den Aufführungen in Berlin und ein Jahr später in Wien verhängte Schnitzler selbst ein Aufführungsverbot, das bis 1982 galt.