Buchtipps: Mit Vorsicht zu genießen

Es gibt Bücher, die würden wir am liebsten all unseren Freunden, Bekannten und Familienmitgliedern empfehlen. Und es gibt Bücher, da weiß man gar nicht so genau, ob man eine Empfehlung im eigentlichen Sinne aussprechen kann – zumindest nicht uneingeschränkt. Schwere literarische Kost, Bücher, die uns aus der eigenen Komfortzone heraus locken, sind besonders interessant, aber natürlich auch herausfordernd. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, dürfte unter den folgenden Buchtipps der Redaktion vielleicht etwas für sich entdecken:

Lara empfiehlt:
Michel Houellebecq – Serotonin

Es ist keine neue Information, dass der französische Autor Michel Houellebecq für aufsehenerregende Romane bekannt und zugleich berüchtigt ist. Das Wort „Skandal“ fällt gerne im Zusammenhang mit seinen Büchern. Nichtsdestotrotz handelt es sich meistens um lesenswerte Exemplare. Auch sein neuester Roman, Serotonin (2019), bietet guten Lesestoff: Der – wie sollte es auch anders sein – männliche Protagonist Florent-Claude Labrouste beschließt, dass er der Beziehung zu seiner Freundin überdrüssig geworden ist und verschwindet aus ihrem Leben, indem er alles aufgibt und in die selbstgewählte Einsamkeit flüchtet. Dabei wird er begleitet von seiner Droge der Wahl, einem auf dem Glückshormon Serotonin basierenden Antidepressivum. Er beobachtet sich, die Welt um ihn herum und damit auch zahlreiche Szenen, die in unterschiedlicher Weise heftig auf die Leser*innen wirken können.
Man kann von Serotonin nicht direkt behaupten, dass die Lektüre Freude machen würde, denn auf inhaltlicher Ebene haben die Leser*innen es mit einem Mann zu tun, dem das Empfinden von Freude pathologisch versagt ist. Dennoch: Wer sich gerne mit menschlichen Abgründen aller Arten auseinander setzt und es mag, von diesen gut beobachtet und interessant geschrieben zu lesen, dem sei Houellebecqs neuester Text ans Herz gelegt.

Kerstin empfiehlt:
Ottessa Moshfegh – Mein Jahr der Ruhe und Entspannung

Die Prämisse ist harmlos genug. Eine junge, attraktive Frau, wohnhaft im besten Stadtteil New Yorks, beschließt, von ihrem Leben eine Auszeit zu nehmen. Unzufrieden, übersättigt und verworren in unglückliche zwischenmenschliche Beziehungen bringt sie ihre Angelegenheiten in Ordnung und tritt das an, was sie fortan ihren „Winterschlaf“ nennen wird. Doch was auch der Ausgangspunkt zu einem „Lerne-was-wichtig-ist-im-Leben“-Buch à la Eat Pray Love hätte sein können, entspinnt sich im Roman von Ottessa Moshfegh in eine faszinierende Mischung, die gleichermaßen an American Psycho und Sex and the City denken lässt. Mit Hilfe einer mehr als zwielichtigen Therapeutin verabreicht sich die namenlose Protagonistin einen wilden Cocktail verschreibungspflichtiger Pharmazeutika, vor dem das Personal von Trainspotting zurückschrecken würde. Das Unterfangen, mit dem die 26-jährige sich einer Umwelt, die sie als heuchlerisch, leer und unerträglich empfindet, entziehen will, verläuft jedoch nur so lange nach ihren Vorstellungen, bis sie feststellen muss, dass ihr Körper eigene Ideen hat, wie er die Zeit im vermeintlichen Tiefschlaf verbringen will. Moshfeghs Sprache ist krass und ungeschönt, ihre Protagonistin alles andere als schüchtern und manchem Leser dürften ihre Betrachtungen und Enthüllungen deutlich zu weit gehen. Wer sich jedoch nicht von der Dekadenz und Perversion der New Yorker Schickeria abschrecken lässt, kann eine fesselnde Charakterstudie erwarten, die man nicht so leicht vergisst.

Nadine empfiehlt:
Nana Kwame Adjei-Brenyah – Friday Black

In seinen zwölf Erzählungen, die sich in dem Band Friday Black versammeln, zeigt der amerikanische Autor Nana Kwame Adjei-Brenyah vor allem die negativen Seiten unserer heutigen Gesellschaft auf. Die dominanten Themen sind übermäßiger Konsum, Gewalt und Rassismus. Seine Protagonisten, allesamt PoC, erfahren Alltagsrassismus in Form von ständiger Kontrolle durch Polizei und Sicherheitspersonal, erschwerten Bewerbungsprozessen oder auch Benachteiligung im Bildungswesen. In anderen Geschichten treibt Adjei-Branyah den dargestellten Rassismus auf die äußerste Spitze: ein weißer Mann wird freigesprochen, nachdem er fünf schwarze Kinder bestialisch mit einer Kettensäge ermordete, weil er sich von ihnen bedroht fühlte; ein Freizeitpark im Sinne von Westworld ermöglicht weißen Menschen, Werte wie “Problembewältigung und Urteilsvermögen” zu erlernen, indem sie unter dem Mantel des “Spiels” schwarze Menschen umbringen können. Das Debüt des Autors ist nicht nur ob seiner expliziten Gewalt, die zum Teil nur schwer zu lesen ist, als eher harte Kost einzustufen. Auch der abgebildete Rassismus, der zunächst noch absurd-satirisch daherkommt, hinterlässt einen extrem bitteren Nachgeschmack in Anbetracht der aktuellen Ereignisse um den getöteten George Floyd in Minneapolis. Ein Buch, das manchmal wundervoll bizarr und übertrieben, manchmal nur schwer zu ertragen ist – und leider nur allzu aktuell in seiner Thematik,

Kerstin empfiehlt:
Chuck Palahniuk – Fratze

Dass Chuck Palahniuk Teil dieser Liste ist, sollte die meisten nicht verwundern. Der Autor von Fight Club ist dafür bekannt, in seinen Romanen und Erzählungen nicht unbedingt zimperlich zu sein. Sein Debüt – den meisten vermutlich bekannt durch die Verfilmung von David Fincher – hat Gewalt zum zentralen Motiv gemacht und auch sein Nachfolgeroman Fratze erforscht ihre zahlreichen Facetten. Schon in der Eingangsszene bietet sich dem Leser ein schauriges Bild: ein brennendes Anwesen, eine junge Frau im verkohlten Brautkleid mit einem Gewehr in der Hand, ihr gegenüber ihre ehemals beste Freundin Shannon. Fratze erzählt die Geschichte von Shannon, deren vermeintlich perfektes Leben als Model und Verlobte ein jähes Ende nimmt, als ihr Gesicht durch eine Schusswaffe radikal verstümmelt wird. Mit anfangs verwirrenden Zeitsprüngen, erzählt Palahniuk die Geschichte, wie es zu all dem kam und wie das Leben von Shannon sich weiter entwickelte in einer Welt, in der Schönheit das Einzige ist was zählt. Es entspinnt sich eine Geschichte über Rache, Eitelkeit, Freundschaft und Selbstbestimmung, die sich vor allem auch deshalb lohnt, weil sie die Welt um die Figur Brandy Alexander bereichert hat.