Buchtipps: Campusgeschichten

Berufliche Ambitionen, persönliche Verwicklungen, traditionsbehaftete Strukturen – die Universität erweist sich als ergiebiger Romanschauplatz für kleinere und größere Konflikte. Ob amüsant-ironisch im Stil der campus novel oder eindringlich-realistisch, ist die Darstellung des akademischen Universums nicht selten mit einem kritischen Blick auf bestehende Verhältnisse verbunden. Welches besondere Lesevergnügen Campusgeschichten bereiten können, zeigen die folgenden fünf Romane.

Larissa empfiehlt:
Kingsley Amis – Lucky Jim

Schon der Titel ist ironisch: Amis’ Protagonist James „Jim“ Dixon, ein junger Geschichtsdozent an einem englischen Provinz-College in den Midlands, hat ein glückliches Händchen dafür, sich in missliche Situationen zu bringen – ein Talent, das ihn mit Blick auf die erhoffte Festanstellung ebenso bremst wie sein (unglücklicherweise) ausgeprägtes Desinteresse für den eigenen Fachbereich, sein zerstreuter Vorgesetzter Professor Welch und die Beziehung mit seiner neurotischen Kollegin Margaret. Während eines von Welch organisierten „Kulturwochenendes“ steuert Jim in einer Abfolge von skurrilen Situationen auf den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere zu, eine öffentliche Vorlesung über „das gute alte England“.

Mit einem feinen Gespür für Situationskomik karikiert Amis die überholten Strukturen und pseudo- intellektuellen Autoritäten eben jener altenglischen Gesellschaft, die sich in den 1950er Jahren im Umbruch befindet. Lucky Jim, Amis’ Debütroman von 1954, ist ein moderner Klassiker und gilt als einer der ersten britischen campus novels, deren Tradition bis heute besteht. Das Buch liegt in deutscher Übersetzung vor, um den ironischen Sprachwitz aber vollends genießen zu können, liest man Amis’ Roman am besten im Original.

Anthoula empfiehlt:
Michael Chabon – Wonder Boys

Der Englischprofessor Grady Tripp gibt Kurse zum kreativen Schreiben am Pittsburgher College. Für seinen Roman „Die Tochter des Brandstifters“ erhielt Tripp den PEN/Faulkner-Preis. Doch im Moment hat er kein großes Glück dabei, das neue Werk mit seinen über 2600 Seiten fertigzuschreiben. Zu allem Überfluss ist seine Vorgesetzte schwanger von ihm, seine Ehefrau zieht aus und verlässt ihn. Er trinkt abends in Bars und Kneipen mit seinen Studenten und raucht Marihuana. Und als ob das nicht genug wäre, schafft einer seiner Musterschüler den Durchbruch mit seinem ersten Werk, das zu vielen positiven Kritiken beiträgt.
Wonder Boys ist ein sehr interessant geschriebener Campus-Roman mit viel Humor und komisch-tragischen Elementen. Die Verfilmung aus dem Jahr 2000 mit Michael Douglas, Tobey Maguire, Robert Downey Jr. und Katie Holmes ist auch sehr empfehlenswert.

Daniel empfiehlt:
Wolfram Fleischhauer – Der gestohlene Abend

Der deutsche Stipendiat Matthias Theiß wird an der Eliteuniversität Hillcrest in Kalifornien angenommen. Dort lernen die Studierenden neue, interessante Theorien zu den Themen der Literatur. Diese Universität kommt für Matthias in Frage, weil der Gründer zu der Zeit ein sehr hochgeschätzter Literaturtheoretiker gewesen ist. Sein Studium dort absolvieren zu dürfen, wäre ein großes Privileg für Matthias, doch die Auflagen zu erfüllen, erweist sich als schwierig. Aus unerklärlichen Gründen hilft ihm einer seiner Dozenten dabei, die Universität besuchen zu dürfen. Sie verbirgt jedoch ein schreckliches Geheimnis, das Matthias mit der Zeit aufzudecken versucht.
Das Geschehen spielt zu Zeiten der Nazi-Diktatur und spiegelt eine der düstersten Zeiten der deutschen Geschichte wider.
Um nicht zu viel zu verraten, solltet ihr das Buch auf jeden Fall lesen!

Larissa empfiehlt:
John Williams – Stoner

Der lange in Vergessenheit geratene Roman Stoner (1965) des amerikanischen Schriftstellers John Williams gehört zu den meist gefeierten Wiederentdeckungen der letzten Jahre. Nach der englischsprachigen Neuauflage von 2006 folgte 2013 die erstmalige Übersetzung ins Deutsche und seitdem in viele weitere Sprachen – John Williams’ Roman wurde postum zum Klassiker der amerikanischen Moderne.

Erzählt wird die Lebensgeschichte des titelgebenden Protagonisten William Stoner: seine Jugend auf einer Farm im tiefsten Missouri, seine ersten Schritte an der Universität von Columbia, die darauffolgende akademische Laufbahn als Literaturprofessor und die Ehe mit seiner Frau Edith, aus der eine gemeinsame Tochter hervorgeht. Stoners Biographie ist die eines Jedermann, dem sein stoischer Gleichmut und seine große Liebe zur Literatur durchs Leben helfen. Schon auf den ersten Seiten des Romans wird er als ein Mensch beschrieben, der kaum sichtbare Spuren hinterlässt. Die Kraft, die von diesem stillen und doch so eindringlichen Roman ausgeht, ist schwer zu fassen; und vielleicht macht gerade das seinen besonderen Reiz aus.

Anthoula empfiehlt:
Dietrich Schwanitz – Der Campus

Der Soziologie-Professor Hanno Hackmann ist der beliebteste Dozent am Campus. Er ist charmant, klug und attraktiv und das entgeht auch der Studentin Babsi nicht. Hackmann fängt eine Affäre mit ihr an, aber als er sich entschließt, die Beziehung zu beenden, wirft sie ihm vor, sie vergewaltigt zu haben. Hackmann will seinen guten Ruf wiederherstellen und gerät dabei in immer tiefere Konflikte. Jeder versucht seine Haut zu retten, sodass Hackmanns Gegenspieler sowie die Presse leichtes Spiel mit ihm haben. Wird es ihm gelingen, aus der Sache rauszukommen?
Ein recht sachlich geschriebenes Buch, das einen interessanten Fall aufwirft, der die schmutzigen Hintergründe der Hochschulpolitik des Romans widerspiegelt.

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Erwähnenswert sei an dieser Stelle auch Vladimir Nabokovs Pnin. Den Roman über einen russischen Professor an einer amerikanischen Universität haben wir bereits in unserer Buchtipp-Liste zum Thema „Merkwürdige Romanfiguren“ vorgestellt.