Buchtipps: Skandalöse Romane

Heute vor 163 Jahren wurde Gustave Flaubert von der Anklage freigesprochen, mit seinem Roman Madame Bovary moralische und religiöse Grundsätze verletzt zu haben. Zur Feier des Tages haben wir eine Liste mit Titeln zusammengestellt, die ebenfalls nach ihrer Veröffentlichung für Schlagzeilen gesorgt haben.

Anthoula empfiehlt:
Maxim Biller – Esra

Öffentlichen Aufruhr verursachte im Jahr 2003 Maxim Billers Roman Esra, dessen Werk kurz nach der Veröffentlichung aus dem Buchmarkt genommen wurde. Biller erzählt im Roman die Liebesgeschichte des Protagonisten Adam, welcher eine komplizierte Beziehung zu einer türkischen Frau namens Esra hat. Im Roman werden jedoch viele ähnliche Dialoge und Situationen aus dem Leben des Schriftstellers Maxim Biller und seiner Ex- Freundin Ayse Romey geschildert, die auch intime Details über das Liebesleben der beiden realen Personen preisgeben. Kurz vor der Veröffentlichung verschickte Biller im Frühjahr 2003 ein Buchexemplar mit einer Widmung an seine Ex-Freundin, welches als Beweismaterial im Gerichtsprozess verwendet wurde. Des Weiteren liest sich der Roman eher wie ein autobiographischer Bericht und hat weniger mit einem fiktiven Text gemeinsam. Den Gerichtsprozess gewannen die beiden Klägerinnen und das Buch ist seitdem verboten, obgleich auch viele Leser und Kritiker in dem Roman ein Meisterwerk Billers trotz dieses Skandals sehen.

 

Kerstin empfiehlt:
Vladimir Nabokov – Lolita

Der vielleicht berühmt-berüchtigste Roman der Moderne kann auf eine bewegte Geschichte zurückschauen: Er sei Pornographie, meinen die einen – viel zu poetisch, sagen die anderen. Kein Verleger in den USA wollte ihn drucken, dennoch wurde er dort zum Bestseller. In Frankreich wurde er mehrfach verboten und in Großbritannien soll er seinem Verleger die politische Laufbahn ruiniert haben. Der Grund für all die Aufregung liegt in der Handlung des Romans: Ein 37-jähriger Mann verliebt sich in eine Zwölfjährige, heiratet ihre Mutter und beginnt eine pädophile Beziehung zu seiner Stieftochter. Nabokov selbst musste sich in Interviews mehrfach rechtfertigen und betonen, dass es sich bei  dem Protagonisten Humbert Humbert nicht um Nabokov selbst handele. Heute gilt der Roman, der seinem Autor zum Durchbruch verhalf, als moderner Klassiker, auch wenn – oder gerade weil – sich an der Brisanz des Themas bis heute nichts geändert hat.

 

Larissa empfiehlt:
J.D. Salinger – Der Fänger im Roggen

Ein moderner Klassiker des 20. Jahrhunderts, der seit seiner Erstveröffentlichung 1951 Generationen von (jungen) Leser*innen begeistert; ein Roman, der in den USA gleichzeitig zu den meist zensierten und am häufigsten in Schulen gelehrten Büchern gehört – diese paradoxe Rezeptionsgeschichte von J.D. Salingers Der Fänger im Roggen trägt nicht wenig dazu bei, dass die Geschichte um seinen 16-jährigen Protagonisten Holden Caulfield längst Teil der Populärkultur geworden ist. Was für die wahren Salinger/Holden-Fans den Reiz des Romans ausmacht, liefert auch heute noch konservativen Stimmen Anlass zur Kritik: Die direkte, vom Jugendslang der 50er Jahre geprägte Sprache wird als vulgär empfunden, Themen wie psychische Krankheit, Sexualität und Alkoholkonsum seien für eine junge Leserschaft nicht geeignet. Vielleicht lässt sich die Debatte vom heutigen Standpunkt aus gesehen mit Holdens Lieblingswort „phony“ beschreiben: Wem dieses Stichwort (noch) nichts sagt, der nehme am besten den Roman zur Hand und folge Holden bei seiner dreitägigen Odyssee durch „sein“ New York.

 

Nadine empfiehlt:
Michel Houellebecq – Elementarteilchen

Michel Houellebecqs Werke wurden fast alle kontrovers diskutiert – in den Medien, in der Literaturkritik, am Küchentisch. Sein zweiter Roman Elementarteilchen (1998) über die ungleichen Halbbrüder Bruno und Michel, die beide am Menschsein und der Sexualität zugrunde gehen, wurde im deutschen Feuilleton weitgehend positiv aufgenommen, in Frankreich aber löste er große Debatten aus. Dies geschah zum einen, da sich sowohl Houellebecqs Mutter als auch die Betreiber des im Buch porträtierten „Selbsterfahrungscamps”, in welchem Bruno sich zeitweise aufhält, falsch dargestellt fühlten (erstere veröffentlichte ihr eigenes Buch, letzte gingen gerichtlich gegen den Roman vor), zum anderen, weil die Medien den Autor als Faschisten, Chauvinisten und rechten Reaktionär betitelten. Wie viel Distanz zwischen Houellebecq und seinen nihilistischen, herrlich abstoßenden Protagonisten steckt, lässt sich natürlich nicht eindeutig sagen, ebenso wenig ob die Autorintention hinter der Idee, der Liberalismus wirke sich so negativ auf das moderne Individuum aus, dass es beginnt, sich selbst abzuschaffen, eine rechtsradikale ist. Klar ist nur, dass dieser polarisierende Roman mit seinen außergewöhnlichen Protagonisten und einer bitterbösen Gesellschaftskritik hunderttausende Leser weltweit begeisterte und sowohl als Film (2006) als auch als Theaterstück adaptiert wurde.