„Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen“ – so lautet der verheißungsvolle Untertitel von Else Lasker-Schülers Mein Herz, einem avantgardistischen Briefroman, der 1923 erstmals erschien. Das Werk der Wuppertaler Dichterin steht im Mittelpunkt eines Programms, in dem die Schauspielerin Martina Gedeck und die Musiker Avi Avital und Dávid Adorján Wortkunst, Darstellung und Musik vereinen. An keinem geringeren Ort als im Herzen Elberfelds, Else Lasker-Schülers Geburtsstadt, fand an einem Abend Ende Dezember der titelgebende „Aufbruch in die Moderne“ statt.
von Larissa Plath
„Immer taumelnd das Herz“
In einer glänzenden, leuchtend roten Pluderhose und einem schlichten schwarzen Oberteil steht Martina Gedeck in der Elberfelder CityKirche und spricht die ersten Worte von Else Lasker-Schülers Briefen an ihren Mann Herwarth Walden. Nicht nur die Auswahl der Kleidung macht der Dichterin in ihrer Vorliebe für das Orientalische alle Ehre. Nach kurzer Zeit ist klar, dass Gedecks Vortrag weit über eine bloße Rezitation hinausgeht. Die Schauspielerin spricht frei, mal mit glänzenden Augen, mal mit einem verträumten Blick: An diesem Abend erweckt Gedeck Else Lasker-Schüler vor den Augen des Publikums zum Leben, zeigt sie klug, selbstbewusst, witzig und neckend, aber auch unsicher und verzweifelt.
Liebesbriefe der anderen Art
Ein emotionales Auf und Ab äußert sich in den Briefen und ausgewählten Gedichten, teilweise kaum greifbar und doch – oder gerade deshalb – so eindringlich. Lasker-Schülers zweiter Ehemann, der Berliner Verleger und Avantgarde-Förderer Herwarth Walden, hält sich in Norwegen auf, als sie beginnt, eine Reihe von Briefen an ihn zu schreiben. Um die hundert sollten es werden, veröffentlicht wurden sie zunächst als „Briefe nach Norwegen“ in der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm, deren Begründer Herwarth Walden und Alfred Döblin waren. Nach der Scheidung von Lasker-Schüler und Walden erschienen sie 1912 schließlich gesammelt als Briefroman mit dem Titel Mein Herz.
„Ich kann nur leben von Wundern“
Der Ton ist überwiegend heiter, vergnügt und mit viel Sprachwitz schildert Lasker-Schüler in ihren „Kaffeehaus-Briefen“ die Begegnungen mit ihren (künstlerischen) Zeitgenossen. Im Café des Westens sitzt sie, schnappt den neuesten Klatsch und Tratsch auf und hält das Erlebte in unterhaltsamen Anekdoten fest. Leben und Kunst werden hier eins: Lasker-Schülers Schilderungen bewegen sich zwischen Phantasie und Ernsthaftigkeit, ihre Zeitgenossen werden zu Spielfiguren innerhalb ihrer eigenen Welt. Munter berichtet sie von ihren Liebhabern, darunter Karl Kraus und Gottfried Benn, für die sie Decknamen wie „Bischof“, „Minn“ und „der Slawe“ wählt. Auch der Name Herwarth Walden entstammt ihrer Vorstellung, ursprünglich hieß ihr Mann Georg Lewin. Ein Wechselspiel der Identitäten, dem die schauspielerische Darbietung von Martina Gedeck eine weitere Dimension verleiht.
Zusammenspiel von Poesie und Musik
Wunderbar ergänzt wird Gedecks Vorstellung durch musikalische Klänge, die, fein abgestimmt auf die jeweilige Textpassage, einen Dialog mit Else Lasker-Schülers poetischer Sprachkunst eingehen. So virtuos wie die beiden Musiker Avi Avital (Mandoline) und Dávid Adorján (Violoncello) Werke von Kodály, Widmann, Ravel, Glière, Schulhoff, Bartók, Henze und Bloch spielen, spiegeln und verstärken sie die Energie der vorgetragenen Prosa und Lyrik und entführen gedanklich an ferne Orte.

„Ich bin verliebt in meine Stadt“, sagte die 1869 in Elberfeld geborene Else Lasker-Schüler einst. Ihr zu Ehren stand das vergangene Jahr in Wuppertal ganz im Zeichen dieser schillernden Persönlichkeit und ihrer großen Kunst. Mit der vom Kulturbüro organisierten Veranstaltung „Mein Herz – Aufbruch in die Moderne“ erlebte das Publikum im ausverkauften Haus eine von Anfang bis Ende gelungene, kunstvolle Hommage, die zu Recht mit einem nicht enden wollenden Applaus für Martina Gedeck, Avi Avital und Dávid Adorján quittiert wurde. Einen feierlicheren Abschluss des „Meinwärts“– Jubiläumsjahres hätte man sich kaum wünschen können.
„Mein Herz“ – Aufbruch in die Moderne
Martina Gedeck liest Else Lasker-Schüler zu Kammermusik
Martina Gedeck: Rezitation
Avi Avital: Mandoline
Dávid Adorján: Violoncello
Textauswahl: Martina Gedeck und Stephan Barbarino
Musikauswahl: Avi Avital und David Adorján. Eingerichtet von Stephan Barbarino
Ton: Robert Lenzbauer
Eine Veranstaltung des Kulturbüros der Stadt Wuppertal im Rahmen von „Meinwärts. 150 Jahre Else Lasker-Schüler“.