Isa und wie sie die Welt sieht: Das Schauspiel Wuppertal inszeniert Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“

Zu zweit in einem Universum: Ein Mann (Alexander Peiler) und Isa (Lena Vogt) als Schattengestalt. Foto: Uwe Schinkel

von Larissa Plath

Sie ist das Mädchen, das schon immer im Freien übernachtet hat. Isa: Naturkind, Vagabundin, eine Romantikerin im ursprünglichen Sinn. Sie schafft sich ihren eigenen Mikrokosmos, der im Einklang mit dem großen Ganzen steht – Tag und Nacht, Sonne und Sterne, Lebenswelt und Universum. Lesern von Wolfgang Herrndorfs Kultroman Tschick ist die impulsive 14-Jährige als außergewöhnliche Nebenfigur bekannt, mit seinem postum veröffentlichten Romanfragment Bilder deiner großen Liebe widmete ihr der Autor eine eigene Geschichte. Isa ist der Mittelpunkt dieser Road-Novel-Variation, die in der Fassung von Robert Koall viele Bühnen erobert hat und derzeit unter der Regie von Barbara Büchmann am Schauspiel Wuppertal zu sehen ist.

„Wenn ich will, dass die Sonne steht, steht die Sonne. Wenn ich will, dass das Eisentor aufgeht, dann geht das Eisentor auf. Und im selben Moment geht es auf.“ Die 14-Jährige Isa (Lena Vogt) lässt die Jugendpsychiatrie hinter sich und geht auf Wanderschaft. Barfuß, zwei Tabletten und ihr Tagebuch in der Hosentasche, dazu ein gelbes Zelt, mehr braucht es nicht. Merkwürdige Personen begegnen ihr: ein Binnenschiffer mit Bankräuber-Vergangenheit, ein taubstummer Junge, ein rasenmähender Schriftsteller, ein toter Jäger und zwei Jugendliche, die man als Maik und Tschick wiedererkennt. Auf ihre eigene Weise scheinen sie alle nicht von dieser Welt zu sein, wirken entrückt, wie Isa vielleicht sagen würde „ver-rückt“, aber „nicht bescheuert“.

So schön ist alles, wenn es schön ist. Aber meistens ist es nur in meinem Kopf.

Koalls Fassung orientiert sich nah an der Romanvorlage. Erinnerungen, Wunschträume und Erlebnisse Isas werden dem Publikum größtenteils in Monologen mitgeteilt. Starke und märchenhafte Bilder beschwört sie herauf, inszeniert sich in ihrer Fantasie als Romanheldin und schwankt in ihrer Selbstdarstellung zwischen Tragik und Komik. Als Projektionsfläche für Isas unwirklich anmutende Umgebung dient auf der Bühne im Engelsgarten eine milchige Plastikplane. Darauf zeichnen sich schemenhaft Figuren ab, wenn sich Isa oder eine ihrer Wegbekanntschaften auf davor platzierten Bankreihen im atmosphärischen Wechsel von Licht und Schatten bewegen. Das reduzierte Bühnenbild deutet eine Welt an, die offen und kaum fassbar ist, die genügend Raum für die Vorstellungskraft Isas (und des Publikums) lässt – Anfang und Ende spielen keine Rolle in diesem diffusen Raum. Ob ihre Reise tatsächlich oder nur in Gedanken stattfindet, ob sie ihre Gesprächspartner trifft oder imaginiert, sei dahingestellt. Durch ihr Erzählen wird Isa zur Herrscherin über ihr eigenes Universum.

Es ist ein Erzähluniversum, bei dem die Präsenz des Autors Herrndorf allgegenwärtig ist – in jeder der männlichen Figuren (alle gespielt von Alexander Peiler) und auch in Isa selbst. Die kluge, unbändige Isa, die zugleich Lebenshunger und Verlorenheit ausstrahlt, ist Herrndorfs Alter Ego. Isa ist eine Grenzgängerin, sie bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen den Extremen und zwischen Leben und Tod. „Du wirst sterben“, sagt das Mädchen nüchtern. „Ja. Aber noch nicht“, lautet die Antwort des Mannes. Lena Vogt und Alexander Peiler liefern in diesem Zweipersonenstück ein intensives Spiel, lassen ihre Figuren je nach Situation gemeinsam oder gegensätzlich agieren und manövrieren sie durch die von Herrndorf erschaffene sprach- und bildgewaltige Welt Isas.

… wenn mein Leben gar nicht mein Leben wäre, sondern ein Roman.

Wie alles an Isa ist auch ihre erzählerische Darstellung mehrdeutig: poetisch und wild, zutiefst bedrückend und hoffnungsvoll. Spielend testet sie die Grenzen des (Un-)Möglichen aus und erschafft im Erzählen ihren facettenreichen Charakter. Lena Vogt verleiht ihr eine bisweilen unbeteiligt wirkende Ausstrahlung, die sich, und seien ihre Geschichten auch noch so belastend, in das Gesamtbild fügt. Isa als Erzählerin ist nie deckungsgleich mit den Versionen ihrer selbst, die sie in mitunter haarsträubenden Episoden kreiert. Letzten Endes bleiben die Bilder deiner großen Liebe ein Fragment, nicht nur wegen der unvollendeten Romanvorlage, sondern weil die Figur der Isa nie abgeschlossen scheint.

Bilder deiner großen Liebe
von Wolfgang Herrndorf
Bühnenfassung von Robert Koall

Termine im Theater am Engelsgarten:

So. 05. Januar 2020 18:00 Uhr
Sa. 15. Februar 2020 19:30 Uhr
Fr. 13. März 2020 19:30 Uhr
Di. 17. März 2020 18:00 Uhr
So. 22. März 2020 16:00 Uhr
Mo. 13. April 2020 16:00 Uhr
Sa. 02. Mai 2020 19:30 Uhr

Tickets für die kommenden Vorstellungen sind über die KulturKarte (0202 5637666) erhältlich. Nicht vergessen: Studierende der BUW erhalten nach Reservierung freien Eintritt!

Inszenierung: Barbara Büchmann
Bühne: Jonas Vondrlik
Kostüme: Sarah Prinz
Dramaturgie: Barbara Noth
Regieassistenz: Vanessa Stoll
Inspizienz: Charlotte Bischoff
Produktionsleitung: Peter Wallgram

Besetzung:

Lena Vogt: Isa
Alexander Peiler: ein Mann