Die Kunst des zivilisierten Wahnsinns: „Der Gott des Gemetzels“ feiert Premiere im TiC

Das Unbehagen steht ihnen ins Gesicht geschrieben: Arne (Sebastian Freund) und Annette (Elisabeth Wahle) nähern sich dem rettenden Ausgang. Foto: Martin Mazur

von Larissa Plath

Der Vorfall ist schnell umrissen: Ein Täter, ein Stock, ein Opfer und, als Resultat, zwei abgebrochene Schneidezähne. Ursache und Folgen der Tat zu ermitteln, ist da schon schwieriger. Zu diesem Zweck treffen sich die Eltern von Übeltäter Ferdinand und dem Leidtragenden Bruno, eine Stellungnahme wird verfasst, die Streiterei wird geklärt. So zumindest könnte das Friedensgespräch laufen, wären da nicht die vielen großen und kleinen Konflikte, die nach und nach zutage gefördert werden, bis schließlich der „Gott des Gemetzels“ die Oberhand zu gewinnen droht. Yasmina Rezas Erfolgsstück, seit seiner Uraufführung 2006 zum modernen Komödienklassiker geworden, ist seit Mitte September in bester Kammerspielmanier auf der Bühne im TiC-Theater zu erleben.

(Kriegs-)Schauplatz ist das Wohnzimmer der Familie Rheil, wo die beiden Paare in kultivierter Atmosphäre und auf sachliche Weise – schließlich, und darin sind sich alle einig, beherrscht man die „Kunst des zivilisierten Umgangs“ – den folgenreichen Streit zwischen ihren 11-jährigen Söhnen beilegen wollen. Ganz unparteiisch ist man als besorgter Elternteil allerdings nicht, von „Opfer“ und „Henker“ ist da die Rede, der „Täter“ Ferdinand Rheil sei mit einem Stock „bewaffnet“ gewesen. Kleine Unstimmigkeiten dieser Art sind in der schriftlichen Stellungnahme schnell behoben, man spricht über dies und das, serviert Espresso und Clafoutis und diskutiert wesentliche Fragen, so zum Beispiel, ob die französische Spezialität eher Kuchen oder Torte sei. Mehrere Versuche der Holles, den Ort des Geschehens zu verlassen, misslingen, und der Konflikt scheint noch nicht behoben. Für wiederholte Unterbrechungen sorgen geschäftliche Telefonate, die Anwalt Arne Rheil (Sebastian Freund) sehr zum Leidwesen seiner Frau lautstark am Handy entgegennimmt und die von den Anwesenden mit höflichem Schweigen quittiert werden.

Dass mit den beiden Elternpaaren nicht nur verschiedene Erziehungsstile, sondern auch grundlegend unterschiedliche Charaktere aufeinander prallen, wird schnell deutlich: Veronika (Sabine Henke) präsentiert sich als sozialkritische Weltverbesserin, ihr Mann Michael (Alexander Bangen) entpuppt sich als Nihilist und sorgt angesichts seiner unmenschlichen Tat, den Hamster der Tochter ausgesetzt zu haben, für allgemeine Empörung. Annette (Elisabeth Wahle) leidet unter dem Desinteresse von Arne, der als skrupelloser Anwalt agiert und bei seiner Arbeit für einen großen Pharmakonzern über Leichen geht. Was anfangs noch hinter einer Maske der Höflichkeit und bemüht freundlich diskutiert wird, entwickelt sich zu einem bitterbösen Schlagabtausch, bei dem sich die Beteiligten je nach Anlass und in unterschiedlicher Konstellation mal mit-, mal gegeneinander verbünden.

Der Rum fließt in Strömen, eine Spitze nach der anderen wird abgefeuert und die Stimmung weiter angeheizt. Im Laufe der Begegnung kommt einiges hoch, und zwar buchstäblich: Annette übergibt sich auf den Couchtisch, worunter vor allem die exklusiven Kunstbände der Dame des Hauses zu leiden haben: „Ach du lieber Himmel, der Kokoschka!“, ruft „Vero“ sogleich und rückt mit Wasser und Parfüm an. Alles Wischen und Föhnen will nichts helfen, der Kunstkatalog ist hin. Der eigentliche Grund des Treffens, der Streit zwischen den Kindern, gerät bei all den Nebenschauplätzen aus dem Blickfeld: Die Tragödie um Hamster „Knusperinchen“ erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt, Arnes Smartphone wird kurzerhand von der genervten Gattin in die nächstgelegene Blumenvase befördert und am Ende rollen die Köpfe von Veronikas geliebten Tulpen.

Auf engstem Raum gelingt es dem TiC-Ensemble hervorragend, Rezas prägnante Dialoge in ein zugespitztes Wortgefecht umzusetzen, das sich von augenscheinlichen Belanglosigkeiten über boshafte Vorwürfe zur vollkommenen Hysterie steigert. Von der anfangs gepriesenen Zivilisiertheit ist nichts mehr übrig: Der Gott des Gemetzels, so das ernüchternde Resümee, ist „der einzige Gott, der seit Anbeginn der Zeiten uneingeschränkt herrscht“.

 

Der Gott des Gemetzels
Komödie von Yasmina Reza

Termine im TiC-Theater:

Do. 26. September 2019 20:00 Uhr
Fr. 27. September 2019 20:00 Uhr
Do. 10. Oktober 2019 20:00 Uhr
Fr. 11. Oktober 2019 20:00 Uhr
Sa. 12. Oktober 2019 20:00 Uhr
So. 13. Oktober 2019 15:30 Uhr
So. 13. Oktober 2019 19:00 Uhr
Do. 17. Oktober 2019 20:00 Uhr
Fr. 18. Oktober 2019 20:00 Uhr
Do. 24. Oktober 2019 20:00 Uhr
Fr. 25. Oktober 2019 20:00 Uhr
Sa. 26. Oktober 2019 20:00 Uhr
Sa. 09. November 2019 20:00 Uhr
So. 10. November 2019 19:00 Uhr
So. 17. November 2019 19:00 Uhr
Sa. 23. November 2019 20:00 Uhr
So. 24. November 2019 19:00 Uhr
So. 01. Dezember 2019 19:00 Uhr
Sa. 14. Dezember 2019 20:00 Uhr
So. 15. Dezember 2019 19:00 Uhr
Sa. 21. Dezember 2019 20:00 Uhr
So. 29. Dezember 2019 19:00 Uhr

Tickets für die kommenden Veranstaltungen sind telefonisch (0202 472211) oder über https://www.tic-theater.de/ erhältlich.

Inszenierung: Thomas Gimbel
Bühne: Jan Bauerdick & Benedikt Fiebig
Kostüme: Mariola Kopczynski
Licht: Tina Hünninghaus
Regieassistenz: Larissa Ernst
Vorstellungstechnik: Waltraut Rettig, Christiane Ruß, Ingrid Sommerfeld

Besetzung:

Sabine Henke: Veronika Holle
Alexander Bangen: Michael Holle
Elisabeth Wahle: Annette Rheil
Sebastian Freund: Arne Rheil