von Larissa Plath
„Gott ist da“, lauten die letzten Worte Else Lasker-Schülers, wenn sie in Gestalt ihrer selbst erwählten Rolle des Prinzen Jussuf von Theben das Drama IchundIch beschließt. In einer Art Stück im Stück führt die Dichterin das Publikum durch ihr „Höllenspiel“, wo die zwei Hälften des Ichs aufeinander treffen und Gegensätzliches verhandelt wird: Faust und Mephisto, Himmel und Hölle, Damals und Heute. Das Wuppertaler Schauspiel ehrt die 1869 in Elberfeld geborene Dichterin und Dramatikerin zu ihrem 150. Geburtstag mit einem Theaterfestival, dessen Höhepunkt die aufwändige Inszenierung ihres letzten Dramas darstellt.
Allen voran die Spielstätte in den RIEDEL-Hallen gibt dem Stück einen ganz besonderen Raum: Inmitten der Fabrikkulisse und an vier Seiten von den Zuschauerreihen umgeben, ist die ansonsten leere Bühne komplett mit feinem Sand bedeckt; schwarz-weiß Bilder von Soldaten ziehen über die in regelmäßigen Abständen platzierten Fernsehbildschirme, ringsherum unzählige Paare von Militärstiefeln. Jäh unterbrochen wird die Bildabfolge, als Else Lasker-Schüler, gespielt von Julia Wolff, sich per Videobotschaft an ihr Publikum richtet und die einleitenden Worte spricht. Nach und nach betreten die Schauspieler die Bühne und treffen die letzten Vorbereitungen für dieses Spiel im Spiel, das die Dramatikerin höchstselbst begleiten wird: Die Akteure schminken sich gegenseitig, hier noch ein paar Handgriffe, dort noch ein paar Schuhe putzen.
„Das eigentliche Spiel beginnt“
Wenn Else Lasker-Schülers eines „Ich“ auf ihr anderes „Ich“ trifft und danach das Gespräch zwischen Faust und Mephisto einsetzt (und gleich viermal von unterschiedlichen Akteuren präsentiert wird), beginnt das eigentliche „Höllenspiel“. Fragmentarisch, assoziativ und im wahrsten Sinne des Wortes vielstimmig: 1941 in Jerusalem im Exil verfasst, feierte IchundIch erst 1979 in Düsseldorf Premiere, galt als nahezu unaufführbar und fand nur selten den Weg auf die Bühne. In der Inszenierung der israelischen Regisseurin Dedi Baron entfaltet sich die „theatralische Tragödie“ der Wuppertaler Dramatikerin in Form einer eindrucksvollen Collage aus Schauspiel, Tanz, Musik und Videoinstallation.
Einer erkennbaren Handlung folgt das Stück nicht, einzige Fixpunkte in diesem Geflecht aus Motiven und Reflexionen sind Faust und Mephisto, die auf reale Personen der Zeitgeschichte treffen. Im zweiten Akt lädt der Teufel zum Geschäftsessen in die Unterwelt. Die Gäste: Goebbels, Göring, von Schirach und Heß. Ihr Anliegen: Erdöllieferungen für Kriegszwecke. Es wird getrunken und gebrüllt, der Pakt ist geschlossen. Auf den Bildschirmen erscheinen die Konterfeis von Staatsoberhäuptern wie Trump, Putin und Kim Jong-un. Unvermittelte Brüche dieser Art finden sich auch an anderer Stelle, immer wieder werden Bezüge zur Gegenwart hergestellt: Videos zeigen Plastikmüll im Meer, die Kamera verharrt auf Miniaturpanzern im Sand, dazu das Klicken vom Lauf geladener Waffen. Studierende der Universitäten Tel Aviv und Berlin unterbrechen das Treiben auf der Bühne und verlesen einen Brief an Else Lasker-Schüler, in dem sie ihre Sorge vor vermehrt auftretendem Rechtsextremismus und Antisemitismus zum Ausdruck bringen. Der vierte Akt spielt sich als „Heute“-Sendung auf den Fernsehbildschirmen ab, wo Thomas Braus als Nachrichtensprecher das „Gipfeltreffen“ von Faust und Mephisto in der Unterwelt ankündigt.
„Es ist ein Weinen in der Welt,
Als ob der liebe Gott gestorben wär […]“ (Else Lasker-Schüler, Weltende)
Else Lasker-Schülers wortgewaltiges Stück wird in der Wuppertaler Inszenierung in eine eindringliche Bildsprache übersetzt, die auf gemeinsame kulturelle Bezugsrahmen verweist und vielfältige Assoziationen zulässt. Vor allem da, wo Sprache versagt, überwiegt die Macht der Bilder, dominieren die Bewegungen des kraftvoll agierenden Ensembles aus Schauspielern und Tänzern, ihr Stapfen, Kriechen, sich Winden und Marschieren im Sand. Im letzten Akt werden sie alle zu Ebenbildern der großen Dichterin, aus den zwei Hälften ihres „Ichs“ werden insgesamt acht Verkörperungen Else Lasker-Schülers, bevor diese ihre Schlussworte spricht: „Gott ist da…“. Ist er das? Das letzte Werk der Dramatikerin bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte und bleibt dabei so herausfordernd offen und rätselhaft, dass die beeindruckende Inszenierung an diesem Abend noch lange nachklingt.
IchundIch
Eine theatralische Tragödie von Else Lasker-Schüler
Inszenierung: Dedi Baron
Bühne & Kostüme: Kirsten Dephoff
Musik: Frank Schwiklewski
Video: Yoav Cohen & Thomas Dickmeis
Lichtdesign: Fredy Deisenroth
Dramaturgie: Barbara Noth
Produktionsleitung: Kristin Trosits
Regieassistenz: Maja Delinić & Feline Przyborowski
Ausstattungsassistenz: Aliki Anagnostakis
Kostümassistenz: Franziska Bruns
Regiehospitanz: Lara Freimuth
Besetzung:
Thomas Braus
Léonor Clary
Douglas Letheren
Pascal Merighi
Konstantin Rickert
Julia Reznik
Kenji Takagi
Julia Wolff