von Larissa Plath
Eine zweigeteilte, weiß grundierte Leinwand, darauf eine unregelmäßig verwischte, blutrote Farbfläche, auf der sich dunkle Schatten abzeichnen. Vor diesem Hintergrund stehen nebeneinander aufgereiht acht glatzköpfige, in hautfarbene Trikots gekleidete Gestalten, deren Stille im Kontrast zu dröhnenden, verzerrten Klängen elektronischer Musik steht. Während die letzten Zuschauer ihre Plätze suchen, setzen sich die merkwürdigen Figuren in Bewegung: verzerrte Mimik, sich windende Körper, zuckende Arme und Beine. Mit den Worten „Now is the winter of our discontent“ werden die ersten Zeilen aus Richards Anfangsmonolog rezitiert; nach und nach stimmen die anderen in den nun mehrsprachigen Kanon ein, wiederholen die Verse auch auf Deutsch. Durch die Zuschauerreihen bahnt sich eine weitere Gestalt den Weg nach vorne auf die Bühne. Dort angekommen und mit einer Reihe von – zumindest rein äußerlichen – Doppelgängern konfrontiert, hält sie einen Moment lang inne, verschafft sich aber schließlich Gehör: Das Wort und die volle Aufmerksamkeit gebührt keinem Geringeren als Richard Gloucester (Thomas Braus) selbst. Shakespeares Figur des historischen Königs Richard III. ist als das personifizierte Böse in die Theatergeschichte eingegangen. Seit dem vergangenen Wochenende zeigt das Wuppertaler Schauspiel den Klassiker in der Inszenierung von Henri Hüster im Theater am Engelsgarten.
Für Thomas Braus ist die Figur des diabolischen Königs eine Paraderolle, aber auch das restliche Ensemble spielt gehörig auf und sorgt nicht nur auf der Bühne, sondern auch beim wiederholten Gang durch die Sitzreihen für Schaudern beim Publikum. Die verstörende Anfangsszene bildet den Auftakt für eine kunstvolle Inszenierung, die den nach Macht strebenden, skrupellosen Bösewicht als meisterhaften Schauspieler enttarnt: Richard gibt sich mal unterwürfig, mal schmeichelnd, zunehmend manipulativ und tyrannisch. Er beherrscht die Kunst des „Maskenspiels“, umwirbt Lady Anne, die er als strategisch nützliche Gemahlin auserkoren hat und mimt in Gegenwart seiner beiden Neffen und potentiellen Thronfolger den besorgten Onkel. All das ist nur Fassade: Der schwarze Schatten, den Richard bei seinen obskuren Verrenkungen auf die Leinwand wirft, lässt Teufelshörner und seine wahre Natur erahnen.
Dem grausigen Treiben werden immer wieder komische Momente entgegengesetzt, die die angespannte Stimmung lösen und Richards Machtstreben – Intrigen, Mord und Totschlag inbegriffen – zu einem absurden Unterfangen werden lassen. So agiert das zur Beseitigung seines Bruders Clarence (Alexander Peiler) beauftragte Mörder-Duo (Konstantin Rickert und Martin Petschan) mehr als unbeholfen und beginnt – der eine mit hessischem Einschlag, der andere schwäbelnd – ein Gespräch über verschiedene Formen von ‚Arbeitsethik‘: „Berufsmörder mit Gewissen“, darin sind sich beide einig, haben es eben nicht leicht in ihrem Metier, doch was ein Herzog „Gloschter“ in Auftrag gegeben hat, wird natürlich ausgeführt. Zum Beweis fliegt wie aus dem Nichts der tote Clarence in Form einer plumpen, lebensgroßen Stoffpuppe von hinten über die Leinwand auf den Bühnenboden, so wie es auch all den anderen Opfern von Richards Verbrechen ergehen wird. Eine ähnlich absurde Szene ergibt sich nach dem Tod König Edwards (Julia Reznik): Kaum hat dieser das Zeitliche gesegnet, werden in Gedenken an den Monarchen ein mannshohes Kreuz und gleichzeitig die Krone für seinen Nachfolger auf Hochglanz poliert.

Auf dem Weg zur Macht entpuppt sich vor allem der zwielichtige Buckingham (Lena Vogt) als geschickter Strippenzieher im Hintergrund, der sich auf gezielte Manipulation versteht und den eigenen Vorteil dabei im Blick behält. Die anderen Herrschaften (welcher Lord und welche Lady hier mit wem wie verbunden ist, geht im Eifer des Gefechts schnell mal unter) erinnern durch ihre starre Haltung und die grell geschminkten Visagen eher an geistlose Marionetten. Doch die äußere Hülle täuscht. Wenn die Schauspieler mit nur wenigen Handgriffen – hier wird hastig eine Perücke oder schmucke Kopfbedeckung übergestülpt, dort in ein farbenprächtiges Kleidungsstück im elisabethanischen Stil geschlüpft – binnen Sekunden von einer Rolle in die nächste wechseln, kommt dazwischen immer für einen kurzen Moment das kahlköpfige Ebenbild Richards zum Vorschein. In ihrem ‚hüllenlosen‘ Zustand werden sie auf das reduziert, was den Kern ihres Wesens ausmacht. Und dieses zutiefst Unmenschliche, so zeigt es Hüsters Inszenierung, äußert sich nicht nur in dem prototypischen Bösewicht Richard: Es ist ein Teil der auf der Bühne versammelten adligen Gesellschaft.
Nach der Pause gleicht die rote Fläche, unterbrochen durch den nun teilweise freigelegten, spiegelnden Untergrund, einer diabolischen Fratze. Im hinteren, nebelverhangenen Teil der Bühne sind die acht Richards kreisförmig auf einem drehbaren Untergrund positioniert und vollführen dort ihre eigentümlich kruden Bewegungen. „Wie fern die Sehnsucht nach dem Thron mir ist!“, lässt der demütig auftretende Richard verlauten, als alle potentiellen Konkurrenten aus dem Weg geräumt sind, und dreht sich kurz darauf wie irre im Kreis um sich selbst, auf dem Kopf eine gelbe (Haar-)Krone, deren Zacken wie deformierte, lodernde Flammen abstehen: Ein gekrönter „Agent der Hölle“, dessen Herrschaft nur von kurzer Dauer sein soll. „Now is the winter of our discontent …“
Richard III
von William Shakespeare
Deutsch von Thomas Brasch
Termine im Theater am Engelsgarten:
Do. 16. Mai 2019 19:30 Uhr
Fr. 17. Mai 2019 19:30 Uhr
Do. 23. Mai 2019 19:00 Uhr
Sa. 25. Mai 2019 19:30 Uhr
So. 26. Mai 2019 18:00 Uhr
Fr. 31. Mai 2019 19:30 Uhr
So. 16. Juni 2019 16:00 Uhr
So. 23. Juni 2019 16:00 Uhr
Tickets für die kommenden Vorstellungen sind über die KulturKarte (0202 5637666) erhältlich. Nicht vergessen: Studierende der BUW erhalten nach Reservierung freien Eintritt!
Inszenierung: Henri Hüster
Bühne & Kostüme: Hanna Rode
Musik: Florentin Berger-Monit, Johannes Wernicke
Choreografie: Vasna Aguilar
Dramaturgie: Barbara Noth
Regieassistenz: Jonas Willardt
Regie- und Dramaturgiehospitanz: Verena Meis
Inspizienz: Charlotte Bischoff
Produktionsleitung: Peter Wallgram
Besetzung:
Thomas Braus: Gloucester, später Richard III
Julia Reznik: König Edward / Lady Anne, später Herzogin von York / Bote / Richard X
Alexander Peiler: Clarence / Hastings / Richard X
Julia Meier: Königin Elisabeth / Tyrrell / Richard X
Miko Greza: Königin Margaret / Brakenbury / Bürgermeister / Richard X
Julia Wolff: Herzogin von York / Catesby / Richard X
Lena Vogt: Buckingham / Richmond / Richard X
Martin Petschan: Stanley / Zweiter Mörder / Zweiter Bürger / Kardinal / Bote / Richard X
Konstantin Rickert: Lord Rivers / Erster Mörder / Erster Bürger / Richard X
Kasimir Pachl / Mohamed Anis Sahli: Prinz von Wales
Henri Hager / Fabian von Heimburg: Richard von York