Lisa Halliday – Asymmetrie

Das Leben schreibt bekanntlich die besten Geschichten. Dieser wohlfeilen Einsicht folgt die amerikanische Autorin Lisa Halliday in ihrem Debüt Asymmetrie: Mit Mitte zwanzig hatte sie, damals Lektoratsassistentin in einer renommierten New Yorker Literaturagentur, eine Beziehung mit Philip Roth, die zum Gegenstand ihres ersten Romans werden sollte. Autobiographisches Material, das Einblicke in das private Leben des im letzten Jahr verstorbenen Roth verspricht – da überrascht es wenig, dass Asymmetrie schon vor der Veröffentlichung für wilde Spekulationen in der New Yorker Verlags- und Literaturszene sorgte.

von Larissa Plath

Wir alle verschwinden von Zeit zu Zeit im Kaninchenbau. Manchmal scheint es uns der einzige Ausweg aus der Langeweile oder Not unserer vorherigen Existenz zu sein – die einzige Möglichkeit, den Reset-Knopf zu drücken und dem Schlamassel zu entfliehen, den wir mit all dem freien Willen angerichtet haben.

Halliday selbst tritt als die 25-jährige Lektoratsassistentin Alice Dodge auf den Plan, Roth als ein bekannter Schriftsteller namens Esra Blazer. Wie es der Zufall so will, trifft Alice eines Tages im Park auf den mehr als 40 Jahre älteren Esra und stolpert wie ihre berühmte Namensvetterin mit argloser Neugier ins (Blazer’sche) Wunderland. Eine unausgewogene Beziehung beginnt, dargestellt in Form einer raschen Abfolge einzelner Szenen und erzählt in locker-flapsigem Tonfall. Der Schriftsteller erweist sich als ähnlich neurotisch wie so mancher Charakter aus Carrolls Romanen – nicht umsonst trägt dieser erste Part die Überschrift „Verrücktheit“ – steht aber auch Roths eigenen, meist selbstbezogenen Alter-Ego-Figuren in nichts nach. Alice gegenüber zeigt sich Esra liebevoll, in der Beziehung gibt er aber klar den Ton an: Er bestimmt, wann er sie sehen möchte, gibt ihr telefonisch Einkaufslisten durch und trällert fröhlich „The party’s over“, wenn Alice seine Wohnung wieder verlassen soll.

Esra macht sie mit der seiner Meinung nach ‚richtigen‘ Literatur bekannt – Mark Twain, Jean Genet, Albert Camus, Henry Miller – und reagiert oftmals erstaunt ob ihrer Unwissenheit. Alice wiederum arbeitet sich durch die auferlegte Lektüre und wird sich dabei ihrer eigenen schriftstellerischen Ambitionen bewusst. Zusehends verschiebt sich die bildungsromanartige Konstellation von Mentor und Schülerin. Das Bild einer einst prägenden Schriftstellergröße entwickelt sich zu einem trüben Portrait des Künstlers als alter Mann, während Alice mehr und mehr zur potentiellen Nachwuchsautorin wird. „Schreibst du hierüber? Über uns?“, will Esra von ihr wissen, doch Alice verneint. Über das Leben anderer Menschen wolle sie schreiben, über die großen, weltbewegenden Dingen.

An einen Großteil des Lebens erinnert man sich nur in Momentaufnahmen, wenn überhaupt.

Der zweite Teil von Asymmetrie, mit „Wahnsinn“ betitelt, scheint neu anzusetzen. Amar Ala Jafaari, ein in Brooklyn aufgewachsener, junger Wirtschaftswissenschaftler mit irakischen Wurzeln, gerät im Jahr 2008 auf der Reise nach Kurdistan in eine Sicherheitsüberprüfung am Flughafen Heathrow und wird dort grundlos festgehalten. Eine Befragung folgt der nächsten. Es gehe lediglich um „ein paar allgemeine Nachforschungen“, wie die Beamtin wiederholt erklärt. Während des stundenlangen Wartens reflektiert Amar seine eigene Situation und die seiner Familie vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen Amerika und dem Irak. Versatzstücke aus Amars Vergangenheit und Gegenwart fügen sich zu einem Ganzen, entfalten sich in einer klaren, melancholischen Sprache. So überzeichnet der erste Part ist, so überzeugend ist der zweite Teil des Romans.

Wie diese zusammenhängen könnten, deutet sich schließlich im dritten Part an: Hier taucht erneut Esra Blazer auf, nun als Gast der legendären BBC-Radiosendung ‚Desert Island Discs‘. Vom Freud und Leid des Schriftstellerlebens schwadroniert der abgezehrte Blazer in diesem Interview und erwähnt ganz nebenbei „eine junge Freundin“, Alice, die mittlerweile Autorin sei und „einen ganz erstaunlichen Roman“ veröffentlicht habe. Blazer selbst ist auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit – trotz Nobelpreis (der Philip Roth bekanntermaßen nie vergönnt war). Halliday demonstriert im finalen Kapitel ihre Kunstfertigkeit in puncto lebhafter und authentischer Dialoge. Obwohl sie den Bogen zurück zum Anfang schlägt, will sich das amüsante Wortgeplänkel zwischen Esra und der Moderatorin nicht so recht einfügen, bleibt (gewollt) asymmetrisch. Die titelgebende ‚Asymmetrie‘ wird nicht nur inhaltlich thematisiert, sondern verbindet darüber hinaus auch die beiden völlig verschiedenen Geschichten von Alice und Amar.

Mit ihrer Vielfalt an Themen und Stilen deckt die Autorin sämtliche ‚creative writing‘-Kategorien ab. Angesichts der allgemeinen Lobeshymnen, die auf Asymmetrie angestimmt wurden, scheint diese Fülle in manchen Fällen mit Virtuosität gleichgesetzt zu werden. Dennoch lässt sich Hallidays Debüt als eine reflektierte und besonders im zweiten Teil sehr überzeugende Werkprobe lesen, die durch den ‚Köder‘ Philip Roth bewusst mit Erwartungen spielt und die eigene Wirkung in gewisser Weise vorwegnimmt. Dieser Seitenhieb auf die Mechanismen des Literaturbetriebs entwickelt eine Ironie, die über den Roman hinaus wirkt.

 

Der Hanser Verlag hat Auf der Höhe freundlicherweise ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.