Keiko fällt es schwer, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Von klein auf sind das Verhalten und die Reaktionen anderer Menschen ein Rätsel für sie. Umgekehrt wird auch Keikos eigentümliche Art misstrauisch beäugt. Erst durch ihre Arbeit in einem japanischen Convenience Store, einem Konbini, findet sie einen Zugang zu ihrer Umwelt.
Die Autorin Sayaka Murata beschreibt in ihrem Roman Die Ladenhüterin die Versuche der Protagonistin, sich an eine für sie unverständliche Welt anzupassen, um in der Gesellschaft möglichst wenig anzuecken.
von Wiebke Martens
Schon von Kindesbeinen an ist Keiko eine Außenseiterin. Die gesellschaftlichen Umgangsformen anderer Menschen sind ihr fremd. Sie weiß nie so recht, wie sie sich verhalten soll. Erst als Konbini-Angestellte findet sie einen Weg, sich der Gesellschaft anzupassen. Sie wird geschult, andere zu begrüßen, den passenden Gesichtsausdruck, das richtige Lächeln einzusetzen. Ausgerüstet mit dieser erlernten Normalität fügt sich Keiko wie ein Rädchen in die Abläufe des Konbini ein. Schnell entwickelt sich der Supermarkt zu ihrem sicheren Hafen, der durch seine routinierten und vorhersehbaren Abläufe zum Zentrum ihres Lebens wird.
In schlaflosen Nächten dachte ich an das helle, warme Kästchen aus Licht, in dem es auch jetzt von Kunden wimmelte. Alles funktionierte so reibungslos wie in einem sauberen Aquarium. Sobald dieses Bild vor mir auftauchte, erwachten auch die Konbini-Geräusche in mir, und ich konnte ruhig einschlafen.
Die Handlung ist beherrscht von Keikos unermüdlichen Versuchen, sich an ihr Umfeld anzupassen und so unauffällig wie möglich ein funktionierendes, nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. Doch der soziale Druck lastet weiterhin auf ihren Schultern. Kaum eignet sich Keiko durch Imitation ihrer Arbeitskolleginnen ein ihrem Alter entsprechendes Auftreten, eine normale Sprechweise und eine passende Gestik an, wird sie für ihr fehlendes Interesse an einer Beziehung und ihre mangelnde Erfahrung in der Liebe kritisiert. Um den lästigen Fragen zu entgehen und um den Vorstellungen ihres Umfeldes zu genügen, versucht Keiko, auch dieses Problem zu lösen. Dass der von ihr dazu ausgewählte Gefährte ebenfalls ein Sonderling ist, ein unsympathischer noch dazu, ist zunächst weder für Keiko noch für ihr Umfeld von Bedeutung. Die Hauptsache ist, dass der Schein der Normalität gewahrt wird.
‚Im Gegensatz zu Ihnen sind mir die meisten Dinge egal. Denn ich habe keine besonderen Pläne, und es macht mir nichts aus, Stammesgesetzen zu folgen, wenn es welche gibt.‘
Durch kurze Rückblenden erfahren die Leser, wie es für Keiko war, als Außenseiterin aufzuwachsen. Hinter der Fassade, die sie sich im Laufe der Zeit aufgebaut hat, kommen Keikos eigentliche, emotionslose Gedanken auf nüchterne, kalte Art zum Vorschein. Die Protagonistin wirkt dabei weder sympathisch, noch unsympathisch. Auch einige durchaus humorvoll geschilderte Stellen sorgen nicht für Empathie, sondern für Distanz und Unverständnis gegenüber Keikos sonderbarem Charakter.
Das Baby fing an zu weinen. Um es zu beruhigen, wiegte meine Schwester es eifrig. Mein Blick fiel auf das kleine Messer, mit dem wir den Kuchen zerteilt hatten. Ich fand, dass sie es sich sehr schwer machte. Dabei wäre es doch so einfach, es ruhigzustellen.
Die fehlende Entwicklung der Protagonistin durchzieht den gesamten Roman. Es entsteht weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung ihrer Ausgangssituation. Gleichbleibend ist Keikos – für die Leser fast schon frustrierender – Wunsch, sich ihrem Umfeld anzupassen und ihr Unverständnis allen zwischenmenschlichen Aspekten gegenüber. Das Schicksal der Außenseiterin zeichnet das kritische Bild einer Gesellschaft, die versucht, uniformierend, jede Abweichung ihrer Normalität in eine passende Schablone zu pressen.
Der Aufbau Verlag hat Auf der Höhe freundlicherweise ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.