6. Dezember 2018, kurz nach 18 Uhr: Immer mehr Menschen strömen durch die Eingangspforte der Solinger „Jahnkampfbahn“. In ein paar Minuten wird die rund 5000 Plätze umfassende Zuschauertribüne fast bis zur Hälfte belegt sein. Obwohl das denkmalgeschützte Stadion im Stadtteil Wald auch 90 Jahre nach seiner Eröffnung noch recht intensiv für diverse Sport- und Kulturveranstaltungen genutzt wird, ist eine solche Besucherzahl doch eher ungewöhnlich.
von Jana Schmidt
Und noch etwas ist heute anders. Gespannte Wettkampfstimmung? Fehlanzeige! Denn die Leute sind nicht etwa gekommen, um ihre Lieblingsfußballmannschaft anzufeuern. Sie wollen gemeinsam das Nikolausfest feiern, sich dem musikalischen Zauber der Vorweihnachtszeit hingeben und Zeugen einer Premiere werden: Die Stadtwerke Solingen haben zum allerersten Solinger Nikolaussingen eingeladen.
Ursprünglich war das Event eine „fixe Idee“ von Stadtwerke-Pressesprecherin Lisa Nohl. „Ein solches Rudelsingen ist vielen schon aus anderen Städten bekannt, wir wollen das jetzt auch in Solingen etablieren“, erklärte sie im Vorfeld. Sie blieb dran, plante, organisierte, leistete Überzeugungsarbeit – und fand sich, nach mehr als einem Jahr intensiver Vorbereitung, in einer gut gefüllten Arena wieder. Tatsächlich scheint es, als hätte die bergische Klingenstadt nur auf ein Ereignis wie dieses gewartet. Von den 2000 (kostenlos) verfügbaren Tickets ist nicht ein einziges übriggeblieben. Schon vor dem eigentlichen Beginn des Nikolaussingens ist die „Jahnkampfbahn“ erfüllt von einer ganz besonderen, fröhlich-lockeren und zugleich erwartungsvollen Stimmung. Kinder hüpfen lachend auf den steinernen Sitzbänken herum, Familien, Freunde, Nachbarn verkürzen sich die Wartezeit in der Schlange am Bratwurst- oder Getränkestand mit einem Pläuschchen.
Als um Punkt 19 Uhr das offizielle Programm startet, werden dann alle erst einmal ganz still und blicken einträchtig zum Rasenplatz. Auf der dort installierten, festlich beleuchteten Bühne haben inzwischen der eigens für diesen Abend von Mitgliedern des Bergischen Chorverbandes Solingen-Wuppertal e.V. zusammengestellte Projektchor sowie das Symphonische Blasorchester der Städtischen Musikschule Solingen Platz genommen. Sie begleiten die Gäste musikalisch durch den Abend. „Wir wollen den Stiefel am Nikolaustag mit Liedern füllen“, erklärt der Geschäftsführer der Solinger Stadtwerke Andreas Schwarberg in seiner Begrüßungsrede. Dann verkündet er feierlich: „Wir werden es schaffen, dass man uns bis in den letzten Winkel unserer Stadt hört“. Wenngleich sich die Solingerinnen und Solinger zunächst noch etwas verhalten zeigen, als Moderatorin Luisa Skrabic sie im Rahmen des kurzen Warm-Ups auffordert, wie Pferde zu wiehern, soll er schlussendlich Recht behalten. Kaum spielen die Musiker das erste Lied an, erheben auch alle anderen im Stadion sogleich ihre Stimmen und singen aus voller Kehle „Lasst uns froh und munter sein“. Insgesamt wandert eine bunte Mischung aus 13 Stücken in den Nikolausstiefel. Egal, ob der deutsche Klassiker „Alle Jahre wieder“, das jugendlichere „In der Weihnachtsbäckerei“, englische Songs wie „Rudolph“ und „Jingle Bells“ oder das mehrsprachige „Feliz Navidad“: Text und Melodie sitzen. Lediglich beim weniger populären Choral „Es kommt ein Schiff, geladen“ schwächelt die Menge kurzzeitig, um sich dann jedoch wieder mächtig ins Zeug zu legen. Schließlich gibt es sogar eine Live-Schaltung des WDR.
Doch nicht nur akustisch hat das Nikolaussingen einiges zu bieten. Dank eines besonderen Coups kommt auch die Optik nicht zu kurz. Denn anstatt die Zeilen – wie meist üblich – auf eine Leinwand zu projizieren, verteilten die Stadtwerke am Eingang Liederbücher und kleine Taschenlampen. Durch diese verwandelt sich die ansonsten nur sehr spärlich beleuchtete Tribüne während der Musikstücke in einen funkelnden Sternenhimmel.
Das Zusammenspiel der verschiedenen Sinneseindrücke erschafft eine unvergleichliche Atmosphäre. Sich im Lichtkegel der Taschenlampe ganz auf sich selbst und den eigenen Gesang besinnen, dann wieder aufblicken und nochmal mit aller Macht realisieren, dass man gerade Teil von etwas ganz Großem ist. Magisch. Unbeschreiblich.
Eine findet schließlich doch die richtigen Worte, jenes Gefühl zu kleiden, nämlich die kleine Fabienne. Voller Enthusiasmus ruft die Fünfjährige ins Mikrophon: „Ich habe Solingen ganz doll lieb!“ Sie trifft damit sämtliche Anwesende mitten ins Herz. Denn an diesem Nikolausabend treten jegliche Unterschiede – seien sie sozialer, demographischer oder sonstiger Natur – in den Hintergrund. An diesem Nikolausabend sind alle eins. Alle sind Solingen.