Max Goldt in der Wuppertaler börse: Genial sprachgewandt beim Abloungen

mary
von Marajka Parplies

Vergangenen Dienstag las der deutschlandweit einem breiteren Publikum bekannte und beliebte Schriftsteller, Kolumnist und Kleist-Preisträger Max Goldt in der Wuppertaler Kulturstätte die börse ausgewählte ältere und neue Texte (vor). Im für den draußen wetterbedingt ungemütlich bekannten November passend gemütlicheren Ambiente des Roten Salons konnten die recht zahlreich erschienenen ZuhörerInnen bei Bier und Nachos „abloungen“ und dabei seinen Texten lauschen.

Niemand versteht es so gut wie Goldt, dem Publikum Alltagsbanalitäten und Absurditäten in verschachtelten Sätzen so darzulegen, dass man trotz der benötigten höheren Aufmerksamkeitsspanne durch Überleitungs-Offerten denke, man wäre selbst ein Teil der vorgelesenen Story. So schaffte er es den gesamten langen Abend hindurch, dem Publikum viele Lacher zu entlocken. Der Alltag, so Goldt, ist eine Abwesenheit von Weihnachten und Krieg gleichzeitig.

In einem etwas älteren, aber aufgrund der Aktualität bearbeiteten Text über eine Reise nach Katar, namentlich ,,Charleys Tante in der Wüste“ aus dem Band Lippen abwischen und lächeln landete Goldt mit seinem Journalistenfreund in einer Präsidentensuite mit jungem, international anmutenden Service-Personal, bestehend aus landestypischen Vornamen wie Laura aus Mexico oder Tove aus Schweden, denen kein Weg zu weit war, den richtigen Wein oder die aktuellste Schweizer Zeitung zu organisieren, um den Gästen den Aufenthalt so luxuriös wie möglich zu machen. Im Gegenzug durfte Goldt sich rassigen Pferden und sympathischen Kamelen nähern und edlen Falken bei Operationen zum Zwecke der Magenöffnungen beiwohnen, um zu erfahren, wie das Geschäft mit Luxusvögeln so laufe. Dem Brechreiz, den vermutlich jeder bei so einem Erlebnis verspürt, konnte sich Goldt glücklicherweise entziehen.

Doch es gab auch normalere Termine, z.B. zum Dinner mit einer, wie Goldt sagt, Geheimdienstziege mit unaussprechlichem Namen, daher nur Madame genannt, die zum Zwecke der Verbesserung des Rufes von Katar mit dem Ziel, den Tourismus anzuheizen, beauftragt worden ist. Funktionierte nicht wie gewollt. Sie solle eben nicht mit langweiligen Statistiken um sich werfen wie mit Fußbällen und sowieso: Welche Zielgruppe soll ihrer Meinung nach bei 40 Grad Celsius im Schatten nach Katar reisen? Familien mit Kindern eher nicht, da zu heiß. Kling einleuchtend. Folgetermine konnten aufgrund der Statistiken oder aber auch wahlweise wegen des höheren Weinkonsums nicht wahrgenommen werden, was ihnen Madame sehr verübelte. Selbst das zuvor so aufmerksame Service-Personal strafte Goldt und seinen Freund durch folgende Nicht-Beachtung. Es war jedoch erfreulicherweise noch möglich, ohne viel Aufheben aus Katar abzureisen.

Generationenkonflikt

Im Text „Die schlimmsten Schleimmädchen“ aus einem Band von Katz und Goldt kommen die heutigen Teenager-Youtube-Mädchen auf ihre Kosten. In dem zu Recht nicht langen Text beschreibt Goldt den heutigen Generationenkonflikt zwischen besorgten Vätern und nachdenklichen Töchtern. Sie (die Töchter) möchten hippen Schleim herstellen, wozu dem in die Stadt fahrenden Vater der Auftrag gegeben wird, u.a. literweise Kontaktlinsenflüssigkeit mitzubringen, um eben diesen hauseigenen Schleim herzustellen. Dieser unnütze Kontaktlinsenflüssigkeitskonsum zum Erstellen ebenso unnötiger Schleimflüssigkeit sorge wohl dafür, dass in fernen Ländern die Autocrash-Statistik ins Unermessliche steige, da der Export eben dieser Flüssigkeit zu verminderter Sehfähigkeit führe, was sich bei Autofahrten nicht unbedingt positiv auswirke. Diese Sozial-und Nachhaltigkeitskritik grenzt stark an schwarzen Humor und liegt im hoffentlich sehenden Auge des Betrachters.

Doch auch eine bestimmte Nachrichtensprecherin wird erwähnt: „Petra Gerstner vs. David Bowie“ heißt der Text über eben genannte Personen. Vermutlich die Recherche mit Unterstützung von Wikipedia durchgeführt, wird Bowie nach seinem Tode von Gerstner als Multitalent bezeichnet. In Goldts Ohren klinge dies sehr herablassend, da auch Kinder, die mehrere Dinge gleichzeitig beherrschen, liebevoll Multitalent genannt würden. Gerstner sollte seiner Meinung nach lieber bei ihren Kernkompetenzen bleiben, z.B. die Verkündung der immerwährenden Konflikte im Nahen Osten oder der Vorhersage des Wetters.

Zeitloser Banalitätenmix

Beim Vorlesen von „Alter und Aussehen egal“ aus dem Jahre 1999 appelliert Goldt an die Eltern, ihre Kinder doch häufiger dem Spielplatz fernzuhalten. Spielplätze wären der Treffpunkt rauchender Mütter und apathisch in Sandkästen spielender Kindern. Die Eltern sollten ihrem Nachwuchs eher den damals gängigen Gameboy wegnehmen und die Kinder auf den herkömmlichen Straßensperrmüll loszulassen. Dort gäbe es Einiges zu sehen und zu entdecken. Dieser Text ist so zeitlos, dass der Gameboy durch die Playstation ersetzt werden könnte.

Im 2015 erschienenen Band Räusper: Comic-Skripts in Dramensatz besuchen PatientInnen eine Arztpraxis einer alleinstehenden Ärztin, mit dem einzigen Zweck, mit ihrem Körper zu prahlen. Dies ist in einem Lehrvideo zur Berufswahl zu sehen, die ein um die berufliche Zukunft seiner Schützlinge bangender Pädagoge den Heranwachsenden zeigt. Folgende Dialoge sollten zum Schutze der Jugend dem Leser oder der Leserin dieses Bandes überlassen bleiben, dennoch wird hier, zumindest in diesem Falle, heiteres Berufeabraten bevorzugt.

Zu später Stunde gab Goldt noch seinen gesammelten Hotelbewertungen aus dem Internet die Ehre, die absurderweise nicht vorhandene Unzulänglichkeiten hervorbrachten. Nur dem aufmerksamsten Hotelbewertungsrechercheur wird aufgefallen sein, dass es tatsächlich Menschen gibt, denen zu viele Kleiderbügel im Hotelzimmerschrank aufs Gemüt schlagen. Aber auch über die Nichtsnutzigkeit und weniger praktikable Handhabung eines Tortenhebers und über die mangelnden Englischkenntnisse einer Journalistin, die die Ehre hatte, Morrissey zu interviewen, weiß man dank Goldt nun Bescheid.

Genial kompliziert auf den Punkt

Max Goldt gehört zu den Texthelden unserer Zeit. Die Alltagstücken so gekonnt in Szene zu setzen und dabei die Ernsthaftigkeit hinter diesen Aussagen nicht aus den Augen zu verlieren, zeugt von einer sprachlichen Genialität. Die Aneinanderreihung vieler Adjektive und eines makabren Wortwitzes, der unter den Zuschauern auch schon ein Raunen verursachte, nimmt man Goldt dennoch nicht übel. Dies ist auch seinem gekonnten Vorlesestil, der durch punktgenaue Betonung und Pausen entsteht, geschuldet. Seine Präsenz und Wertschätzung zeigt sich auch dadurch, dass nach der Pause beim Betreten der Lesebühne nicht einmal eine halbe Minute vergehen musste, um die ZuhörerInnen dazu anzuleiten, wieder in gewohnter Aufmerksamkeit und stiller Vorfreude auf das Hören weiterer Texte auf ihren Platz zurückzukehren, um keinen einzigen Satz ungehört verhallen zu lassen.