von Larissa Plath
Jimmy Porter ist zornig. Seine Wut richtet sich gegen alles und jeden, vor allem aber gegen den Zustand der Nachkriegsgesellschaft im England der 1950er Jahre. „Sehr früh habe ich gelernt, was zornig sein heißt – zornig und hilflos. Und ich kann das nicht vergessen“, resümiert Jimmy. Dass seine Frau Alison der oberen Mittelschicht und nicht wie er selbst der Arbeiterklasse angehört, sorgt für ständige Konflikte. Auf engstem Raum leben die beiden zusammen, mehr gegen- als miteinander, sie die Zielscheibe seiner Tiraden und er das Zentrum, um das sich alles dreht. Dann ist da noch Cliff, Jimmys Freund und ein Vertrauter Alisons, der ausgleichende Ruhepol in dieser fragilen Konstellation. Die lähmende Routine gerät in Bewegung, als mit Alisons Freundin Helena eine weitere Person die Bühne betritt und das Dreiergespann aus dem Gleichgewicht bringt. Mit Unterstützung von Alisons Vater macht Helena es sich zur Aufgabe, ihre Freundin zu ‘retten’ und wird dabei selbst zum Teil des Gefüges aus gegenseitiger Abhängigkeit und Verachtung, in dem sich die Figuren befinden.
Raum der Leere
Mit seinem 1956 uraufgeführten Erstlingswerk traf der erst 26-jährige, damals noch unbekannte britische Dramatiker John Osborne den Nerv der Zeit. Idealismus und die Hoffnung auf einen sozialen Umbruch trieben die junge Generation an, doch die Realität sah anders aus. Überholte Strukturen blieben bestehen, ein politischer Einheitskurs ließ jedes persönliche Engagement sinnlos erscheinen. Wie die Figuren in Osbornes Stück war ein Großteil der Bevölkerung unzufrieden, ziellos, desillusioniert. „Früher kämpfte man für die gute Sache“, ereifert sich Jimmy, doch wozu das Ganze, wenn da nichts mehr ist, wofür es sich zu kämpfen lohnt? In dieser für ihn sinnentleerten Welt agiert er auf paradoxe Weise zwischen Zynismus und Idealismus. Pure Verachtung hat er für das ehemalige Empire übrig, für das Establishment und die aus seiner Sicht mangelnde Bereitschaft, etwas zu ändern. Er fordert Enthusiasmus und Einsatz für „die gute Sache“, eine Zukunft, die anders aussehen soll als die Gegenwart, und verharrt dabei in Untätigkeit. Jimmys verbaler Protest bleibt ein leerer Protest.
Die Inszenierung des jungen Teams um Regisseurin Mirjam Loibl verortet die Handlung wie in Osbornes Vorlage im Nachkriegsengland der 50er Jahre, was allein durch die Dialoge der Figuren deutlich wird. Rein äußerlich entheben das minimalistisch-abstrakte Bühnenbild und der Verzicht auf jegliche Requisiten – ausgenommen eine Gitarre – das dargestellte Geschehen jeder Struktur durch Zeit und Raum. Die Bühne im Theater am Engelsgarten beherrscht ein dreiteiliger Holzsteg, dessen äußere Elemente fest verankert und durch ein bewegliches Mittelstück verbunden sind. Unablässig dreht sich dieses Teilstück um die eigene Achse, dominiert den ansonsten leeren Raum und fungiert dabei als Verbindung und Hindernis zugleich – ein Sinnbild der stagnierenden Gegenwart und des scheinbar ausweglosen Kreislaufs, in dem die Figuren verharren. Doch die Konstruktion kann auch zur Waffe werden: Als er versucht, Alison nicht nur mit Worten zu provozieren, sondern buchstäblich aus der Bahn zu werfen, schiebt Jimmy in seiner Raserei das Karussell an, mit jeder Runde schneller und schneller, und zwingt Alison dazu, sich in ihrer Resignation nur noch mehr festzuklammern.
Figurenkonstellationen
In diesem düsteren, nur sporadisch beleuchteten Raum im Nichts entsteht eine von flirrenden Gitarrenklängen untermalte, nahezu kammerspielartige Atmosphäre der Enge, die den Fokus auf das Ausloten der zwischenmenschlichen Beziehungen legt. Zu jeder Zeit sind die Figuren miteinander konfrontiert, finden keine Möglichkeit, einander auszuweichen. Im Zentrum des Geschehens ist Jimmy, dessen Zorn sinnbildlich für die empfundene Hilflosigkeit und Wut einer Generation der angry young men steht, zu welcher Zeit und an welchem Ort auch immer. Dass sich Jimmys Frustration letzten Endes vor allem gegen sich selbst richtet, gegen sein Unvermögen, auszubrechen, zeigt einmal mehr die psychologische Dimension von Osbornes Werk.
Der unbändigen, (selbst-)zerstörerischen Rage setzt Alexander Peiler in seiner beeindruckend intensiven Darstellung des komplex angelegten Protagonisten immer wieder Momente der Anteilnahme und Zuneigung entgegen. Im Zusammenspiel mit Lena Vogt in der Rolle der Alison – resignierend, fragil und trotz ihrer Verzweiflung überraschend stark – äußert sich das Abhängigkeitsgefüge der beiden Figuren, die nur in ihrer eigens erschaffenen Fantasiewelt miteinander leben können. Martin Petschan agiert als der gutmütig-naive Cliff, dem es mit seinen wohlgemeinten, wenn auch meist zwecklosen Vermittlungsversuchen zumindest kurzfristig gelingt, die angespannte Stimmung zu lockern. Den Gegenpol hierzu nimmt Julia Reznik als Alisons Freundin Helena ein, die sich undurchschaubar gibt und nahezu von Beginn an für Störmomente im ohnehin schon labilen Beziehungsgefüge sorgt. Stefan Walz spielt den distinguierten Colonel Redfern, der angesichts der Misere Alisons auch keinen Ausweg weiß, sondern stattdessen zur Gitarre greift und sich als Great Pretender zu erkennen gibt.
Mehr als sechzig Jahre nach seiner Entstehung erscheint John Osbornes Werk aktueller denn je. Parallelen zur gegenwärtigen Lebenswelt zu ziehen, liegt auf der Hand: Dem indischen Schriftsteller Pankaj Mishra zufolge befinden wir uns mitten im „Zeitalter des Zorns“. Die Inszenierung des Wuppertaler Schauspiels bietet ein intensives Theatererlebnis, provoziert und liefert Denkanstöße; auf Lösungsansätze wird verzichtet.
Blick zurück im Zorn
„Look Back in Anger“
von John Osborne
Deutsch von Helmar Harald Fischer
Termine im Theater am Engelsgarten:
Do. 01. November 2018 18:00 Uhr
Fr. 02. November 2018 19:30 Uhr
Sa. 10. November 2018 19:30 Uhr
So. 11. November 2018 18:00 Uhr
Fr. 14. Dezember 2018 19:30 Uhr
Do. 10. Januar 2019 18:00 Uhr
Tickets für die kommenden Vorstellungen sind über die KulturKarte (0202 5637666) erhältlich. Nicht vergessen: Studierende der BUW erhalten nach Reservierung freien Eintritt!
Regie: Mirjam Loibl
Bühne und Kostüm: Thilo Ullrich
Musik: Constantin John
Dramaturgie: Barbara Noth
Regieassistenz: Jonas Willardt
Inspizienz: Charlotte Bischoff
Produktionsleitung: Peter Wallgram
Dramaturgiehospitanz: Alexander Seesing
Ausstattungshospitanz: Aliki Anagnostakis
Besetzung:
Alexander Peiler: Jimmy Porter
Lena Vogt: Alison Porter
Martin Petschan: Cliff Lewis
Julia Reznik: Helena Charles
Stefan Walz: Colonel Redfern