von Julia Wessel
Wie spielt man Hitler richtig? Ist es pietätlos, direkt danach einen KZ-Häftling darzustellen? Und darf man über Joseph Goebbels lachen? Diese und noch existenziellere Fragen stellen sich drei Schauspieler, die auf den Beginn einer Talkshow warten. Sich an ihren Rollen messen. Im Gespräch kommen die Gesichter dahinter zutage, alte und neue Schauspieltraditionen treffen aufeinander. Dann: Lichtwechsel. Zwei alternde Schauspielerinnen verhandeln zwischen TV und Theater, eingefahrenen Geschlechterrollen und dramatischen Abgängen. Nachdem das Schauspiel Wuppertal Anfang September die neue Spielzeit mit Heinrich von Kleists „Der Zerbrochne Krug“ einläutete, folgte am vergangenen Samstag bereits die nächste Premiere: Das Doppelfeature der beiden Stücke „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ und „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ von Theresia Walser hielt Einzug ins Theater am Engelsgarten.
Theaterwelten
Nina Sievers hat mit ihrem Bühnenbild einen kühlen Spielplatz geschaffen, der die uniformierten Herren auf einem Podest präsentiert, auf harten Talkshowsofas gefangen und vom Scheinwerferlicht geblendet. Drei Schauspieler, drei Egos im Raum: der eitle aber öffentlichkeitsscheue Franz Prächtel (Miko Greza), dessen Hitler-Darstellung unantastbar bleibt, Peter Söst (Stefan Walz), dessen größter Erfolg darin besteht, Hitler nicht als Menschen gespielt zu haben – als was sonst, ist da völlig irrelevant – und der junge Ulli Lerch (Martin Petschan), der eigentlich gar nicht mitreden kann, weil er „nur den Goebbels“ gespielt hat. Die sich in der beengten Atmosphäre dieses ungewöhnlichen Wartezimmers entwickelnde Beziehung der Protagonisten erweist sich als ebenso instabil wie der wohl umständlichste Tisch der Theatergeschichte, der beinahe zur vierten Person im Bühnenraum mutiert.
Während die Charaktere ihre Hierarchie ausloten, weicht der Diskurs um die Darstellbarkeit des Bösen, Verharmlosung und Vermenschlichung, immer wieder einem reinen Hauen und Stechen um die beste schauspielerische Leistung. Doch halt! Bloß nicht alles vorwegnehmen, was man später in der Talkshow noch sagen könnte – oder es sich wenigstens vorsichtshalber notieren. Gewissermaßen entpuppt sich die Situation als Probe für den Auftritt und die Selbstinszenierung der Charaktere als Stück im Stück.
Gleiches gilt für „Nach der Ruhe vor dem Sturm“, das unvermittelt beginnt, sich mit der Einrichtung der neuen Situation allerdings Zeit lässt. Nach und nach weichen Teile der Kostümierung, obwohl man eigentlich mehr davon bräuchte, spielen zumindest zwei der drei Darsteller doch auf einmal Damen: die „Glücksschiff“-Stewardess a.D. Irm König und die Bühnenveteranin Liz Hansen. Es folgt ein erneutes Gespräch über verschiedene Schauspielwelten, diesmal allerdings aus weiblicher Perspektive: „Wir brauchen neue Männerrollen!“ Diesen Diskurs von Männern führen zu lassen, die zudem immer wieder ihre Rollen verlassen, um das Geschehen zu kommentieren, lässt alle Grenzen verschwimmen, verwirrt und fesselt gleichermaßen – ebenso wie die Diskussion um den richtigen Bühnenabgang, der dann auch gleich geprobt wird.
Gelungene Gegenüberstellung
Theresia Walser, Tochter des Schriftstellers Martin Walser, ist selbst Schauspielerin und wird vor allem für die poetische Sprache ihrer Stücke gelobt. „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ wurde 2006 am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt – knapp zwei Jahre nachdem der Film „Der Untergang“ mit Bruno Ganz eine neue Debatte über die Hitler-Darstellung entfacht hatte. Gespickt mit Anspielungen nimmt Walsers Stück immer wieder Bezug auf reale Schauspieler und Formate, ebenso in „Nach der Ruhe vor dem Sturm“, das erst in diesem Jahr erstmalig zur Aufführung kam.
Beide Stücke hintereinander aufzuführen, erweist sich als lohnender Kontrast: Während die Besetzung im ersten Teil wieder einmal ihre Stärken unter Beweis stellt – Miko Greza mit bedrohlicher Ernsthaftigkeit, Martin Petschan als unbeholfener Jüngling und Stefan Walz als nervös-fröhlicher Zeitgenosse – erfrischt Teil zwei mit ungewöhnlichen Rollen, in denen selbst regelmäßige Zuschauer die drei Darsteller von einer anderen Seite kennenlernen können. Denn bei so wenig greifbarer Handlung, trotz der enormen sprachlichen Dichte, obliegt ihnen das richtige Maß an Interpretation – bis hin zur gänzlichen Dekonstruktion der Bühnensituation, die bei allem Verhandeln über Selbstinszenierungen nur folgerichtig erscheint. Zurück bleibt letztlich nur das Ensemble, das sich in Kristin Trosits vielschichtiger Inszenierung von seiner besten Seite zeigt: ideenreich, humoristisch und bitterböse.
Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm / Nach der Ruhe vor dem Sturm
von Theresia Walser
Termine im Theater am Engelsgarten:
Mi. 26. September 2018 19:30 Uhr
Fr. 28. September 2018 19:30 Uhr
Sa. 29. September 2018 19:30 Uhr
Fr. 12. Oktober 2018 19:30 Uhr
So. 14. Oktober 2018 18:00 Uhr
Sa. 03. November 2018 19:30 Uhr
So. 04. November 2018 18:00 Uhr
Sa. 22. Dezember 2018 19:30 Uhr
Sa. 12. Januar 2019 19:30 Uhr
Do. 24. Januar 2019 19:30 Uhr
Tickets für die kommenden Vorstellungen sind über die KulturKarte (0202 5637666) erhältlich. Nicht vergessen: Für Studierende der BUW gilt nach Reservierung „Bühne frei“!
Inszenierung: Kristin Trosits
Bühne & Kostüme: Nina Sievers
Dramaturgie: Peter Wallgram
Regieassistenz: Jonas Willardt
Inspizienz: Gesa Linnéa Hocke
Regiehospitanz: Ruben Loers
Dramaturgiehospitanz: Alexander Seesing
Besetzung:
Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm:
Miko Greza: H1: Hitler-Darsteller, Franz Prächtel
Stefan Walz: H2: Hitler-Darsteller, Peter Söst
Martin Petschan: G: Goebbels-Darsteller, Ulli Lerch
Nach der Ruhe vor dem Sturm:
Miko Greza: Irm König
Stefan Walz: Liz Hansen
Martin Petschan: Lerch