Unendlicher Gedankenfluss: Ein Blick in das literarische Universum von David Foster Wallace

Mit seinem 1996 veröffentlichten Roman Infinite Jest hat der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace Literaturgeschichte geschrieben. Daneben verfasste er essayistische Texte und Reportagen, die in ihrer thematischen Vielfalt oftmals die Literatur selbst zum Gegenstand haben, Werke anderer Autoren analysieren und Einblicke in Wallace’ Selbstverständnis als Schriftsteller bieten.

von Larissa Plath

Postmoderne, Poststrukturalismus, Dekonstruktion – Ansätze die auf den ersten Blick sperrig klingen finden Eingang in Wallace’ ästhetische und literaturtheoretische Reflexionen, werden in ihrer Komplexität betrachtet und durch die Verknüpfung mit Bekanntem für den Leser zugänglich gemacht. Der 1962 in Ithaca, New York geborene Schriftsteller hat zahlreiche Kurzgeschichten in renommierten Magazinen wie dem „New Yorker“ oder „Harper’s“ sowie gesammelte Erzählungen im Buchformat veröffentlicht. Über allem ragt sein Monumentalwerk, der über tausend Seiten starke Roman Infinite Jest auf, welcher ob seiner ausufernden Darstellungsweise und Masse an Fußnoten geradezu enzyklopädische Ausmaße annimmt. Doch lohnt es sich neben Wallace’ Prosa vor allem seine Reportagen und Essays zu entdecken, die jüngst als Anthologie auch erstmals vollständig in deutscher Übersetzung von Ulrich Blumenbach erschienen sind. Hier besticht der Autor durch seine scharfe Beobachtungsgabe, die präzisen Beschreibungen scheinbar alltäglicher Situationen und Erlebnisse, welche, auf den ersten Blick lapidar erscheinend, bei Wallace nicht selten zu Meditationen über existentielle Fragestellungen werden.

Sein ausgeprägtes Interesse für komplexe philosophische Zusammenhänge kommt dabei oft zum Zug. So auch im Fall der einem großen Publikum bekannten Reportage über sein einwöchiges Luxuskreuzfahrt-Erlebnis (A supposedly fun thing I’ll never do again/Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich lautet das titelgebende, nüchterne Fazit seiner Vergnügungsreise), die neben ihrer Kritik an Konsum und Massentourismus zu einer Reflexion über individuelle (Entscheidungs-)Freiheit wird. Daneben schrieb Wallace eine Vielzahl an weiteren Essays, deren thematische Bandbreite schier endlos ist: Von der Kunst des Tennisspielens und Roger Federer, über den Besuch einer Landwirtschaftsmesse in Illinois, bis hin zum Schicksal des Hummers beim alljährlichen „Maine Lobster Festival“. Literatur, Sprache und Ästhetik spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wallace beschäftigt sich mit der Verbindung von zeitgenössischen Romanen und dem amerikanischen Fernsehen, geht dem Phänomen David Lynch auf die Spur, erörtert die Besonderheit von Kafkas Humor und liefert mit seinem kritischen Essay zu einer Biographie über den argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges eine pointierte Analyse seiner Werke. Bei all dem eröffnen Wallace’ Texte ungewohnte Perspektiven und bieten trotz ihrer Fülle von Verweisen und umfangreichen Anmerkungen die Möglichkeit, den Gedankenkaskaden des Autors zu folgen und sich auf die jeweilige Thematik einzulassen.

Stilistisch wie inhaltlich spiegelt sein nicht-fiktionales Werk wider, was auch sein Verständnis von Prosa bestimmt. Eine Fortführung der experimentellen, postmodernen Spielereien à la Thomas Pynchon und John Barth sieht Wallace nicht nur als ausgereizt, sondern sogar problematisch an. Im Zentrum steht hier die Idee der individuellen Selbstverwirklichung, welche in ihrem Wesen charakteristisch für das postmoderne Denken ist. Was zählt ist vor allem die subjektive (Selbst-)Wahrnehmung – Objektives Wissen und die Vorstellung einer gegebenen Realität werden hingegen als individuelle Konstrukte verstanden, ebenso wenig existieren allgemeingültige Wahrheiten oder Grundsätze. Auf dieser Basis funktionieren viele der als postmodern bezeichneten Werke des 20. Jahrhunderts. Geprägt von selbstreferenziellen Kommentaren, Relativismus, Ironie und Zynismus dekonstruieren solche Romane bestehende Wahrheit(en), ohne Lösungen anzubieten. Als weiteres Beispiel aus der Populärkultur nennt David Foster Wallace amerikanische TV-Shows der 1990er Jahre, die mit den genannten Mitteln spielen und kontinuierlich ihre eigene Fiktionalität (und das Wissen des Zuschauers um diese Tatsache) bestätigen. Bei all der Selbstreferenzialität und Abstraktion sieht Wallace jedoch die Gefahr, dass man genuin menschliche Fragestellungen aus den Augen verliert. Er propagiert einen Wechsel von metafiktionaler Ironie und Zynismus hin zu einer ernsthaften Thematisierung gegenwärtiger Zusammenhänge, Schwierigkeiten und Konflikte, um so an den Kern der Sache zu gelangen.

Zum Abschluss eine kleine Geschichte: Zwei junge Fische schwimmen nebeneinander her, als ihnen ein älterer Fisch begegnet. Dieser begrüßt sie freundlich, erkundigt sich, wie das Wasser sei, und schwimmt weiter. Nach einiger Zeit fragt schließlich einer der beiden jüngeren Fische den anderen: „Was zur Hölle ist Wasser?“. Mit dieser parabelförmigen Anekdote beginnt Wallace seine berühmt gewordene Rede „This is Water“, die er 2005 vor einer Gruppe von College-Absolventen hielt. Er spricht über die Rolle der Geisteswissenschaften, anfangs, und am Ende doch über so viel mehr: darüber, was es heißt, „Denken zu lernen“. Im besten Fall erreicht David Foster Wallace mit seinem literarischen und essayistischen Gesamtwerk bei seinen Lesern genau das.