Der Teufel steckt im Detail … oder in der Perücke: Ein komödiantischer Saisonauftakt des Schauspiels Wuppertal mit Kleists „Der Zerbrochne Krug“

Willkommen bei der "Adam and Eve"-Show! Foto: Uwe Schinkel

von Larissa Plath

„There’s no business like showbusiness“ – Dieses Motto hat sich wohl auch Gerichtsrat Walter (Jonas Gruber) zum Vorbild genommen. Statt seinen „Lokaltermin“ im Gericht auf die übliche Weise wahrzunehmen, führt er das anwesende Publikum an diesem Abend gekonnt galant durch die mit Leuchtbuchstaben angekündigte „Adam and Eve“-Show. Seine Richterrobe gegen einen rosa Schlaghosenanzug getauscht schreitet er, stets ein breites Strahlegrinsen tragend, die silberne Glitzertreppe hinab zur Tat. Die ursprünglich geplante Inspektion muss warten, nun gilt es, einen Fall vor Gericht zu bringen: Wer hat des Nachts beim überstürzten Verlassen von Eve Rulls (Lena Vogt) Zimmer den Krug vom Fensterbrett geworfen und zerbrochen? Handelt es sich bei dem schuldigen Hallodri etwa um Eves Verlobten, den oftmals etwas rüpelhaften Ruprecht (Alexander Peiler)? Von Mutter Marthe Rull (Philippine Pachl) und Dorfrichter Adam (Thomas Braus) als Täter auserkoren bestreitet Ruprecht seine Schuld jedoch und wirft stattdessen seiner Zukünftigen Untreue vor. Bei all den gegenseitigen Schuldzuweisungen kann nur das unparteiische Eingreifen des Dorfrichters helfen. Zwar hat Adam nicht seinen besten Tag erwischt und erscheint mehr als lädiert vor Gericht – zerkratzt, mit Kopfwunden und zudem ohne richterliche Perücke – sein zu wünschen übrig lassender Zustand sollte der unvoreingenommenen Wahrheitsfindung aber keinen Abbruch tun.

Rasante Aufklärung

Mit der Premiere von Heinrich von Kleists Lustspiel „Der Zerbrochne Krug“ läutet das Schauspiel Wuppertal die neue Spielzeit ein und beweist dabei einmal mehr seine komödiantischen Qualitäten. Kleists 1808 uraufgeführtes Werk, schon damals weder eindeutig der Klassik noch der Romantik zuzuordnen, scheint dabei im positiven Sinne wie aus der Zeit gefallen und erweist sich mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Diskussionen als durchaus relevant. Vor Gericht trägt einer nach dem anderen seinen Tatsachenbericht vor, die individuellen Darstellungen werden von links nach rechts gedreht und von allen Seiten beleuchtet – eine für das analytische Drama typische Rekonstruktion der Geschehnisse, die hier jedoch nicht erzählerisch, sondern vor den Augen des Publikums parallel auf verschiedenen Ebenen geschieht.

Wie eine überdimensionale Puppenstube sind die unterschiedlichen Schauplätze im Bühnenbild (Pia Maria Mackert) angeordnet: Hier der Gerichtssaal, dort Richter Adams Schlafzimmer, Frau Marthes Küche, Eves Zimmer nebst Weinspalier, davor Hühnerstall und Marktplatz. Zahlreiche Perspektiven auf ein und dasselbe Geschehnis werden geboten, eine Fülle von angeblichen Fakten und Varianten. Mittendrin die glitzernde Showbühne und Gerichtsrat Walter, dem augenscheinlich mehr am Applaus des Publikums gelegen ist als an einer lückenlosen Aufklärung der Ereignisse. Nach seiner Einführung in unverständlich juristischem Kauderwelsch schaltet der Gerichtsrat relativ schnell in einen locker-leichten Moderationsmodus um, bezieht das arglose Publikum in sein mehr oder weniger juristisch motiviertes Vorhaben ein und betont angesichts Richter Adams zweifelhafter Vorgehensweise bei der Zeugenbefragung die Rechtsprechung im Sinne der Bevölkerung.

Unter der Regie von Marcus Lobbes bietet das Wuppertaler Ensemble einen 90-minütigen, grell-bunten und herrlich überzeichneten Figurenreigen voller Körper- und Wortakrobatik, der dem Kleistschen Sprachwitz alle Ehre macht und inmitten der Komik auch ernstere Töne anklingen lässt. Der ursprüngliche Blankvers bleibt erhalten und passt wunderbar zum überdrehten, slapstickhaften Treiben auf der Bühne. Ein kollektiver Aufschrei bei jedem Hammerschlag aufs Richterpult, Ruprechts Wortmeldung „Hier!“ bei der bloßen Erwähnung seines Namens, mehr oder minder harmlose Beleidigungen, auf die von allen Seiten ein empörtes „Uuups!“ folgt, Frau Marthes lautstarkes Schluchzen, wenn die Sprache auf den zerbrochenen Krug kommt – immer hart an der Grenze zum einfältig flachen Running Gag und doch, ganz im Sinne der von Gerichtsrat Walter inszenierten, einlullenden Unterhaltungsshow-Atmosphäre, überraschenderweise immer für einen Lacher gut.

Verworrene Verhältnisse

Sofern es der Wahrheitsfindung dient, scheint in diesem Fall alles relevant – etwa wenn Frau Marthe bis ins kleinste Detail und mit vollem Körpereinsatz die ihrer Meinung nach geschichtsträchtige Provenienz des Kruges darstellt oder Ruprecht zur eigenen Verteidigung die Geschehnisse der vergangenen Nacht aus seiner Perspektive rekonstruiert und dabei verworrene Regieanweisungen an die anderen Beteiligten verteilt. Dorfrichter Adam will dem angesichts seiner mysteriösen Verletzungen argwöhnischen Schreiber Licht (Konstantin Rickert) glaubhaft weismachen, wie er an jenem Morgen über seine eigenen Füße stolperte, verheddert sich dabei in seinen eigenen Erklärungen und klammert sich begierig an jeden noch so kleinen „Beweis“, mit dessen Hilfe der Schuldige identifiziert werden kann. Der Ruprecht war’s, ganz klar, oder vielleicht doch der bei der Verhandlung abwesende Lebrecht, ein weiterer Verehrer Eves? Letztere schweigt jedoch beharrlich und weigert sich, mit der Wahrheit herauszurücken.

Erst mit Hilfe von Frau Brigitte (Julia Reznik) wird Licht ins Dunkle gebracht. Mit Pferdefuß und kahler Glatze, so beschreibt sie den nächtlichen Herumtreiber. Darf man ihren Worten Glauben schenken, könne es sich bei dem Krugzerschläger nur um den wahrhaftigen Beelzebub gehandelt haben! Dass die genannten äußerlichen Merkmale auch auf einen der Anwesenden zutreffen, wird diesem schließlich ebenso zum Verhängnis wie das alles entscheidende Beweisstück. Für Showmaster Walter sieht es nach einem gelungenen Abschluss aus – „ein bisschen seltsam“ sei das Ende zwar, aber wie wir ja alle wissen, „hört bei der Komödie der Spaß auf“. So könnte es enden, wenn Eve sich nicht schließlich doch noch Gehör verschaffen würde: „Ich spiel’ den Schluss allein!“ erklärt sie entschieden und legt dar, was sich in der vergangenen Nacht wirklich zugetragen hat…

Nach Worten des Dankes lädt Intendant Thomas Braus zur anschließenden Premierenfeier – inklusive der Band „Broken Krug“. Noch mehr Geschirr ist an diesem vergnüglichen Premierenabend hoffentlich nicht zu Bruch gegangen…

Tickets für die kommenden Vorstellungen sind über die KulturKarte (0202 5637666) erhältlich. Nicht vergessen: Studierende der BUW erhalten nach Reservierung freien Eintritt!

Der Zerbrochne Krug

Ein Lustspiel von Heinrich von Kleist
Fassung von Marcus Lobbes

Termine im Opernhaus:

So. 23. September 2018 19:00 Uhr
Mi. 03. Oktober 2018 16:00 Uhr
Sa. 06. Oktober 2018 19:30 Uhr
Sa. 13. Oktober 2018 19:30 Uhr
Sa. 20. Oktober 2018 19:30 Uhr
So. 28. Oktober 2018 18:00 Uhr
Di. 20. November 2018 19:30 Uhr
So. 25. November 2018 18:00 Uhr
Sa. 01. Dezember 2018 19:30 Uhr
Fr. 07. Dezember 2018 19:30 Uhr
So. 09. Dezember 2018 18:00 Uhr
Fr. 11. Januar 2019 19:00 Uhr

Inszenierung: Marcus Lobbes
Bühne & Kostüme: Pia Maria Mackert
Dramaturgie: Barbara Noth
Regieassistenz: Barbara Büchmann
Kostümassistenz: Carmen Fett
Inspizienz: Charlotte Bischoff
Regiehospitanz: Ilja Betser
Bühnenbildhospitanz: Aliki Anagnostakis

Besetzung:

Jonas Gruber: Walter, Gerichtsrat
Thomas Braus: Adam, Dorfrichter
Konstantin Rickert: Licht, Schreiber
Philippine Pachl: Frau Marthe Rull
Lena Vogt: Eve, ihre Tochter
Alexander Peiler: Ruprecht
Julia Reznik: Frau Brigitte