Was im Alltag definitiv nicht zum guten Ton gehört ist in der Literatur durchaus erlaubt: die Nase ganz tief in das Leben eines Anderen stecken. Wir haben für euch unsere liebsten (Auto-)Biographien gesammelt, die euch einzigartige Einblicke in das Leben der unterschiedlichsten Menschen gewähren, denen dennoch eins gemein ist – sie sind unglaublich interessant.
Kerstin empfiehlt:
Michaela Karl – Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber. Dorothy Parker – eine Biographie
Dorothy Parker war ein Phänomen. Zu einer Zeit, in der von Gleichberechtigung noch lange keine Rede sein konnte und in der Frauen in den meisten Fällen nur Aussicht auf eine Rolle als Ehefrau und Mutter hatten, machte diese Frau Karriere als Journalistin, Schriftstellerin und Lyrikerin. Noch heute amüsieren und berühren ihre Kurzgeschichten und Gedichte mit ihrem Blick für die menschlichen und zwischenmenschlichen Dramen und Tragödien und weder ihr Wortwitz noch ihre Schlagfertigkeit haben mit den Jahren nichts von ihrer Bissigkeit eingebüßt. Michaela Karl schafft es nun in ihrer grandiosen Biographie der Königin der New Yorker Intellektuellen ihren beruflichen Werdegang vor dem Hintergrund der ereignisreichen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit all seinen Höhen und Tiefen nachzuzeichnen. Zudem thematisiert Karl besonders die privaten Träume, Sehnsüchte und Niederlagen Parkers, die einerseits eine zutiefst verletzliche, emotionale Frau zeigen, andererseits aber auch verdeutlichen, dass Dorothy Parker durchaus kannte, was sie beschrieb. Dem Leser wird es also nach der Lektüre dieser wunderbar unterhaltsam geschriebenen Biographie über die grande dame der spitzen Bemerkung umso mehr Freude bereiten, Dorothy Parker in ihrem Werk selbst zu Wort kommen zu lassen.
Nadine empfiehlt:
Paul Auster – Winterjournal
In seinem autobiographischen, 256 Seiten kurzen Roman aus dem Jahr 2013 (das Original erschien 2012) erzählt der preisgekrönte Bestseller-Autor Paul Auster – Die New York Trilogie, 4321, Unsichtbar oder Sunset Park – aus seinem Leben. Von der Kindheit bis zur Gegenwart lässt er seine Leser eher assoziativ als chronologisch an mehr oder weniger wichtigen Ereignissen teilhaben. Auf nüchterne und schnörkellose, aber dennoch oft sehr amüsante Weise berichtet er von Unfällen, Krankheiten, Sex mit Prostituierten, Reisen, Umzügen, Lesungen und seiner Familie. Es sind Anekdoten, es sind Schlüsselereignisse im Leben eines großen Schriftstellers, aber auch Banalitäten aus dem Leben eines ganz normalen Mannes. Auster präsentiert sich von seiner menschlichsten Seite: verletzlich, nahbar, philosophierend, plaudernd und Witze reißend. Es ist ein großartiges kleines Werk, um dem Leser nicht nur den Autor Paul Auster, sondern vor allem den Mann dahinter näherzubringen.
Larissa empfiehlt:
Stefan Zweig – Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers
„[D]ie Zeit gibt die Bilder, ich spreche nur die Worte dazu, und es wird eigentlich nicht so sehr mein Schicksal sein, das ich erzähle, sondern das einer ganzen Generation […]“. Mit diesen Worten leitet der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig seine Chronik der Welt von gestern ein, in der er seine eigene Biographie mit der Geschichte Europas verwebt. Er beleuchtet darin die Lebensumstände und das Lebensgefühl einer Generation, die Zeuge zweier Weltkriege wurde und die verschiedenen Ausprägungen des Nationalismus in Europa miterleben musste. Die alte Welt war das Österreich der Habsburger Monarchie, für Zweig ganz besonders Wien als kulturelle Metropole und strahlender Mittelpunkt für Künstler und Literaten. Zweig beschreibt seine Schulzeit und Universitätslaufbahn, seine Reisen innerhalb und außerhalb Europas und die ersten Schritte als Autor. Das „goldene Zeitalter der Sicherheit“, wie er die Zeit vor 1914 bezeichnet, weicht den Schreckensjahren der beiden Weltkriege.
Kurz vor seinem Selbstmord 1942 vollendete Stefan Zweig seine persönlichen Erinnerungen, ohne Briefe, Notizen oder andere Gedächtnisstützen und fernab vom Grauen Europas im brasilianischen Exil.
Lara empfiehlt:
Marilyn Manson – the long hard road out of hell
Die Künstlerpersönlichkeit Marilyn Manson wird von vielen Mysterien umgeben. Auch bei seinen Auftritten tut der Sänger alles dafür, dass sein Ruf sagenumwoben bleibt. In the long hard road out of hell (aus dem Amerikanischen übersetzt von Neil Strauss) nimmt er sich jedoch auf über 300 Seiten die Zeit, seine eigene Geschichte von Beginn an zu erzählen und so vielleicht die eine oder andere Erklärung zu liefern, weshalb Brian Warner – denn so heißt er mit bürgerlichem Namen – mithilfe seines Alter Egos die Öffentlichkeit ein ums andere Mal mit Provokationen schockt. Dabei berichtet er, teilweise erschöpfend, aus seinem Leben. Die erzählten Anekdoten sind beunruhigend, manchmal sogar abstoßend und verstörend, aber dennoch unterhaltsam. Ob sie auch wahr sind, wird nur Marilyn Manson selbst wissen.
Kerstin empfiehlt:
Simon Sebag Montefiore – Katharina die Große und Fürst Potemkin. Eine kaiserliche Affäre
Dieses Buch ist ein echter Brocken. Auf über 700 Seiten erzählt Montefiore die durchaus epische Geschichte von Katharina der Großen, wobei sein Fixpunkt immer wieder ihre Beziehung zu Fürst Grigori Alexandrowitsch Potemkin ist. Diese ist geprägt von Liebe, Macht, Hass, Verrat und Intrigen, vor denen der Hof der Kaiserin nur so strotzt. Neben einem Einblick in die politischen und persönlichen Ränkespiele, mit denen sich jeder Bewohner des kaiserlichen Palastes die Zeit zu vertreiben scheint, ermöglicht Montefiore dem historisch interessierten Leser auch eine tiefere Einsicht in das politische und wirtschaftliche Klima des 18. Jahrhunderts. Dem ein oder anderen mögen diese akribisch recherchierten und detailliert geschilderten Passagen zuweilen etwas langatmig erscheinen, zumal der Kreis der erwähnten Personen äußerst unübersichtlich und ohne das zur Unterstützung angefügte Personenregister nahezu unmöglich zu überblicken ist. Dennoch lohnt sich die Lektüre allemal, gibt es doch eine Fülle pikanter Details, einen nicht enden wollenden Strom von Klatsch und Tratsch, Eifersüchteleien und Machtdemonstrationen, die das Herz von Bunte-Lesern und Game of Thrones-Fans gleichermaßen höher schlagen lassen dürften.