Ernst Peter Fischer – Durch die Nacht. Eine Naturgeschichte der Dunkelheit

Die Dunkelheit hat seit jeher eine starke Anziehungskraft auf den empfänglichen Geist. Er mag sich vor ihr fürchten, ihren verbergenden Schutz suchen oder seine Phantasie von ihr angeregt finden. Ernst Peter Fischer scheint zumindest mit dem letzten Zustand vertraut, hat er doch mit Durch die Nacht (erschienen im Mai 2017 bei Pantheon) dem Thema ein ganzes Buch gewidmet.

IMG_7706
von Kerstin Kiaups

Mit einem Hintergrund als Wissenschaftshistoriker verfügt Fischer über einen schier endlosen Fundus an interessanten Informationen und Anekdoten, die er ansprechend und unterhaltsam aufzubereiten und zu verknüpfen weiß. Dabei rückt er einerseits den historischen Aspekt in den Vordergrund und schildert bspw. das Schlafverhalten der Menschen der Frühen Neuzeit, das sich durch eine Zweiteilung der Nachtruhe deutlich vom heutigen Standard unterschieden hat. Andererseits greift er z.B. bei der Beantwortung der Frage, weshalb der Nachthimmel uns überhaupt schwarz erscheint, im Anschluss an einen diachronen Überblick historischer Erklärungsansätze auch auf moderne wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungen zurück. Dass der gebürtige Wuppertaler sich auch angesichts nüchterner Farben ein Gespür für (bisweilen sehr blumige) Poesie bewahrt hat, stellt er mehrfach unter Beweis:

„Schwarz ist der Evolution sozusagen eine Herzensangelegenheit, und sie hat weder Zellen noch Reaktionen gescheut, um dieses Erlebnis möglich zu machen und es Menschen zu bereiten. Schwarz ist also für uns gemacht, und ich vermute, dass dies alle fühlen und diese Farbe uns deshalb so fasziniert.“

Fischer beweist bereits im Vorwort, dass die Naturwissenschaften (oder wie er selbst sagen würde: „die Wissenschaften“; eine Entscheidung, die man lieber seiner Promotion am California Institute of Technology zuschreiben möchte, als einer Ignoranz gegenüber den Geisteswissenschaften) nicht sein einziges Steckenpferd sind, indem er sich aus christlicher Perspektive der Dunkelheit und ihrer Rolle im Schöpfungsmythos nähert. Bedauerlicherweise zeigt sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt, dass Fischer gelegentlich gedankliche bzw. sprachliche Schärfe und Faktentreue vermissen lässt zugunsten eines als stimmungsvoll oder schön empfundenen Bildes.

„Er [Gott] erhebt sich über die Menschen, grenzt sich von ihnen ab und wird von ihnen mit dem Licht gleichgesetzt, das er entzündet hat, um ihnen die Finsternis zu nehmen und die Nacht zu schenken. Ohne seine Hilfe mussten sie lange in der Dunkelheit verharren, die anfangs die Welt beherrschte und die Wasser bedeckte.“

Dass Fischer häufig auf biblische Motive zurückgreift, ist verzeihlich. Jedoch erfolgt für eine Naturgeschichte die archaische, um nicht zu sagen unaufgeklärte Gleichsetzung von Dunkelheit mit Verbotenem bzw. Anrüchigem auffallend häufig, ebenso wie der in vielen Fällen unpassende, oder schlicht irrelevante Verweis auf Sexualität. Sex als solcher und alles, was mit ihm zusammenhängt, scheint laut Fischer grundsätzlich im Schutz der Dunkelheit stattzufinden und daher eine beachtliche Anzahl von Erwähnungen in bisweilen onkelhafter Manier zu rechtfertigen.

„Jetzt kommt die Zeit der Entspannung, wozu auch ein schmackhaftes – auf keinen Fall aber allzu üppiges – Dinner gehört, das Paare in Stimmung für das bringen kann, was unweigerlich danach kommt und mit dem schrecklichen Wort Geschlechtsverkehr benannt ist (das immer nach Zusammenstößen klingt).“

Seine Obsession mit diesem Gebiet der menschlichen Natur lässt ihn mitunter Beispiele anführen, deren Wahl vermutlich bei den meisten Lesern Befremdung auslöst, so im Falle des nachfolgend zitierten Satzes zu Karl Poppers Konzept von Wissenschaftlichkeit:

„Natürlich gibt es keine Schwierigkeit, wenn etwa behauptet wird, Schwäne seien weiß oder die Samen von Männern mit dunkler Hautfarbe seien dunkel (was beides nicht zutrifft und falsifiziert werden kann).“

Das Plateau der Prüderie Richtung Gipfel der Antiquiertheit verlässt Fischer dann vollends mit dieser Aussage zum Verhalten von Tiefsee-Anglerfischen:

„Bei ihnen sind die Männchen sehr viel kleiner als die Weibchen, an deren Körper sie sich festbeißen, wenn es darum geht, die Vermehrung einzuleiten. Manche Weibchen versorgen dabei mehrere Männchen, die sich im Gegenzug um den Nachwuchs kümmern. Man sieht sie ja dabei nicht.“

Darüber hinaus wird bei der Darstellung dessen, was Fischer als „allumfassende und durchgängige Zweiteilung der Welt“ verstanden wissen will, leider immer wieder die Grenze zur stumpfen Schwarz/Weiß-Malerei unter Leugnung aller Graustufen überschritten. Wer zudem eine klar strukturierte Arbeit über die verschiedenen Aspekte der Dunkelheit erwartet, wird enttäuscht werden. Aufbau und Titel des Werkes lassen den Schluss zu, dass dem Manuskript nach Vollendung ein möglichst vager, aber schmissiger Titel verliehen wurde, um dem mäandernden Gedankenstrom des Autors den Anstrich von Zielstrebigkeit zu verleihen, ohne den von ihm in fast essayistischer Form zu Papier gebrachten Text selbst entsprechend zu gliedern. So wird der Leser mit den kreisenden Bewegungen der Gedanken Fischers nicht nur allein, sondern auch – man ahnt es schon – im Dunkeln gelassen.

Der Pantheon-Verlag hat Auf der Höhe freundlicherweise ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.