von Larissa Plath
Ein strahlend schöner Sommerabend in Wuppertal: Die Uhr zeigt kurz vor neunzehn Uhr und die angenehm klimatisierte Eingangshalle des Von der Heydt-Museums füllt sich langsam mit den ersten neugierigen Besuchern der diesjährigen Kunst- und Museumsnacht. Ganz im Zeichen der aktuellen Retrospektive „Jankel Adler und die Avantgarde“ bietet der Abend im Museum am Turmhof eine Reihe von Aktionen rund um den jüdischen Künstler und sein Werk. Unter dem Motto „Maserchen verzähle“ findet eine ganz besondere Führung durch die Ausstellung statt, bei der die Erläuterungen zu Adlers Werk mit jiddischen Geschichten ergänzt werden.
Eine winzige grüne Eidechse – von diesem ungewohnten Anblick, so lautet die Geschichte, muss der junge Jankel Adler so fasziniert gewesen sein, dass das Reptil noch Jahrzehnte später Eingang in eine Reihe seiner Illustrationen findet. Auf den Zeichnungen sieht man, wie das Tier heranwächst und von dem kleinen Jungen als Freund auserkoren wird; das vormals Unbekannte entwickelt sich zu etwas Vertrautem. Der Glaube an Transformation und die Hoffnung auf eine Veränderung hin zum Guten sollen zu bleibenden Themen in Jankel Adlers Werk werden.
Wie sein Vorbild Chagall definiert Adler seine Identität als Künstler in Bezug auf seine jüdische Herkunft, die stark vom Chassidismus geprägt ist, einer Strömung innerhalb des jüdischen Glaubens, welche eine lebensbejahende Frömmigkeit mit mystischen Elementen der Kabbala vereint. Im Zentrum stehen dabei die Sehnsucht nach Gott und die spirituelle Suche nach den eigenen Wurzeln. Die 1919 in Lodz entstandene Avantgarde-Gruppe „Jung Jiddisch“, zu deren Mitbegründern auch Jankel Adler zählt, strebt nach dem Vorbild der internationalen jüdischen Avantgarde um Chagall, Modigliani und Soutine nach einer Verbindung von jüdischer Tradition und Einflüssen der westlichen Kunst. Diese Ambivalenz zwischen der Besinnung auf die eigenen Wurzeln und der gleichzeitigen Assimilation an künstlerische Entwicklungen des Westens macht einen wesentlichen Spannungsmoment in den Werken Jankel Adlers aus.
Die Führung an diesem Abend bietet einen Überblick über Adlers künstlerisches Schaffen und begibt sich auf die Spuren seines Œuvres von den frühen expressionistischen Werken bis hin zu seinen späteren abstrakten Bildern, die nach seiner Flucht über Paris nach England im Exil entstanden. In vielen seiner Werke finden sich religiöse Symbole, Anspielungen auf jüdische Bräuche und Traditionen, hebräische Buchstaben und jiddische Wörter. Ein Gedicht Adlers trägt den Titel „Ich singe mein Gebet“ und demonstriert die essentielle Bedeutung der Sprache: Das Wort gilt als Vermittler zwischen Gott und den Menschen und findet im Chassidismus seinen Ausdruck in lebhafter Bewegung, im Tanz und Gesang. All diese Themen spiegeln sich auf unterschiedliche Weise in Adlers Werk wider. Ein Portrait der Eltern zeigt den Vater Adlers wie er in der Thora liest, die Mutter präsent im Vordergrund mit mahnend erhobenem Zeigefinger. Alltägliche Szenen des jüdischen Lebens werden dargestellt, unter anderem der Ruhemoment am Schabbat: Ein jüdisches Paar im Wohnzimmer, er auf dem Sofa liegend, mit einem Gebetsbuch in der Hand und neben sich einen Gebetsschal, die Frau am Tisch sitzend, auf dem Tisch typische Speisen wie das Challah-Brot, daneben Wein und Kerzenständer. Eine Darstellung des jüdischen Purim-Festes, das im Frühjahr mit Festessen, Verkleidungen und Aufführungen gefeiert wird – Gemalt mit ausgeblichenen, hellen Farben, die mit Sand vermischt wurden zeigt es die Gesichter der „Purimspieler“ hinter Masken verborgen.
Von seiner langjährigen Freundin Else Lasker-Schüler wurde er einst der „jüdische Rembrandt“ genannt. Adlers Bildnis der Dichterin zeigt sie im Romanischen Café in Berlin, einem damaligen Künstlertreff der Avantgarde. In der Anordnung mit Werken seiner Zeitgenossen wie Chagall, Dix und Modigliani werden das Zusammenspiel und die gegenseitige Inspiration der Avantgardisten deutlich. Adlers künstlerische Spätphase ab 1933 und besonders nach den 1940er Jahren steht vermehrt unter dem Einfluss abstrakter Kunst, orientiert sich an den Werken Picassos und ist bestimmt durch Kontraste, Linien, Fragmente und Deformationen. Die dargestellten Körper sind nicht mehr ausgeformt, sondern verlieren sich in aufgelösten Linien, drücken die Unmöglichkeit aus, angesichts des erlebten Grauens jüdisches Leben in künstlerischer Form abzubilden.
Jankel Adlers bewegtes Leben führte ihn von Lodz unter anderem nach Barmen, Düsseldorf, Paris und London. Ein Portrait von Arthur Kaufmann zeigt Adler gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Betty Kohlhaas, er sitzend, sie hinter ihm stehend, eine Hand auf seine Schulter gelegt. Eine liebevolle und beschwichtigende Geste, fast so, als wolle sie ihn in seiner Rastlosigkeit zum Bleiben bewegen.
Noch bis zum 12.08.2018 besteht die Gelegenheit, die Retrospektive zum außergewöhnlichen Werk Jankel Adlers im Von der Heydt-Museum zu besichtigen.