Wuppertaler Literatur Biennale: Bibelverse in Schweden – Lesung Michael Stavaric

Der Wiener Autor und gebürtige Tscheche Michael Stavarič las im Rahmen der Wuppertaler Literatur Biennale in der Wuppertaler Viertelbar aus seinem Roman Gotland. Der gewitzte Leser wird vielleicht den Romantitel nicht direkt mit dem Begriff Gott assoziieren. Tatsächlich ist die schwedische Insel Gotland gemeint, da sich ein großer Teil des Romans dort abspielt. Dennoch spielt Gott in dieser Geschichte eine wesentliche Rolle. Aber welche? Dem sollte man auf den Grund gehen. Sofern es einem gelingt.

maryvon Marajka Parplies

Gotland (die Insel)

Stavarič beschreibt die Insel Gotland, die auch sein Flucht-und Sehnsuchtsort mit vielen kirchlichen Gebäuden ist, als perfekt, um Geschichten über Gott schreiben. Die Hauptstadt Visby bedeutet übersetzt „Die heilige Stadt“. Er nahm sich die Zeit, um auf die Insel zu reisen und dort für seinen Roman zu recherchieren, was er zuvor noch niemals getan hatte. In Gotland werden, was nur Wenige wissen, Trauben für Rotwein angebaut, da das Klima wesentlich mediterraner ist, als man sich das in der Ostsee vorstellen würde. Auch für den Export von Kalk wird die Insel geschätzt.

Nach einer Anmoderation von Dr. Katja Schettler vom Katholischen Bildungswerk Wuppertal/ Solingen/ Remscheid führte Ulrich Hufen durch den Abend. Passend zum Motto der diesjährigen Wuppertaler Literatur Biennale #SchönLügen wird laut Aussage Hufens eine Annäherung an das Existenzielle vom Verhältnis zwischen Wahrhaftigkeit und Fiktion bestimmt. So versteht er die Einführung in eine wundersame und unheilvolle Welt, in der Gotland spielt.

Psychotische Anwandlungen

In diese Welt nimmt Stavarič auch seine Zuhörerschaft an diesem Abend mit. Im gemütlichen Ambiente des Séparées der Viertelbar haben die Anwesenden Gelegenheit, im ersten Teil der Lesung dem Buch Genesis zu lauschen. Der Roman hat drei verschiedene Anfänge. Hier ist möglicherweise ein Hinweis auf die Dreifaltigkeit erkennbar. Die Hauptfigur im Roman ist ein namenloser Ich-Erzähler. Er hat eine sehr enge Bindung, die fast ins Inzestuöse abdriftet, zu seiner gottesfürchtigen Mutter, einer angesehenen Zahnärztin in Wien, die, so kommt es ihm vor, „von Gott bewohnt“ wird, die Bibel wörtlich nimmt und ihn streng katholisch erzieht. Somit verwehrt sie ihrem Sohn jegliche Möglichkeiten, ein eigenes Meinungsbild zu haben und eigene weltliche Erfahrungen zu machen. Er wächst ohne Vater auf und weiß nichts über ihn, außer, dass er und seine Mutter sich auf der Insel Gotland, dem Sehnsuchtsort, kennenlernten und sie dort auch schwanger wurde. Er schließt sich schließlich auf einer Reise als Erwachsener ebendort auf der Suche nach seinen väterlichen Wurzeln einem Mann namens Charles Hanson an, leicht zu verwechseln mit dem Serienmörder Charles Manson, der fortan sein Leben bestimmen wird. Dabei wird nicht klar, ob der Ich-Erzähler und Hanson vielleicht ein und dieselbe Person sind. Er oder beide Männer, man weiß es nicht, haben das erklärte Ziel, Gott zu finden und umzubringen.

Die Bibel als Erziehungsratgeber

Stavarič las Ausschnitte des Romans, in denen sich der Ich-Erzähler an seine Geburt, quasi an die Schöpfung seiner Selbst, erinnert. Im weiteren Verlauf der Lesung führt uns der Namenlose in die Welt seiner Träume, in denen das Sandmännlein eine wesentliche Rolle spielt. Welche, sollte man sich selbst erlesen. Das 4. Kapitel des Buches Genesis, welches im Roman ausgeführt wird, thematisiert das Feuer, Flammen, die Verbrennung eines Vogels und die Faszination des Feuers und die gleichzeitige Angst vor den Konsequenzen. Es könnte sich auch um einen Höllenvergleich handeln. Bemerkenswert ist auch die Reaktion darauf, als sich auf seinem Körper als Schulkind das erste Mal Läuse tummeln, was für Kinder in diesem Alter nichts Ungewöhnliches ist. Er fühlt sich aber dadurch beschmutzt und entweiht. Die Bibel hat ihn unter Kontrolle und prägt seine gesamte Kindheit und Jugend. Da die Mutter Gott nie infrage stellte, der Ich-Erzähler mit zunehmendem Alter trotz der mühevollen Erziehung zu einem gottesfürchtigen Menschen aber schon, entsteht in ihm eine innere Zerrissenheit, die ihn zunehmend quält. Er erkennt, dass er eine Vaterfigur sucht, die ihm sowohl seine Mutter als auch Gott nicht bieten können. Diese Erkenntnis bringt ihn an den Rand der Verzweiflung.

Bewusste Verwirrung

Dieser Roman ist sehr schwer zusammenzufassen und verwirrend, was auf Nachfrage von Ulrich Hufen an den Autor auch so gewollt ist. Stavarič empfindet glatte, leicht zu erläuternde Romane als stumpf und hält es wie Milan Kundera, der mal sagte, dass nur schwer nachvollziehbare Erzählungen das Zeug zu literarisch qualitativen Meisterwerken besäßen. Stavarič wollte sich bewusst mit der Gottesfürchtigkeit auseinandersetzen, was man beim Lesen seines Romans durchaus als Religionskritik begreifen könnte. Der Autor betonte, dass dies so nicht beabsichtigt war. Auch hier bleibt nichts als Verwirrung beim Leser zurück und man könnte sich zurecht die Frage stellen, ob der Autor selbst die Bibel wörtlich nimmt. Stavarič betonte, dass man sich den Herausforderungen des Lebens stellen und alle Gegebenheiten stärker kritisch hinterfragen sollte. Das möchte er mit seinem Roman bezwecken.

Poesie zum Schluss

Um die trotz der polarisierenden Thematik humorvolle Atmosphäre während der Lesung noch zu unterstreichen, las Stavarič am Ende aus seinem Gedichtband in an schwoazzn kittl gwicklt in Wiener Mundart, dessen Gedichte auch ins Hochdeutsche übertragen sind und die durch die Besonderheit der bissigen Zweideutigkeit der Inhalte und die Gegenüberstellung des Wiener Dialektes und des Hochdeutschen für eine allgemeine Erheiterung sorgten.
Michael Stavarič: Gotland
Luchterhand Literaturverlag, München 2017.