von Marajka Parplies
„Am Anfang war der Stein. Am Anfang war der Stein. Am Anfang…“ Fiston Mwanza beginnt seine Lesung zu seinem Debütroman “Tram 83“ mit dem Stilmittel Repetitio, das direkt dafür sorgt, dass die zahlreich anwesenden Personen im Ort/Peter Kowald Gesellschaft e.V. am vergangenen Donnerstagabend unter dem Thema „Musik trifft Literatur“ im Rahmen der Wuppertaler Literatur Biennale aufmerksam seinen Worten lauschen. Mit einer eher ungewöhnlichen, lauten und zwischen Hysterie und ekstatisch anmutenden Bühnenperformance, zog Mwanza das Publikum durch seine Bühnenpräsenz in seinen Bann, was nicht zuletzt am begleitenden, virtuosen Musikspiel des Saxophonisten Patrick Dunst lag. Die Zutaten für diesen Auftritt waren elementar: zwei Männer, eine Stimme, ein Instrument. Zwischen langen, stimmungsvoll begleitenden und im Ton wechselnden Solostücken am Saxophon und wechselseitigen gleichen Textpassagen zwischen dem Französischen und dem Deutschen, kommt der Zuhörer nicht umhin, sich gedanklich an einen anderen, staubigen und heißen Ort versetzt zu fühlen, um die maliziös atmosphärische Spannung aushalten zu können.
“Tram 83“
Der Roman handelt von zwei Freunden, dem politisch verfolgten Schriftsteller Lucien, der bei Requiem, einem Kleinganoven, Unterschlupf gewährt bekommt. Sie treffen sich im Nachtclub “Tram 83“, der sich in einer kongolesischen Großstadt befindet. Dort verkehrt ein eher heterogenes Publikum, angefangen vom hoffnungsvollen Studenten, hart arbeitenden Minenarbeitern, Prostituierten, Personen, die auf das schnelle Geld hoffen und jene, die es bereits verloren oder nie besessen haben. In dieser allabendlichen Nachtkultur erholen sich die Menschen von den Nachwirkungen der Kolonialzeit und den Bürgerkriegen und hoffen, wenigstens für eine bestimmte Zeit einfach nur im Hier und Jetzt zu leben, bzw. zu überleben.
Die Künstler
Fiston Mwanza Mujila ist im Kongo geboren und aufgewachsen und hat dort Sprach- und Humanwissenschaften studiert. Gegenwärtig lebt und arbeitet er in Graz. Er verfasst Gedichte, Kurzgeschichten und Theaterstücke. Sein Debütroman “Tram 83“, übersetzt aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller, hat bereits einige Literaturpreise gewonnen, darunter vergangenes Jahr auch den Internationalen Literaturpreis sowohl für den Roman als auch für die Übersetzung, verliehen vom Haus der Kulturen der Welt.
Mwanza kam früh mit dem geschriebenen Wort in Kontakt, da das Lesen und das Schreiben von seinem Elternhaus gefördert wurden. Dort wurden die Sprachen Suaheli und Französisch gesprochen. Französisch ist in der Demokratischen Republik Kongo durch die Kolonialzeit heute Amtssprache. Die Beherrschung dieser Sprache führt laut Aussage von Fistons Vater zu besseren Berufsaussichten.
Der studierte Saxophonist und Musikethnologe Patrick Dunst lebt in Wien und arbeitet dort als freischaffender Musiker und Komponist. Er leitet eigene Musikprojekte, darunter das Tribal Dialects, Virtues und Atma.
Kaum Wachstum in der afrikanischen Literaturszene
Moderiert wurde die Lesung von Hermann Schulz, der bereits in den frühen 1980er Jahren nach Afrika reiste, um dort junge, aufstrebende Autorinnen und Autoren zu entdecken und Kontakte zu Verlagshäusern herzustellen. Dies gestaltete sich, wie in der von ihm in der Anmoderation erzählten Anekdote, als sehr schwierig, da viele Verlage nur Briefkastenfirmen waren und es für Schriftsteller kaum möglich war und heute noch ist, etwas Geschriebenes von sich zu veröffentlichen. Es gab zu früherer Zeit keine Regierung, die Autorinnen und Autoren unterstützte, da die Literaturförderung unter den vorherrschenden politischen Bedingungen keine Priorität hatte. Für die afrikanische Literaturszene gab es so keine Möglichkeit zu wachsen und national sowie international bekannt zu werden, auch wenn es der Wunsch vieler junger Autorinnen und Autoren gewesen ist.
Anreize schaffen
In einem Interview am Ende der Lesung gibt Mwanza an, dass in seiner Heimat nicht wie im Ausland ein allgemeines Literaturverständnis existiert und keine Infrastruktur vorhanden ist. Um von einem Ort zum anderen zu reisen benötigt man entweder ein Flugzeug oder viel Zeit, da die Bus-und Zugverbindungen sehr unzuverlässig sind. Lesungen durchzuführen und eigene Literatur zu bewerben ist somit schier unmöglich, da man nie weiß, ob Termine eingehalten werden können. Im Afrikanischen gibt es hunderte verschiedene Dialekte. Dieser Umstand erschwert somit zusätzlich die Veröffentlichung von Büchern, die nicht in französischer Sprache geschrieben worden sind. Es gibt kein System der Rezensionskultur oder anderer PR-Möglichkeiten, um Literatur bekannt und für potenzielle Leser und künftige Käufer attraktiv zu machen. Es haben sich mittlerweile Initiativen gebildet, z.B. vorangetrieben vom Goethe Institut oder dem Institut français, welche das Lesen attraktiver gestalten möchten, um das Bildungssystem weiterhin zu fördern. Die Digitalisierung könnte in Zukunft dieses Vorhaben kräftig unterstützen, da durch soziale Kanäle viel geteilt und publik gemacht werden kann. Um afrikanische Literatur zu verbreiten und Bewohner zum Lesen zu animieren, müssen dennoch viele Anreize geschaffen werden. Der Literaturmarkt ist nicht gesättigt und das geistige Kapital wird nicht genutzt. Schriftstellerinnen und Schriftsteller benötigen eine Plattform, um ihre Bücher leichter zu veröffentlichen und für die breite Masse zugänglich zu machen. Geschieht dies nicht, wäre das höchst bedauerlich.
Fiston Mwanza Mujila: Tram 83
Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016.