von Larissa Plath
Ein ebenmäßiges Gesicht, umrahmt von einer goldglänzenden Haarpracht: Dorian Gray stellt die personifizierte Jugend und Schönheit dar. Diese zu erhalten wird zu seiner Obsession, das Stillen seiner Begierden zu seinem vorrangigen Lebensinhalt.
An den vergangenen beiden Wochenenden präsentierte das TalTonTHEATER seine glanzvolle Bühnenfassung des 1891 erschienenen Romans Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde. Die Ästhetisierung des Lebens, ein radikaler Hedonismus und der damit einhergehende Verlust jeglicher Moral sind universelle Themen, die Wildes Klassiker prägen und zu zahlreichen Adaptionen geführt haben.
„Guten Einfluss gibt es nicht – jeder Einfluss ist unmoralisch.“
Beim Anblick seines Portraits kann der junge Dorian Gray zunächst kaum glauben, dass es sich hierbei um sein eigenes, mit künstlerischer Fertigkeit auf die Leinwand gebanntes Antlitz handelt. Viel mehr als den ermutigenden Zuspruch des Malers Basil Hallward und seines Bekannten Lord Henry Wotton bedarf es jedoch nicht, um Dorian von seiner äußerlichen Vollkommenheit zu überzeugen. Seine anfängliche Unsicherheit wandelt sich zur gnadenlosen Selbstüberschätzung und gipfelt im Untergang des einst so strahlenden Gray. Vor allem der wortgewandte Lord Henry, stets ein süffisantes Lächeln auf den Lippen und mit einem passenden Aphorismus aufwartend, weiß den unschuldig naiven Dorian mit gezielten Schmeicheleien zu beeinflussen. David Meister brilliert in der Rolle des diabolisch anmutenden, dandyhaften Lords. Berauscht von dessen Philosophie der hedonistischen Selbstentfaltung lässt sich Dorian zu einem folgenschweren Pakt hinreißen: Er selbst bewahrt seine jugendliche Schönheit, während sich die Spuren des Alterns auf seinem Portrait abzeichnen.
Die Inszenierung unter der Regie von Jens Kalkhorst bleibt nah an der Vorlage Wildes – auf verfremdende Effekte zugunsten einer modernisierten Interpretation des als Klassiker geltenden Werks wird verzichtet. Authentische Kostüme der viktorianischen Epoche, vom ausladenden Reifrock der Damen bis hin zum schmucken Zylinder der Herren, geben die auf Schönheit und Selbstdarstellung bedachte Gesinnung der englischen Oberschicht jener Zeit zu erkennen. Lord Henry weist seinen Protegé in die hohe Kunst der belanglosen Konversation ein und demonstriert in einer der eindrucksvollsten Szenen des Stücks seine Fähigkeiten als Manipulator. Während die geladenen Lords und Ladies einander zuprosten und Floskeln austauschen, werden sie im nächsten Augenblick zu geistlosen Marionetten in den Händen Lord Henrys. Dorian ist fasziniert von diesem Spiel. Er tut es seinem Mentor gleich, zieht erst zögerlich, dann mit sichtbarem Vergnügen die Fäden und lässt die puppengleiche Gesellschaft nach seiner Vorstellung über die Bühne tanzen.
Einen Kontrast zum historischen Kontext bildet der moderne, vom Musical inspirierte Gesang, welcher die Inszenierung laut Kalkhorst zu einem „Hybridformat“ aus Schauspiel und Musical macht. In die Handlung eingebettete Songs geben einem inneren Monolog gleich Einblick in die subjektive Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren. Deren ansonsten glatte Oberfläche lässt für einen kurzen Moment ihre tieferen Beweggründe durchscheinen, wenn das Ungesagte gesanglich in Worte gefasst wird. Besonders überzeugt dabei Karolin Blumenstengel in der Rolle der jungen Schauspielerin Sibyl Vane, die ihre Liebe zu ihrem „Märchenprinzen“ und Verlobten Dorian überschwänglich zum Ausdruck bringt. Dorians Verliebtheit in Sibyl findet jedoch ein jähes Ende, als er erkennen muss, dass sein idealisiertes Bild von ihr der Realität nicht standhalten kann. Der grausame Bruch mit seiner Verlobten hinterlässt seine Spuren; zwar ist bei Dorian selbst keine Veränderung zu erkennen, sein bis dahin vollkommenes Portrait jedoch trägt erste Zeichen des Verfalls davon. Die radikale Überhöhung der Kunst macht diese für ihn zur ‚echten‘ Wirklichkeit, in der das Entsetzen über Sibyls Freitod nur von kurzer Dauer ist und ihr tragisches Ende von Dorian zu ihrer letzten großen Rolle stilisiert wird.
„Jeder von uns trägt das Potenzial von Himmel und Hölle in sich.“
„Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol“, so Oscar Wilde in seinem Vorwort zu Dorian Gray. Die in Wildes Vorlage thematisierte Antithese von Hülle und Kern, Schein und Sein wird aufgegriffen und im Bühnenbild durch das Spiel mit Oberflächen umgesetzt. Zurückhaltende Schwarzweiß-Aufnahmen der unterschiedlichen Schauplätze werden auf die bewegliche Kulisse projiziert und durch wenige Requisiten ergänzt. Einhergehend mit Dorians moralischem Niedergang bekommt seine äußere Fassade Risse, die sich zunächst nur auf dem Portrait zeigen, im endgültigen Zerfall jedoch auch als sein in zahllose Fragmente zersplittertes Antlitz auf der Kulisse abgebildet werden. Überzeugend stellt Robin Schmale als Dorian Gray dessen Verwandlung vom jungenhaften „Märchenprinzen“ zu einem amoralischen, von seinen Begierden bis in den Wahn getriebenen Verbrecher dar. Besonders gegen Ende des Stücks gelingt es Schmale auf beeindruckende Weise, die Gefühlskälte und Brutalität des Dorian Gray zum Ausdruck zu bringen. Grays seelenloses Inneres entwickelt eine eigentümliche Präsenz auf der Bühne – erst gleiten nur schwarz verhüllte Hände über das Portrait, zuletzt tritt seine dunkle Seele als dämonische Gestalt auf. Das teuflische Abkommen ist nicht mehr zu revidieren und so bleibt am Ende nur Dorians golden gerahmtes Portrait zurück, makellos und strahlend wie am Tag der Entstehung.
Weitere Termine im TalTonTHEATER:
Sa. 26. Mai 2018, 20 Uhr
So. 27. Mai 2018, 18 Uhr
Das Bildnis des Dorian Gray
von Oscar Wilde
Regie: Jens Kalkhorst
Assistenz: Jaqueline Schuhmann, Tobias Mull, Isabel Wittich
Kostüm: Marie Wicht
Bühnenbild: Rüdiger Tepel
Maske: Sandra Kremer
Besetzung:
Dorian Gray: Robin Schmale
Lord Henry Wotton: David Meister
Basil Hallward: Andreas Beutner
Sibyl Vane: Karolin Blumenstengel
James Vane: Maurice Kaeber
Alek Bunting / Inspektor & Adelsgesellschaft: Moritz Stursberg
Butler / Wirt & Adelsgesellschaft: Joachim Sieper
Lady Wotton / Kurtisane: Daniela Stibane
Kurtisane / Adelsgesellschaft: Jaqueline Kellner
Kurtisane / Adelsgesellschaft: Stefanie Gindler
Kurtisane / Adelsgesellschaft: Miriam Kalkreuth