von Julia Wessel
Die Wuppertaler Bühnen gehen in dieser Spielzeit viele neue Wege. Einer davon führt das Publikum aus dem Zuschauerraum heraus und mitten auf die Bühne: Nach der modernen Video-Oper Three Tales traut sich die Wuppertaler Oper, auch ein barockes Werk in einer ON STAGE-Variante zu inszenieren, in der das Publikum Teil des Geschehens wird – ein Aufruf, dem das junge Musiktheater-Kollektiv AGORA mit Freude nachkam. Das Ergebnis: „Liberazione“, ein individualisiertes Opernerlebnis für alle Sinne, in dem die Zuschauer sich frei im Aufführungsraum bewegen und mit einer zugehörigen App bewaffnet das Geschehen auf ihren eigenen Geräten verfolgen können. Am 20. April ist Premiere.
Die verführerische Zauberin Alcina verwandelt die Besucher ihrer Insel nach Lust und Laune in Steine und Pflanzen. Als auch der junge Ruggiero der Versuchung erliegt, die Insel zu betreten und droht, sich in der Welt der Alcina zu verlieren, begibt sich ihre Gegenspielerin Melissa auf die Suche nach ihm, um ihn in die Realität zurückzuholen.
Die Handlung der 1625 von Francesca Caccini komponierten Oper „La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“ ist schnell erzählt. Außergewöhnlich ist jedoch die von AGORA erdachte Art der lediglich einstündigen Aufführung: Nach einem Prolog, den die maximal 180 Zuschauer pro Vorstellung noch wie gewohnt aus dem Zuschauerraum verfolgen, führt Melissa sie über eine Art Steg auf die verzauberte Insel – und damit direkt auf die Bühne des Opernhauses. Zunächst blickt das Publikum von oben in das aus dunklen Vorhängen gestaltete Labyrinth der Alcina hinein, bis sich die Insel auf Zuschauerebene erhebt und das Publikum sich frei zwischen den Ensemblemitgliedern bewegen kann. Um auch die verbliebene Distanz noch zu überwinden, wurde die App „Liberazione“ programmiert: Auf drei Kanälen kann der Zuschauer über sein Smartphone oder Tablet den drei Hauptfiguren durch das mit 13 Kameras ausgestattete Labyrinth folgen.
AGORA macht dem Zuschauer durch die neuartige Form der Aufführung verschiedene Angebote, die jeder nutzen kann, aber nicht muss. Den eigenen Fokus der Oper wählt der Zuschauer damit individuell: Einer Figur hautnah auf Schritt und Tritt durch das Labyrinth folgen? Auf einem der Sitzkissen Platz nehmen und mit geschlossenen Augen der Musik lauschen? Auf digitalem Weg zwischen den Schauplätzen hin und her wechseln und somit den Überblick behalten? Alles ist möglich. Die Inszenierung nutzt die Vorteile einer digitalen Übertragung zugunsten eines intensiven Opernerlebnisses, ohne dass das Publikum auf die Unmittelbarkeit der Aufführung verzichten muss – im Gegenteil: Es wird direkt in das Stück hineinkatapultiert. Die Vielzahl an Eindrücken für alle Sinne spielt dabei ganz bewusst mit der modernen Wahrnehmung, die durch eine ständige Reizüberflutung geprägt ist. Näher dran geht nicht!
Hinweis: Jeder Besucher braucht ein Smartphone oder Tablet mit der App „Liberazione“, die bereits im Voraus im Google-Play-Store oder im App-Store heruntergeladen werden kann. Eine begrenzte Anzahl an Tablets wird bei den Vorstellungen zur Leihgabe bereitgestellt. Technische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, zu Beginn der Vorstellung erfolgt eine Einführung in die Nutzung der App.
Liberazione
Barockoper von Francesca Caccini
Vorstellungen im Opernhaus:
Fr. 20. April 2018 19:30 Uhr (Premiere)
So. 22. April 2018 18:00 Uhr
So. 29. April 2018 18:00 Uhr
Sa. 16. Juni 2018 19:30 Uhr
Sa. 14. Juli 2018 19:30 Uhr
Musikalische Leitung: Clemens Flick
Musiktheater-Kollektiv: › AGORA ‹
Regie: Benjamin David
Mitarbeit Regie: Anna Brunnlechner
Bühne/Kostüm: Valentin Köhler
Chor: Markus Baisch
Dramaturgie: Jana Beckmann
Besetzung:
Ralitsa Ralinova: Alcina, Dama Disincantata
Nina Koufochristou: 1.Damigella Sirena, Nunzia
Joyce Tripiciano: Melissa
Simon Stricker: Ruggiero
Sangmin Jeon: Nettuno, Pastore
Mark Bowman-Hester: Vistula, Fiume, Astolfo