Wer im Glashaus sitzt, sollte einen grünen Daumen haben: Wiederaufnahme der „Odyssee“ auf der Wuppertaler Hardt

Odysseus berichtet im Gewächshaus des botanischen Gartens von seiner aufregenden Reise. Foto: Sebastian Eichhorn

IMG_7799von Julia Wessel

Homers „Odyssee“ ist einer der bekanntesten Stoffe der Weltliteratur. Doch die Wuppertaler Bühnen verstehen sich auf innovative Interpretationen vermeintlich überholter Klassiker: Nach Dantes „Inferno“ nimmt das Schauspiel Wuppertal mit der „Odyssee“ die zweite solistische Darbietung eines literarischen Meilensteins aus der letzten in die aktuelle Spielzeit auf. Wie schon die Höllenfahrt aus der „Göttlichen Komödie“ begeistert auch diese Inszenierung mit starkem Spiel, greifbarer Atmosphäre und einer außergewöhnlich in Szene gesetzten Location: dem Glashaus auf der Hardt.

Winterliche Dunkelheit liegt über dem Botanischen Garten auf der grünen Höhe Wuppertals. Das Glashaus voller exotischer Gewächse ist in ein schummriges gelbes Licht getaucht. Ein entferntes Meeresrauschen ist zu hören. In einen Überwurf aus dickem Schafsfell gekleidet tritt eine imposante Gestalt aus dem Schatten eines gewaltigen Zitronenbaums und beginnt zu erzählen: von Sirenen und Zyklopen, von Zauberinnen und Göttergewalt. In einer Flut aus Erinnerungen wandelt der leibhaftig gewordene Odysseus durch das Gewächshaus – und das Publikum folgt ihm auf Schritt und Tritt.

Epos in Kurzfassung

Die „Odyssee“, neben der „Ilias“ die zweite zentrale Homer zugeschriebene Dichtung, erzählt von den Abenteuern des Odysseus auf dem beschwerlichen Heimweg nach Ithaka nach dem trojanischen Krieg. Verkörpert wird der griechische Titelheld von Miko Greza, der in der aktuellen Spielzeit mit seinem stechenden Blick und energischem Auftreten auch als überheblicher Pozzo in „Warten auf Godot“ und als verlebter Major von Mühlen in „Pension Schöller“ begeistert. Stolz berichtet er von der Überlistung des menschenfressenden Zyklopen Polyphem und dem Besuch bei der mächtigen Zauberin Kirke, die seine Gefährten in grunzende Schweine verwandelt, ihnen aber schließlich doch wertvolle Ratschläge mit auf den Weg gibt. Voller Wehmut erinnert sich Odysseus an die wunderschönen, jedoch todbringenden Gesänge der Sirenen und die Begegnungen mit gefallenen Gefährten und Verwandten in der Unterwelt. Seine Abenteuer haben nur ein Ziel: die lang ersehnte Heimkehr zu seiner Frau Penelope. Doch selbst die Rückkehr in sein rechtmäßiges Heim hält noch Hindernisse für den Helden bereit.

Die umfangreiche Handlung des Epos wird in der Inszenierung von Torsten Krug nicht im Schnelldurchlauf umrissen, sondern auf ausgewählte Eckpunkte der Irrfahrt reduziert, was auch Zuschauern ohne Vorkenntnisse den Einstieg in den sprachlich anspruchsvollen Stoff erleichtert und ermutigt, sich noch einmal eingehender mit dem Werk zu befassen. Miko Greza meistert die Herausforderung, ein Epos homerischen Ausmaßes im Alleingang zu bestreiten, mit Bravour: Während der Vorstellung wird er ganz zum traumatisierten Veteran und reflektiert den Krieg und die Abenteuer seiner Heimreise nicht etwa als Heldentaten, sondern als erschöpfenden Überlebenskampf. Während seines Berichts scheint der zermürbte Krieger seine Odyssee noch einmal zu durchleben: Er schreit mit den Sirenen, spricht mit allen Stimmen seiner Erzählung und stürzt sich in Rage auf das erschrockene Publikum. Mal richtet er sich in beiläufigem Plauderton direkt an seine Zuhörer, mal scheint er sie kaum wahrzunehmen und ganz in Erinnerung an ein längst vergangenes Leben versunken zu sein – ein Leben voller Leid und Tod.

Schaurige Gewächshausromantik

Hin und wieder unterbricht Odysseus wie gewaltsam aus seinen Gedanken gerissen seinen Monolog, um das Publikum auf die ihn umgebenden Pflanzen hinzuweisen, deren Herkunft und Funktion stets zur soeben gehörten Handlung passen oder dem Erzählenden eine Assoziation zu seiner nächsten Geschichte liefern. Somit wird das Gewächshaus auf der Hardt nicht nur eines der außergewöhnlichsten Bühnenbilder der gesamten Spielzeit, sondern aktiver Teil und Rahmen des Geschehens. Die gespenstisch großen Schatten der vom Boden aus angestrahlten Pflanzen schaffen gemeinsam mit vereinzelt eingespielten Klängen und Stimmen einen der Wirklichkeit entrückten Raum, den Miko Greza mit seiner würdevollen Präsenz gänzlich einzunehmen vermag. Als er schließlich von der anderen Seite der teils beschlagenen Glaswand in den dicht bewachsenen Zuschauerraum blickt und die Worte formt, die nebenan zugleich durch Lautsprecher schallen, scheint die schaurige Parallelwelt des Totenreichs beinahe greifbar.

Torsten Krugs Fassung der „Odyssee“ wurde nicht umsonst in die aktuelle Spielzeit wiederaufgenommen: Die Darstellung des Odysseus als in die Jahre gekommenen Überlebenden statt als gefeierten Abenteurer verleiht dem Stoff eine neue Ernsthaftigkeit und beklemmende Aktualität. Das atmosphärische Setting der Inszenierung und die Nähe zum Schauspieler, die das Publikum beinahe Teil des Stücks werden lässt, bewirken ein intensives Theatererlebnis für alle Sinne – fernab vom gewöhnlichen distanziert-passiven Zuschauerdasein. So geht Theater heute!

Odyssee
Frei nach Homer, Fassung von Torsten Krug
Übersetzung: Johann Heinrich Voss
Mit Miko Greza

Weitere Termine im Glashaus des Botanischen Gartens:
Do. 01. März 2018 21:00 Uhr
Sa. 03. März 2018 21:00 Uhr
Do. 08. März 2018 21:00 Uhr
Fr. 16. März 2018 21:00 Uhr
Sa. 24. März 2018 21:00 Uhr