„Three Tales“: Das Opernerlebnis der etwas anderen Art

Wuppertaler Bühnen "Three Tales" Foto und © Uwe Stratmann

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von Julia Wessel

Die Luft ist noch warm vom Scheinwerferlicht der Vorstellung am Vorabend. Verteilt über die Bühne des Opernhauses sind weiße Drehstühle angebracht, auf denen sich bereits die ersten Zuschauer hin und her bewegen. Michael Cook, der musikalische Leiter des Abends, gibt mit anschaulichen Beispielen zum Mitklatschen eine Einführung in die typische Phasenverschiebung der Minimal Music. Dann verdunkelt sich der Bühnenraum bis zur schwindelerregend hohen Decke und die Anwesenden werden Zeuge einer Kunstform für alle Sinne: der minimalistischen Video-Oper „Three Tales“ von Steve Reich und Beryl Korot, die nach dem Erfolg in der vergangenen Spielzeit erneut ins Programm der Wuppertaler Oper aufgenommen wurde.

Gegenstand der Oper, die sich so gar nicht wie eine Oper anfühlt, sind titelgebend drei Geschichten über den Menschen und einige seiner zweifelhaftesten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts: Vom Absturz des Luftschiffes „Hindenburg“ 1937 über die amerikanischen Atombombentests auf dem seither unbewohnbaren Bikini-Atoll zwischen 1946 und 1952 zum ersten erfolgreich geklonte Schaf Dolly 1997. Auf gut sichtbaren Leinwänden verschmelzen originales Filmmaterial, Schlagzeilen, Augenzeugenberichte und passende Grafiken zu einer bildgewaltigen Videocollage. Von einer kleinen musikalischen Besetzung – je zwei Schlagzeuge, Klaviere und Vibraphone, ein Streichquartett, zwei Sopran- und drei Tenorstimmen – wird diese in beeindruckender Synchronität zum Leinwandgeschehen vertont. In sich stetig wiederholenden Rhythmen und Verschiebungen gleicher Elemente nehmen einzelne Instrumente und Singstimmen die Sprachmelodie der gezeigten Schlagzeilen und Zitate auf.

Ton und Bild passen sich der jeweiligen Szenerie an: So beherrschen industrielle Geräusche den Rhythmus von „Hindenburg“, durchbrochen von Streichermelodien, die die Faszination der Augenzeugen und die Ungläubigkeit der Experten angesichts des gescheiterten Versuchs der Eroberung der Lüfte unterstreichen. Das Schwarzweißbild weicht in „Bikini“ einer ersten dezenten Farbgebung und die soundtrackgleiche Musik einem dissonanten Gesang vor einem militärischen Metronom, das einen sich auf der Leinwand stetig wiederholenden Countdown vertont. „Dolly“ ist letztlich in typischer 90-er Jahre-Farbfernseher-Optik gehalten und die treibende Musik spiegelt den aus den zu Wort kommenden Wissenschaftlern sprechenden Durst nach mehr, schneller, weiter.

Be fruitful and mulitiply and fill the earth and subdue it.“

Die menschliche Gier, mit Hilfe von moderner Technologie die Natur zu beherrschen, ist ein zentrales Thema der Performance. Während „Hindenburg“ noch dokumentarisch neutral vorgeht, werden die Bilderfluten der beiden weiteren Akte durch Bibelstellen aus der Genesis unterbrochen: Gemeinsam mit den Bildern explodierender Atombomben erscheint der Aufruf Gottes an den Menschen, sich die Welt und all seine Geschöpfe untertan zu machen. „Dolly“ hingegen wird mit dem Sündenfall Adams verknüpft: das Verbot Gottes, vom Baum des Lebens zu kosten und damit den Tod zu bezwingen. Die Textstellen kommentieren die eindrücklichen Bilder, ohne eine direkte Wertung der Geschehnisse zu artikulieren. Was bleibt, ist ein beklommenes Gefühl gegenüber der Entwicklungen – auch ohne moralischen Zeigefinger. Dabei will der Komponist des Werks Steve Reich keineswegs zur Abkehr von der modernen Technologie aufrufen, bedient er sich ihrer doch selbst für seine minimalistischen und musikalisch bahnbrechenden Werke.

Neben der Thematik der Videoinstallation von Beryl Korot begeistert vor allem die anhaltende Reizüberflutung während der gesamten Aufführung – im besten Sinne. Zwischen Video, Musikern, Untertiteln und dem originalen Libretto im Programmheft möchte man seine Augen überall gleichzeitig haben. Die Musiker aus nächster Nähe zu beobachten, mitten auf der dunklen Bühne, aus der ungewöhnlichen Perspektive mit Blick in den unbesetzten Zuschauerraum, verdichtet die Atmosphäre zusätzlich. Mit der Platzierung und Einbindung des Publikums zu Beginn der Vorstellung beweist die Wiederaufnahme der „Three Tales“ einmal mehr, dass Publikumsnähe auch in dieser Spielzeit bei den Wuppertaler Bühnen großgeschrieben wird, ebenso wie das Beschreiten neuer Wege: Abseits vom Gesang, der sich allerdings auch als Baustein in den Klangteppich einfügt, hat das Werk kaum etwas mit einer klassischen Oper gemein. Ein durch und durch außergewöhnliches Erlebnis, das enorme Konzentration erfordert, jedoch mit intensiver Atmosphäre und einem nachhaltigen Eindruck belohnt.

Three Tales
Video-Oper von Beryl Korot und Steve Reich

Letzter Termin:

So., 04.03.2018 20 Uhr Opernhaus

Musikalische Leitung: Michael Cook
Szenische Einrichtung: Berthold Schneider
Raum: Katrin Wittig

Sopran 1: Nina Koufochristou
Sopran 2: Ralitsa Ralinova
Tenor 1: Christian Sturm
Tenor 2: Andreas Karasiak
Tenor 3: Dustin Smailes

 

© Foto: Uwe Stratmann