Hoffen auf die unbestimmte Erlösung: Das Schauspiel Wuppertal wartet wieder auf Godot

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von Julia Wessel

Wladimir: „So ist die Zeit vergangen.“
Estragon: „Sie wäre sowieso vergangen.“
Wladimir: „Ja. Aber langsamer!“

Wladimir und Estragon, genannt Didi und Gogo, wissen sich die Zeit zu vertreiben: mit mal mehr und mal weniger gehaltvollen Gesprächen, komödiantischen Spielen, Streit und anschließender Versöhnung. Sie unterhalten sich gegenseitig, während sie warten. Worauf nochmal? Ach ja – auf Godot.

Seit vergangenem Freitag ist Samuel Becketts 1953 in Paris uraufgeführtes Werk Warten auf Godot nach dem Erfolg in der letzten Spielzeit erneut Teil des Programms des Wuppertaler Schauspielensembles.

Spiegelungen

Eine unheilvolle Spannung liegt über dem spiegelglatten See, der die gesamte Bühne bedeckt, bis hin zu einem gewaltigen Eisberg vor ihrer nachtschwarzen Rückwand. Die Handlung setzt so unvermittelt ein, als wäre der Zustand der Figuren schon seit Jahren unverändert. Und wahrscheinlich ist er das auch. Gefangen in einer Endlosschleife verharren die beiden Weggefährten an einem verlassenen Ort in Erwartung auf eine unbestimmte Erlösung, die den Namen Godot trägt. Wer dieser Godot ist und was sich Becketts zweifelhafte Helden von dessen Erscheinen erhoffen, wissen sie selbst nicht so genau. Aber gehen können sie nicht, obwohl Estragon es immer wieder vorschlägt. Nicht bis die Nacht hereinbricht – oder bis Godot kommt.

Der Name Godot ist auf der Bühne nicht nur durch seine beschwörende Wiederholung dauerhaft präsent, sondern auch als Leuchtreklame. Deren warme Strahlkraft scheint sich, wie die sparsam eingesetzte Musik, entsprechend der Dramatik der Szenerie zu mehren und zu mindern. In der Ecke angelehnt wird der Schriftzug jedoch nicht Teil des Geschehens, sondern bleibt als stiller Beobachter im Verborgenen. Auch der Baum, der den Aufenthaltsort der Figuren charakterisiert, bleibt unsichtbar, da er sich im Zuschauerraum zu befinden scheint. Das restliche Bühnenbild, das lediglich mit ein paar Paletten auskommt, lebt ganz von den Reflektionen im Wasser, die gespenstische Lichtwellen an die Rückwand werfen und den taghellen Eisberg doppelt in Höhe und Tiefe abbilden. Das Wasser spiegelt die Doppelbödigkeit des Stücks, indem es eine weitere Welt verbirgt, die sich nur dann offenbart, wenn die Figuren ihren Zeitvertreib für einen Moment aufgeben und das Wasser zur Ruhe kommt. Ebenso gibt der zweite Akt eine verzerrte Spiegelung des ersten wieder, gleich einem bereits verklingenden Echo.

Starkes Spiel gegen die Ausweglosigkeit

Trotz der überschaubaren Handlung und der sich stetig wiederholenden Dialoge entsteht während der zwei Stunden im Theater am Engelsgarten nicht eine Sekunde Langeweile. Alexander Peiler und Stefan Walz spielen sich zur Zerstreuung ihrer nihilistischen Figuren die Seele aus dem Leib, schimpfen und toben, lachen und schreien und geben moderne Clownsnummern zum Besten. Immer wieder erwägen sie, sich zu trennen und ihrer eigenen Wege zu gehen, können jedoch wohl ebenso wenig ohne- wie miteinander. Auch die Überlegung, ihr eigens geschaffenes Wartezimmer gemeinsam zu verlassen, bleibt Theorie.

Ein noch ungemütlicheres Paar geben der überhebliche Pozzo und sein wortkarger Untergebener Lucky ab. Ihr Auftreten lässt sogar die beiden Landstreicher verstummen und verstört die Erniedrigung des Dieners durch seinen Herrn beobachten. Beide Duos sind in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit gefangen. Als der bemitleidenswerte Martin Petschan schließlich sein Schweigen bricht, hetzt er so voller verzweifelter Intensität durch Luckys einzigen Monolog, dass das Publikum kaum zu atmen wagt. Doch auch Miko Grezas unberechenbare Wechsel von verklärtem Kichern zu ungehaltenem Wüten verleihen der unheilvollen Begegnung eine Bedrohlichkeit, die auch von den wiederkehrenden komischen Momenten nie gänzlich gebrochen wird.

Volker Schmalöers Inszenierung gelingt die Ablenkung von dem eigentlichen Mysterium um Godot durch eine vielsagend schlichte Ausstattung und durch starke Charaktere, die im Lauf des Stücks immer wieder neue Gesichter offenbaren und sich unaufhörlich aneinander abarbeiten. Eine kleine Veränderung des originalen Ablaufs scheint zunächst unerheblich, durchbricht jedoch Becketts Zurücksetzen der Handlung zu Beginn des zweiten Aktes und lässt sie stattdessen zum Ende hin fortlaufen.

Warten wir nicht alle auf Godot?

Die Wiederaufnahme des Stücks in die aktuelle Spielzeit erklärt sich nicht nur durch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen, sondern auch durch den thematischen Konsens des Programms nach dem Motto „Alles Spiel“. Aus der ausweglosen Situation der Figuren entsteht ein sich ewig wiederholendes Spiel im Spiel um die Abhängigkeit zwischen Herr und Diener und das vergebliche Hoffen auf Erlösung. Damit bildet das Stück einen männlichen Gegenentwurf zu Jean Genets Werk Die Zofen, das im November im Theater am Engelsgarten Premiere feierte.

Wer sich hinter dem Namen Godot verbirgt, verliert im Lauf der Zeit mehr und mehr an Bedeutung. Denn warten Gogo und Didi nicht vielmehr auf eine Veränderung jedweder Art, auf den Ausbruch aus der Ausweglosigkeit der ewig gleichen Abläufe, die auch Genets Zofen umtreibt? Und worin könnte ihre Erlösung bestehen, sollte Godot – in welcher Form auch immer – doch nicht kommen? Ist der Tod, den Estragon und Wladimir beinahe nebensächlich in Erwägung ziehen, der einzige Ausweg aus ihrem trostlosen Dasein? Anders als die Zofen jedoch wagen die beiden Protagonisten nicht, ihr Schicksal selbst zu bestimmen und geben die Verantwortung weiter – an Godot.

Estragon: „Komm, wir gehen.“
Wladimir: „Wir können nicht.“
Estragon: „Warum nicht?“
Wladimir: „Wir warten auf Godot.“
Estragon: „Ach ja.“

Weitere Termine:

Mi. 21. Februar 2018, 19:30 Uhr, Theater am Engelsgarten
Do. 22. Februar 2018, 19:30 Uhr, Theater am Engelsgarten

Tickets: KulturKarte (0202 563 7666).
Nicht vergessen: Studierende der BUW erhalten nach Reservierung freien Eintritt!

Warten auf Godot von Samuel Beckett
Deutsch von Elmar Tophoven

Inszenierung: Volker Schmalöer
Bühne & Kostüme: Michael Lindner
Dramaturgie: Dr. Cordula Fink-Schürmann
Regieassistenz: Barbara Büchmann
Inspizienz: Charlotte Bischoff

Besetzung:

Estragon: Alexander Peiler
Wladimir: Stefan Walz
Pozzo: Miko Greza
Lucky: Martin Petschan
Ein Junge: Henri Hager / Fabian von Heimburg

Foto: Claudia Kempf