Unheilvolle Spielwiese am Engelsgarten: Das Schauspiel Wuppertal präsentiert „Die Zofen“

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von Julia Wessel

Nur ein Laut. Eine Bewegung. In Sekundenschnelle erkennt Solange, in welche Rolle Claire diesmal geschlüpft ist und greift das Spiel auf. Mal Hund und Herrchen, mal Kammerzofe und gnädige Frau, unterwürfig und herrisch, doch nie gleichgestellt. Bis die Untergebene zunächst ihre Stimme und schließlich ihre Hand gegen die Befehlende erhebt – und das Spiel von vorn beginnt.

„Am interessantesten ist die Innenseite der Außenseiter.“

(Jean Genet)

Am vergangenen Samstag präsentierte der gesamte weibliche Part des Wuppertaler Schauspielensembles erstmals „Die Zofen“ von Jean Genet im Theater am Engelsgarten. Lena Vogt und Philippine Pachl verkörpern die mehr als vertrauten Schwestern Claire und Solange, die ihr Dasein als Zofen in der Mansarde ihrer Hausherrin fristen und außerhalb ihrer wechselnden Rollen wenig mit sich und einander anzufangen wissen. Doch im Spiel erwachen sie gemeinsam zum Leben und beschwören dabei ihre dunkelsten Phantasien herauf. Das größte Vergnügen finden die Schwestern in treffenden Imitationen der Sprache und Gestik der gnädigen Frau – und ebenso in der Vorstellung ihres Ablebens. Jean Genets Zofen proben den Aufstand gegen ihre Herrin und lassen damit den alten Traum von der Herrschaft der Diener auferstehen. Wie zahlreiche Werke Genets befasst sich das 1947 in Paris unter heftigen Protesten uraufgeführte Stück mit den Randfiguren der Gesellschaft und ihren seelischen Abgründen. Der Autor kannte die Schattenseite des Lebens persönlich, konnte er doch zu Lebzeiten selbst auf mehrere Gefängnisaufenthalte zurückblicken, die nur auf Gesuche von Kollegen wie Sartre und Cocteau hin ausgesetzt wurden. Bei den „Zofen“ spielen sich Intrigen und Mordpläne jedoch nicht öffentlich, sondern hinter der Fassade von Bewunderung und Unterwürfigkeit ab. Mit keiner der unberechenbaren Figuren möchte man sich so recht identifizieren, weder mit den manipulativen Schwestern, noch mit der von ihnen sicher nicht grundlos so leidenschaftlich verhassten gnädigen Frau, deren nahende Heimkehr ihre Zofen in Angst und Schrecken versetzt.

Machtspiel zwischen Wahn und Wirklichkeit

Die Erscheinung der gottgleich schwebenden Hausherrin – Realität oder lebhafte Manifestation der schwesterlichen Phantasie? – durchbricht nicht nur das Farbschema des Bühnenbilds und der Kostüme, sondern auch das selbstbewusste Spiel ihrer Bediensteten. Unter Tiraden in elegantem Französisch und bedrohlich ruhigem Deutsch tobt Julia Reznik in der Vertikalen durch ein Meer aus Stoff, wirft sich in dramatische Posen und verwandelt die durchtriebenen Schwestern mit kühler Mütterlichkeit in dienstbeflissene Untergebene, bemüht um Gunst und Gnade ihrer Herrin. Dieselbe Hassliebe, mit der die Zofen ihr entgegentreten, prägt auch ihre Schwesternbeziehung: Die liebevolle Bewunderung für die jeweils Andere nimmt stellenweise homoerotische Züge an, um sich letztlich doch wieder in Verachtung zu verkehren. Dabei ist nie ganz klar, wo das Spiel endet und die Wirklichkeit beginnt, wann sich Hass- und Liebesbekundungen an die Schwester richten und wann an die auf sie projizierte gnädige Frau. Claire genießt die Zuneigung der großen Schwester ebenso wie die Rolle ihrer Gebieterin. Solange wiederum tröstet Claire in ihrer Verzweiflung, doch zeigt mit dem Finger auf sie, sobald die Herrin eine Schuldige sucht. Für diese jedoch sind die beiden austauschbar und ebenso charakterlos, wie sie sich außerhalb ihrer Spiele zeigen. Nur innerhalb ihrer Phantasien entsteht eine Kommunikation zwischen den Schwestern, erst im Spiel werden ihre Charaktere fassbar. Gefangen in ihrem Spiel-Raum hetzen sie rastlos von einem Ende der Bühne zum anderen, retten einander vor dem drohenden Fall von der Kante und werfen sich verzweifelt gegen die Rückwand, deren stoffumwölbte Öffnung jedoch unerreichbar für sie scheint – ebenso wie der letzte gewaltsame Akt ihres Spiels, das stets kurz vor der Eskalation abbricht.

Spiel heißt nicht Spaß

Die Inszenierung Jakob Fedlers überzeugt durch die Konzentration auf das Wesentliche: die drei Damen entfesseln die ganze Kraft von Genets bildhaft schaurigem Text, während Optik und Akustik stimmig in den unterstützenden Hintergrund treten. Sparsam eingesetztes Rot ist der einzige Farbakzent des von Dorien Thomsen entworfenen Bühnenbilds in schlichtem Weiß, Schwarz und Grau. Die modernen Kostüme der Zofen, weder Alltags- noch Arbeitskleidung, dienen als Teil des Spiels, ohne von ihrer Performance abzulenken. Die Schwestern sind einander und ihren Zuschauern auf der nackten Bühnenrampe schutzlos ausgeliefert, was die Ausweglosigkeit der Situation ebenso spiegelt wie die in unerreichbarer Höhe angebrachte erlösende Öffnung der Rückwand. Ein disharmonisches Klingen und Klirren taucht die Szenerie in eine unheilvoll verspielte Klangkulisse und lässt den Zuschauer angesichts der schlummernden Gewaltbereitschaft der spielenden Schwestern umso mehr erschauern. Die Darstellerinnen beweisen dabei einmal mehr die Stärke des Wuppertaler Ensembles: Lena Vogt und Philippine Pachl scheinen einander in- und auswendig zu kennen und verstehen es, die Atmosphäre binnen Sekunden zu kippen, das harmlose Spiel in eine wilde Rachevision zu verwandeln – mal komisch in ihrer Kindlichkeit, mal erschreckend kalt. Brillant meistern sie die ständige Gratwanderung, die Genets Figurenzeichnung verlangt, provozieren ohne billige Laszivität und scherzen bei stetig steigender Anspannung. Doch auch Julia Rezniks würdevoll-schrille Interpretation der gnädigen Frau ist ein wahres Highlight dieses Spiels im Spiel. Sie zieht die Fäden der Zofen – und existiert doch nur als Teil der Show, in der sich auch die Schwestern selbst erschaffen. Frei nach dem Motto: Ich spiele, also bin ich.

Wer sich selbst von der Spannung des ewigen Machtspiels der Frauen überzeugen möchte und erfahren will, ob die Schwestern Gelegenheit bekommen, ihre Pläne in die Tat umsetzen – oder sich auf anderem Wege aus ihrer Gefangenschaft zu befreien – hat gleich an diesem Wochenende noch einmal die Möglichkeit dazu!

„Die Zofen“ von Jean Genet
Deutsch von Simon Werle

Inszenierung: Jakob Fedler
Bühne & Kostüme: Dorien Thomsen
Dramaturgie: Barbara Noth
Musik: Gunda Gottschalk

Besetzung:
Claire: Lena Vogt
Solange: Philippine Pachl
Gnädige Frau: Julia Reznik

Weitere Termine im Theater am Engelsgarten:
Sa. 18. November 2017 19:30 Uhr
So. 19. November 2017 18:00 Uhr
So. 03. Dezember 2017 18:00 Uhr
Sa. 09. Dezember 2017 19:30 Uhr
Do. 18. Januar 2018 19:30 Uhr
Fr. 02. Februar 2018 19:30 Uhr

Tickets sind über die KulturKarte (0202 563 7666) und an verschiedenen Vorverkaufsstellen erhältlich. (Nicht vergessen: Studierende der Bergischen Universität Wuppertal erhalten über die Bühnenflatrate freien Eintritt nach Reservierung oder bei ausreichender Kapazität an der Abendkasse.

 

Beitragsfoto: ©Uwe Schinkel