von Julia Wessel
21 Uhr. Der schwere Kronleuchter klimpert auf das Foyer im ersten Stock des Wuppertaler Opernhauses herab und spiegelt sich in jedem Fenster des Rundbaus vor der Dunkelheit. Rund um den Innenraum haben etwa zwei Dutzend Zuschauer auf Bänken und an kleinen Tischen Platz genommen. Ein stetiges Murmeln füllt den Raum bis zur Decke. Plötzlich erklingt von irgendwo Musik. Ein junger Mann im weißen Kittel schiebt einen Stuhl auf einem Rollbrett herein. Darauf eine Gestalt, ganz in Küchentücher eingewickelt. Die Musik spielt und spielt. Bis Thomas Braus sich in hastigen Bewegungen selbst entfesselt – im wahrsten Sinne des Wortes.
Reise ins Innere
Der Ausnahmeschauspieler und Schauspielintendant der Wuppertaler Bühnen bestreitet den Abend allein. Er wagt Dantes Weg durch das Inferno, den ersten Teil der Göttlichen Komödie, DEM italienischen Beitrag zur Weltliteratur. Seine Reise beginnt verirrt im dunklen Wald des Lebens, abgekommen vom rechten Weg. Vergil, Dichter der Aeneis, erscheint ihm, um ihn durch die Hölle zu führen. Doch was soll er in der Hölle? Sich selbst erkennen? Er weiß doch, wer er ist, er, Dante! Er windet und sträubt sich, flieht – doch es gibt kein Entkommen. Die kleine Zuschauergruppe zaghaft auf den Fersen tobt der verängstigte Dante durch sonst verborgene Winkel des Opernhauses – bis hinauf unter die Dachkuppel. Hier treibt es ihn immer tiefer in die Kreise der Hölle und damit in die Abgründe der menschlichen Existenz, durch Feuer und Eis, vorbei an als Büsche zerzausten Selbstmördern und ewig im Sumpf watenden zornigen Seelen. Der ganze Wahnsinn der menschlichen Sündhaftigkeit offenbart sich hautnah dem erschütterten Publikum. Denn auch jeder der Zuschauer ist Dante, der „in der Mitte seines Lebens“ dazu verdammt ist, sich die Folgen seiner Vergehen vor Augen zu führen.
Ästhetik des Grauens
DIE HÖLLE/INFERNO – die bereits während der letzten Spielzeit gefeierte „Reise ins Innere“ – ist zurück. Der Fokus von Johann Kresniks eindrucksvoller Inszenierung liegt jedoch nicht auf einer umfassenden Wiedergabe von Dantes Höllenfahrt, sondern auf der greifbaren Atmosphäre des Grauens, die dem ersten Teil des italienischen Nationalepos innewohnt. Im weiteren Verlauf der zu Anfang des 14. Jahrhunderts vollendeten literarischen Vorlage büßt Dante mit dem Erklimmen des Läuterungsbergs für seine Sünden, um schließlich Einlass ins lichtvolle Paradies zu erhalten. Doch heute lässt der düstere Beginn von Dantes Jenseitsreise allen Anwesenden das Blut in den Adern gefrieren und sie damit selbst zu Dante werden. Bei einem kaum nennenswerten Abstand zwischen Schauspieler und Publikum erfüllt die intensive Darstellung von Thomas Braus jeden Zentimeter des Raumes. Die ungewöhnliche Kulisse wird dem Höllenszenario durch den gezielten Einsatz von Licht und Schatten mehr als gerecht und wird dabei zur Opernhaus-Führung der besonderen Art.
Gänsehaut inklusive
Eine gute Stunde kriecht und klettert Braus lautstark und unter vollem Körpereinsatz rund um die Dachkonstruktion des Opernhauses, über Geländer, durch Türen, treppauf und treppab, bis Dante den letzten Höllenkreis verlässt und erleichtert die Sterne sieht. Erst nach vielen zaghaft beklatschten Abgängen des Dante-Darstellers löst sich die anhaltende Anspannung der Zuschauer in begeisterten Applaus und Bravo-Rufe, Braus noch immer unter der Haut. Ansehen!
DIE HÖLLE/INFERNO
frei nach Dante Alighieri
Weitere Termine (jeweils 21 Uhr):
So. 3. Dezember 2017
Mi. 13. Dezember 2017
So. 17. Dezember 2017
Fr. 22. Dezember 2017
Fr. 2. März 2018
Mo. 5. März 2018
Do. 8. März 2018
Di. 20. März 2018
Mi. 4. April 2018
Mo. 23. April 2018
Treffpunkt: Kronleuchterfoyer des Opernhauses (nicht barrierefrei erreichbar!)
Karten sind über die KulturKarte erhältlich.
Nicht vergessen: Studierende der BUW erhalten nach vorheriger Reservierung freien Eintritt.