Von Orten, Toten und Katzen

Katharina Hackers neuer Roman „Skip“ nimmt seine Leser mit auf eine Reise ins Tel Aviv der Neunzigerjahre. Dort begleitet man den sich ständig auf Identitätssuche befindenden Architekten Skip. So weit, so normal – wäre da nicht eine spezielle Aufgabe, der der Protagonist von Zeit zu Zeit nachgehen muss.

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von Lara Ehlis

Sehr unspektakulär stellt sich der vermeintlich normale Protagonist in Katharina Hackers neustem Roman „Skip“ vor: Skip Jonathan Landau ist sein Name und seine Geschichte – nun, die wird im Roman in aller Ausführlichkeit erzählt. Skip erklärt zu Beginn, woher er stammt und was er ist. Es wird jedoch sehr schnell deutlich, dass er vor allem nicht ist. Kein wirklicher Architekt, denn er renoviert Häuser nur, statt sie zu bauen. Kein wirklicher Vater, denn seine Söhne sind anscheinend von einem anderen Mann gezeugt worden. Und kein Jude im orthodoxen Sinne, denn seine Mutter war keine Jüdin.

„Im Spiegel habe ich mir damals nicht gefallen. Ich war nicht männlich, nicht kantig, ich konnte keine Kinder zeugen. War kein richtiger Mann, kein richtiger Jude, und nach Paris, nach Frankreich gehörte ich auch nicht mehr.“

Skips Geschichte setzt in Tel Aviv ein und nimmt sogleich vorweg, wo sie enden wird: in Berlin. Zwischendrin stehen Reisen nach Amsterdam und Paris an. Generell gibt es viele Phasen in Skips Leben, die von Unstetigkeit geprägt sind. Oder, um es mit Skips Worten zu sagen: „So erzählte die Geschichte sich nicht länger vorwärts, diese holperige Geschichte voller Löcher und Toter, sie wurde eigenmächtig.“

Diese Löcher in Katharina Hackers Roman sind es, die den Leser stoppen und sich fragen lassen, ob er etwas überlesen habe. Denn bei aller Gleichgültigkeit des Protagonisten seiner Umwelt gegenüber hat er die merkwürdige Aufgabe, Sterbende in den Tod zu begleiten.

Beispielsweise begibt er sich unvermittelt nach Paris, als sich dort am 27. Juni 1988 ein Zugunglück abspielt. Dieses Unglück ist der Eisenbahnunfall am Gare du Lyon, bei dem 56 Menschen starben. In seiner Geburtsstadt angekommen, beginnt sich in seinem Kopf ein Zwiegespräch zwischen ihm und einem der Opfer, Ruben, zu entwickeln.

„He, wo versteckst du dich?
Hier, sagte seine Stimme leise.
Wo ist hier?
Hier.“

Er begleitet die sterbende Seele des Jungen auf dem Übergang zwischen Leben und Tod und wird von da an häufiger von dem Drang übermannt, zu Unglücksorten zu reisen, um dort Sterbenden auf ihrem Weg zu helfen. Er macht es ihnen leichter, sich daran zu gewöhnen, tot zu sein. Ungeklärt bleibt, warum Skip nicht zu Unglücken in seiner eigenen Stadt gerufen wird.

Diese merkwürdige Fähigkeit steht in krassem Gegensatz zu seinem Dasein als Ehemann, denn als Skips Frau Shira an Krebs erkrankt, ist er nicht in der Lage, mit ihr über ihre Krankheit zu sprechen oder sie zu trösten – er hat sogar ein kurzes Verhältnis mit einer anderen Frau.

Wie als Kompensation für den Tod seiner Frau taucht eine Katze auf, die nur wenige andere Menschen sehen können. In einem schleppenden Prozess wird der Protagonist noch schwermütiger, als er es schon zuvor war. Seine Gemütslage scheint sich nur leicht durch ein gelegentliches Essen mit Arbeitskollegen, den Besuch bei einem alten Freund oder den Kontakt zu seinen Söhnen Avi und Naim aufzuhellen. Als diese sich jedoch nach ihrem Militärdienst dazu entschließen, in England zu studieren, bleibt Skip allein in Tel Aviv zurück.

„Nur in mir war etwas wie ein Seufzen, und dann wieder dies Bittere. Angst. Einsamkeit. Einsamkeit. Angst. Immer wieder ein Wort, klein und stupide, wie eine Kapsel, die platzte und unendlich Gift verströmte, man konnte dabei nichts sehen, keine Bilder, keine Geschichten.“

Ort und Ortswechsel spielen in Katharina Hackers Roman eine Schlüsselrolle. Nicht umsonst heißt der Protagonist „Skip“, der sich selber fragt, warum ihm dieser Name gegeben wurde. Trotz all seiner Deprimiertheit ist Skip viel in Tel Aviv unterwegs, sei es mit dem Bus oder seiner Vespa. Die Autorin beschreibt eindrücklich die Situation in Israel, wo sie selbst von 1990 bis 1996 lebte. Nie wird ganz deutlich, ob Skip nun seinen Geburtsort Paris oder aber Tel Aviv als seine Heimat ansieht. Bei seinem Abschied aus Israel jedoch scheint es so, als bereue er, Tel Aviv zu verlassen.

Hackers Schreibstil ist davon geprägt, dass Ideen und Motive in die Zeilen ihres Romans eingestreut werden, langsam über Seiten hinweg Fuß fassen und sich verdichten, um letztendlich den Text für einige Zeit zu dominieren. Einzig Skips enervierend deprimierte Einstellung zu allen – alltäglichen und außergewöhnlichen – Geschehnissen lässt die Lektüre stellenweise schwer fallen. Oder, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen:

„Wie oft habe ich mich in meinem Leben beklagt, dass es kein Ziel gebe, dass ich nicht klar und deutlich auf etwas hinstrebe, rasch, kräftig, ohne die Distanz, die alles zweifelhaft oder unwichtig erscheinen lässt.“