„Ich sehe rosa Elefanten!“ – Martin Suters neuer Roman über Genmanipulation

Martin Suters aktueller Roman „Elefant“ ist ein temporeiches, aber dennoch einfühlsames Werk, dessen Themen sich zwischen Gentechnik und Mythologie, zwischen moralischem Handeln und Profitgier bewegen.

IMG_7782von Nadine Wichmann

Das Genmanipulierte Haustierchen

Als der Zürcher Obdachlose Schoch eines Morgens in seiner Höhle am Fluss erwacht, sieht er einen Elefanten. „Ein Kinderspielzeug. Ein Elefäntchen, rosarot, wie ein Marzipanschweinchen, aber intensiver. Und es leuchtete wie ein rosarotes Glühwürmchen.“ Was zunächst nach zu viel oder zu wenig Alkohol klingt, stellt sich für ihn schnell als absurde Realität heraus. Schoch ist tatsächlich das Ergebnis eines Genexperiments zugelaufen. Sabu, wie er die kleine Elefantendame liebevoll nennt, ist ein Glowing Animal.

Der skrupellose Forscher Dr. Roux lässt einen genmanipulierten Embryo in eine Zirkus-Elefantendame einsetzen. Einst um frühere Forschungsergebnisse betrogen, sinnt er auf Rache und möchte der Welt sein Können beweisen. Mit Hilfe eines chinesischen Unternehmens, das als stiller Teilhaber seiner Experimente fungiert, versucht er alles, um das aus dem Zirkus verschwundene Elefantenbaby wiederzufinden. Doch Schoch, der sich um die kleine Dame kümmert, bekommt Unterstützung von den Tierärzten Dr. Reber und Valerie Sommer sowie dem burmesischen Elefantenpfleger Kaung. Die Tierärzte sehen es als schlichtweg unmoralisch an, ein solches Lebewesen überhaupt herangezüchtet zu haben. Kaung jedoch glaubt an ein Wunder, als er Sabu zum ersten Mal sieht. Die Guten und die Bösen sind in Suters Roman klar definiert, es gibt nur schwarz und weiß, keine Graustufen. Die Guten versuchen, den Elefanten zu beschützen, während die Bösen alles dafür geben, ihn zurückzubekommen, um mit ihm ein Vermögen zu verdienen.

Authentizität durch Realitätsnähe

Anfangs scheint der Roman noch eine detaillierte Milieustudie der Zürcher Obdachlosenszene zu sein. Suter hat sich, wie bereits für „Lila, Lila“, intensiv in die Thematik hereingearbeitet und mit Experten ausgetauscht. Der Roman wirkt trotz rosa Miniaturelefant in keinster Weise realitätsfremd, sondern vielmehr wie ein mögliches Zukunftsszenario. Mit nüchterner und reduzierter Sprache, die hervorragend zur wissenschaftlichen Thematik passt, schreibt Suter über eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen Schoch und dem Elefanten, über ein temporeiches Katz- und Maus-Spiel zwischen moralischen und profitgierigen Wissenschaftlern und über die Wunder, die uns in unserem Alltag überraschen können.

„Je mehr er erfuhr, desto überzeugter war er, dass das, was Kaung und er getan hatten und taten, nicht nur vertretbar war. Es war ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, um die Lieblingsformulierung seines alten Professors für biomedizinische Ethik zu benutzen.“

Immer wieder gibt der Roman Denkanstöße – Was ist erlaubt in der Wissenschaft? Wann gehen wir zu weit? Ist Genmanipulation in Ordnung, wenn wir dadurch Erbkrankheiten beseitigen können? Ist sie es nicht, wenn wir wahnsinnig gerne drei strohblonde Jungs mit grünen Augen hätten? Ziehen wir die moralischen Grenzen erst beim Menschen oder doch schon beim Tier? Antworten liefert Martin Suter nicht. Er möchte lediglich eine Geschichte erzählen. Was der Leser daraus macht, ist seine Sache.

Wie realitätsnah Suters Roman ist, zeigen jüngste Forschungen. In Uruguay wurden beispielsweise Schafe gezüchtet, deren Gene mit bestimmten Proteinen manipuliert wurden, die sonst in Quallen zu finden sind. In der Regel dient diese Biolumineszenz als Markierungsstoff in der Forschung, etwa um das Fortschreiten einer Krankheit in den Zellen sichtbar zu machen. Auch Minischweine werden in China schon gezüchtet und als Haustierchen verkauft. Für Martin Suter ist es also nur eine Frage der Zeit, bis wir Menschen uns unsere Spielzeuge auf Wunsch anfertigen lassen. Eine Minigiraffe für die Wohnung, eine grüne Katze, ein rosafarbener leuchtender Elefant… Vielleicht werden der Phantasie schon bald keine Grenzen mehr gesetzt sein.

Martin Suters Roman „Elefant“ ist 2017 im Diogenes Verlag erschienen.